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© Peter Meissner

Straßenverkehr: Radeln ohne Regeln

Zu hohe Geschwindigkeit, fehlende Beleuchtung: Rücksichtslose Radler gefährden Fußgänger, andere Verkehrsteilnehmer – und sich selbst. Der Ärger über Rowdys wächst.

Sie flitzen auf dem Radweg heran, egal, wie dicht der Bürgersteig nebenan bevölkert ist. Sie treten ohne Beleuchtung auf dunklen Straßen in die Pedale, ignorieren Ampeln oder benutzen einen Radweg entgegen der Fahrtrichtung: Rücksichtslose Radler gefährden Fußgänger, andere Verkehrsteilnehmer – und sich selbst. 216 Passanten wurden in Berlin laut Polizei in diesem Jahr schon bei Unfällen mit Radfahrern verletzt, meist durch Zusammenstöße; insgesamt waren Radler seit Januar an 2583 Unfällen beteiligt, bei jedem zweiten gelten sie zumindest als Mitverursacher. Und diese Unfallzahlen werden voraussichtlich zunehmen. Denn immer mehr Berliner steigen aufs Rad. Vor allem genervte Fußgänger fordern deshalb, Räder müssten wie Autos ein Kennzeichen tragen – damit Rowdys belangt werden können.

Dass sich Berlin zur Radlerstadt entwickelt und der Radverkehr wie berichtet alleine von 2004 bis 2006 um 18 Prozent gestiegen ist, wird unisono begrüßt. Dass sich die große Mehrheit der Radler „vernünftig verhält“, ist aus Sicht der Polizei gleichfalls unbestritten. Gleichwohl müsse man aber die Schar der rabiaten Pedalentreter nun energisch bremsen, sagt Polizeirat Markus van Stegen vom Verkehrsreferat. Deshalb prüft die Polizei zurzeit auch den Vorschlag einer Kennzeichenpflicht für Fahrräder.

Ein angeschraubtes Nummernschild würde die Rowdys aus ihrer Anonymität reißen, in der sie sich sicher fühlen, argumentieren die Befürworter. Dabei verweisen viele auf die Schweiz als „großes Vorbild“. Denn in Bern oder Basel muss jeder Radler eine sogenannte Velo-Vignette mit einer Registriernummer erwerben. Sie gilt jeweils ein Jahr, kostet umgerechnet vier Euro und ist in erster Linie ein Versicherungsnachweis, weil man als Radler in der Schweiz im Gegensatz zur Bundesrepublik haftpflichtversichert sein muss. Diese Vignette ähnelt aber keineswegs einem Autokennzeichen. „Sie misst nur vier mal zwei Zentimeter, wird auf den Rahmen oder das Schutzblech geklebt und ist schon aus geringem Abstand kaum mehr zu entziffern“, sagt Kathrin Schweizer von der „Interessengemeinschaft Velo“ in Basel. Um Rowdys anzuzeigen, sei die Vignette gänzlich ungeeignet.

Dazu müsste jedes Rad mit zwei größeren Schildern aus Metall oder Plastik versehen sein. Aber selbst mit solchen Kennzeichen könnte man einen rücksichtslosen Radler nach einer ersten Einschätzung der Polizei „nur schwer wirkungsvoll anzeigen“. Denn auf den Straßen gilt keine Halterhaftung, was bedeutet: Der Velo-Besitzer haftet nicht automatisch für Verstöße, die mit seinem Gefährt begangen werden. Falls er behauptet, er habe das Rad verliehen, müsste ihm die Polizei nachweisen, dass er selbst gefahren ist. Bei Tempokontrollen im Autoverkehr werden die Fahrer deshalb von vorne geblitzt – „aber bei Radlern wäre das ja viel zu aufwendig“, sagt Polizeirat van Stegen.

Skeptisch sind auch die Verkehrsexperten im Parlament. Fast jeder hat ein Rad, sagt SPD-Mann Christian Gaebler, würden alle registriert, wären das unverhältnismäßig viele Verwaltungsvorgänge. Auch die Grünen warnen vor zu viel Bürokratie. Statt an Symptomen herumzudoktern, solle man die Ursachen beseitigen und „vernünftige Radwege schaffen, die abgetrennte Streifen auf dem Asphalt sind und nicht mehr Teile des Fußwegs“.

Die Polizei setzt zudem auf verstärkte Kontrollen und mehr Einsicht bei den Rowdys. Sie müssten begreifen, dass sie sich letztlich selbst in Gefahr bringen. Jeder vierte Verletzte im Berliner Verkehr war in diesem Jahr ein Radfahrer.

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