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Berlin: Strafversetzung für die Sitzenbleiber

Elftklässler dürfen Klasse nicht wiederholen und ihr Gymnasium verlassen Wer dennoch das Abitur machen will, muss an eine zentrale Schule wechseln

Für rund 150 Sitzenbleiber endete dieses Schuljahr besonders bitter: Sie müssen ihre Schulen verlassen. Grund ist die Abschaffung der Orientierungsphase für Elftklässler an Gymnasien. Wer sie dieses Jahr nicht geschafft hat und dennoch das Abitur anstrebt, muss im kommenden Schuljahr an ein Oberstufenzentrum oder an eine Gesamtschule ausweichen. Denn diese beiden Schulformen verfügen weiterhin über eine Orientierungsphase, weil sie den 13-jährigen Weg zum Abitur beibehalten. Die Gymnasien hingegen verkürzen auf zwölf Jahre, so dass die Orientierungsphase in der elften Klasse entfallen muss.

Anders als von vielen Eltern erwartet gibt es berlinweit nur ein Gymnasium, dass sich bereit erklärt hat, einmalig als Auffangbecken für diese Sitzenbleiber zu fungieren und ihnen somit doch noch eine „gymnasiale“ Orientierungsphase zu bieten – das Schöneberger Robert-Blum-Gymnasium. Ursprünglich war erwartet worden, dass es mehr derartige Sammelschulen geben würde. „Wir haben den Bezirken freigestellt, solche Klassen einzurichten“, berichtet Christina Rösch von der Senatsverwaltung für Bildung.

Die geringe Bereitschaft erklären die Schulen damit, dass niemand gern eine komplette Klasse mit Sitzenbleibern bestücken möchte. Zudem seien die Bezirke davon ausgegangen, dass sich die Mehrzahl der gescheiterten Gymnasiasten damit zufrieden geben würde, an ein OSZ oder eben an eine Gesamtschule zu wechseln. Das hätten auch in der Vergangenheit schon viele Gymnasiasten gemacht, wenn sich an ihrer Schule nicht so wohl gefühlt hätten oder sie sich andernorts bessere Chancen ausgerechnet hätten.

Tatsächlich sind am Robert-Blum-Gymnasium bisher nicht sehr viele Sitzenbleiber von anderen Gymnasien angekommen. Manchen Schülern sei der Weg nach Schöneberg zu weit, andere kämen nicht, weil sie dort Fremdsprachen wie Russisch oder Italienisch nicht fortsetzen könnten, heißt es. Das Blum-Gymnasium rechnet deshalb nur mit ein bis zwei elften Klassen, in denen auch die eigenen rund 15 Sitzenbleiber untergebracht werden.

Als weitere Sammelschule für die Sitzenbleiber hat sich das Theodor-Heuss- Gymnasium in Mitte angeboten, das allerdings traditionell nur aus einer Oberstufe besteht und im kommenden Jahr an die Moses-Mendelssohn-Gemeinschaftsschule „angedockt“ wird. Als Gymnasium gilt die Theodor-Heuss-Schule dann nicht mehr.

Wie viele Schüler sich in dieser misslichen Ausnahmesituation befinden, ihre Schule verlassen zu müssen, ist noch nicht komplett bekannt. Als Anhaltspunkt gibt es nur die Zahl vom letzten Jahr, als es rund 180 waren. Ursprünglich war erwartet worden, dass die Schulen stärker bereit sein würden, „ein Auge zuzudrücken“, um den Heranwachsenden den Schulwechsel zu ersparen. Dies ist aber offenbar nicht überall passiert. Einzelne Schüler seien sehr verzweifelt gewesen, ist von Eltern zu hören. Man habe ihnen zwar von Anfang an gesagt, was im Falle einer Nichtversetzung drohe, allerdings hätten einige der Sechzehn- bis Siebzehnjährigen den Ernst der Lage wohl zu spät erkannt. Susanne Vieth-Entus

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