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In der Goethestraße. Der 52-Jährige besucht gerade die Stadt.

© Georg Moritz

Stolperstein-Besuch: Im Land seiner Großmutter

Sein Vater flüchtete mit 16 Jahren aus Berlin, seine Großmutter wurde aus Charlottenburg verschleppt: Der Israeli Yuval Doron besucht Berlin und schwelgt in Erinnerungen an seinen Vater, der ein echter Berliner war.

Auf Yuval Dorons Schreibtisch in Tel Aviv steht ein Holzkästchen, darauf ein Goethe-Zitat. Sein Vater bewahrte darin Schmuck und Edelsteine auf. Das Kästchen ist ein Andenken an die Zeit, als er noch Joachim Dienstag hieß und in der Goethestraße in Charlottenburg wohnte. „In dem Kästchen sind jetzt keine Edelsteine mehr“, sagt Yuval Doron und lächelt, „aber es zeigt, wie stark die Verbindung Israels zur deutschen Kultur ist.“

Vergangenes Jahr im Juni kam für den 52-Jährigen eine Verbindung dazu: Die SPD-Bundestagsabgeordnete Petra Merkel kontaktierte ihn über die deutsche Botschaft in Tel Aviv. Denn nur etwa hundert Meter von ihrem Wahlbüro entfernt hatte sie im April 2012 einen Stolperstein gesetzt, für die Jüdin Paula Dienstag, geborene Saft, am 13. Januar 1943 in Auschwitz ermordet. Ihr Sohn Joachim floh 1939 nach Israel, nannte sich Yehoakim Doron und hatte einen Sohn, den er Yuval nannte. „Mein Vater sprach kaum über die Zeit in Berlin“, erzählt Yuval Doron, „aber er war ein Berliner, das steht fest“.

Jedes Jahr bekam die Familie ein Jahrbuch mit Bildern aus Berlin, der Vater kehrte sogar nach Deutschland zurück, um an verschiedenen Universitäten Vorlesungen zu halten. „Alle seine Bücher waren deutsch“, erinnert sich Doron. Trotzdem fremdelte er: „Als ich sehr jung war, hatte ich Angst vor Deutschland.“ Doch je mehr er sich mit der deutschen Geschichte beschäftigte, desto weniger Scheu hatte er. Einen anderen Zugang zur Heimat seines Vaters fand er in der Kunst. Er lernte zeichnen bei einem Schüler Max Liebermanns, Josef Schwarzmann, begeisterte sich für den Expressionismus und das Bauhaus, das er durch die Weiße Stadt in Tel Aviv, eine riesige, von jüdischen Emigranten gebaute Siedlung, kennenlernte.

Berlin ist Doron durch Fotos, Zeitungsartikel und später durch das Internet vertraut. Im Vergleich zu den Jahrbüchern von früher habe sich ja einiges geändert, ist sein erster Eindruck. „Ich habe diese Kultur von fern gelebt“, sagt er, „jetzt wird es Zeit herauszufinden, was die deutsche und die israelische Mentalität gemeinsam haben“. Grundverschieden seien sie ja eigentlich, die leichtlebigen, fröhlichen Israelis und die ernsten Deutschen, erzählt er. Trotzdem habe er bis jetzt nur nette Deutsche getroffen. Beim Empfang am Donnerstagabend kommen immer wieder Menschen auf ihn zu, schütteln ihm die Hand. Eine Frau kratzt ihr Schulenglisch zusammen und verabschiedet sich: „Danke, dass Sie uns eine Chance geben“, sagt sie sichtlich gerührt.

Von Schuld will Doron nichts wissen. Er hat seine Frau und seine beiden Söhne mit nach Berlin gebracht, um Brücken für die Zukunft zu bauen. Das Gedenken am Stolperstein und auf dem Friedhof Weißensee ist nur ein Teil des Programms für die Woche in Berlin. Yuval Doron setzt auf die nächste Generation. Sein Sohn Alon will sich mit Freunden treffen, die er als Backpacker kennengelernt hat, ein Ausflug ins Berliner Nachtleben ist schon geplant. „Es ist schon ein wenig merkwürdig, hier zu sein“, sagt der junge Mann, „aber es ist sehr wichtig für uns.“

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