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Berlin: Strafverfolgung von zwei Abgeordneten: Zwist in der Koalition: Europäische oder deutsche Immunität?

In der Koalition herrscht Zwist über die Auslegung der parlamentarischen Immunitätsregeln. Im Rechtsausschuss stehen zwar heute eine Beratung über "Grundsatzfragen des Immunitätsrechts" sowie die Entscheidung über die Immunitätsaufhebung von zwei PDS-Abgeordneten zwecks Strafverfolgung auf der Tagesordnung, aber die SPD-Fraktion bittet nach den Worten ihres rechtspolitischen Sprechers Klaus Uwe Benneter um Vertagung.

In der Koalition herrscht Zwist über die Auslegung der parlamentarischen Immunitätsregeln. Im Rechtsausschuss stehen zwar heute eine Beratung über "Grundsatzfragen des Immunitätsrechts" sowie die Entscheidung über die Immunitätsaufhebung von zwei PDS-Abgeordneten zwecks Strafverfolgung auf der Tagesordnung, aber die SPD-Fraktion bittet nach den Worten ihres rechtspolitischen Sprechers Klaus Uwe Benneter um Vertagung. Dem Ausschuss-Vorsitzenden Hubert Rösler (CDU) war das gestern neu. Man habe die Sache schon mehrfach vertagt und müsse endlich entscheiden. Die Anträge der Staatsanwaltschaft datierten bereits vom Herbst 1999. Doch im Interesse einer Koalitionseinigung werde die CDU der Vertagung sicher zustimmen.

Bisher hat das Abgeordnetenhaus analog zum Bundestag die Immunität auf Antrag der Staatsanwalt grundsätzlich aufgehoben. Grüne, PDS und Teile der SPD sind nun aber für die Orientierung an der sehr großzügigen Regelung des Europäischen Parlaments. Dort wird die Immunität dann nicht aufgehoben, "wenn die Handlungen, die den Abgeordneten zur Last gelegt werden, als schützenswerte politische Tätigkeit" im Rahmen der Aktivitäten von Abgeordneten gelten. Die CDU lehnt das strikt ab. "Wir sind in der Frage nicht beweglich", sagt ihr rechtspolitischer Sprecher Michael Braun: "Wer das akzeptiert, der akzeptiert auch, dass strafbare Handlungen der Durchsetzung politischer Ziele dienen."

Also Koalitionskrieg? Benneter winkt ab. Eigentlich finde er die EU-Regelung sinnvoll. Sie sei aber praktisch schwer handhabbar. Also ist er nun "eher" dafür, dass im Prinzip alles beim Alten bleibt: "Wir wollen sagen, grundsätzlich heben wir auf, in Einzelfällen nicht." Die SPD-Fraktion müsse das aber am Dienstag gründlich beraten. Auch die Grünen-Fraktionschefin und Rechtsexpertin Renate Künast vermutet, "dass sich nicht viel ändert". Doch sie will wie Benneter keine Aufhebung der Immunität, wenn die zur Last gelegte Straftat einen Bezug zum Mandat hat: "Die Weisheit liegt in der Mitte."

Was gemeint ist, illustrieren die drei konkreten Fälle; sie betreffen die PDS-Abgeordneten Frederik Over und Giyasettin Sayan. Over wird ein Verstoß gegen das Telekommunikationsgesetz zur Last gelegt. Er hatte nach dem 1. Mai 1999 Mitschnitte des Polizeifunks veröffentlicht. Klarer Fall von Bezug zum Mandat, also keine Aufhebung der Immunität, heißt es bei SPD und Grünen; Sayan habe sein polizeikritisches Anliegen "anders nicht belegen können". Gerechtfertigt sei die Aufhebung der Immunität dagegen wegen der Verstöße gegen das Versammlungsgesetz, die Over und Sayan vorgeworfen werden, und zwar durch unangemeldete Kundgebungen. Hier gelte die Gleichbehandlung von Abgeordneten mit allen anderen Bürgern.

Bei Nichtaufhebung der Immunität kann ein Strafverfahren erst abgeschlossen werden, wenn der Beschuldigte kein Mandat mehr hat, und das kann viele Jahre dauern.

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