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Nicht zuschlagen. „El Bocho“ möchte lieber unerkannt bleiben.

© dpa

Street-Art: Der Gewalt eine kleben

Der Street-Art-Künstler „El Bocho“ versieht die ganze Stadt mit Anti-Gewalt-Piktogrammen, überall dort, wo Gewalt geschehen ist. Die Sprache seiner Bilder ist international - das macht er sich zunutze.

Von Ronja Ringelstein

Maskierte, finstere Typen schlagen mit Flaschen aufeinander ein. Ein Mann schreit vor Schmerz. Das sind die Bilder, die der Street-Art-Künstler, der sich „El Bocho“ nennt, überall in der Stadt anbringt. Sein Projekt „Gewalt“ besteht aus Aufklebern und vierzig mal fünfzig Zentimeter großen Schildern, die der gebürtige Frankfurter an Straßenlaternen befestigt und in U-Bahnen klebt. Auf gelbem Hintergrund zeigen die gesprühten Piktogramme Szenen der Gewalt, wie sie in Berlin in den vergangenen Wochen wieder gehäuft vorkommt.

Die Mütze hat der Mittdreißiger tief ins Gesicht gezogen, Farbkleckse zieren seine Hände und sein Kinn ein kleines Bärtchen. Nur im Café und nicht am Arbeitsplatz will er sich treffen, seinen richtigen Namen nicht nennen. Sein Pseudonym entstand aus einem Spitznamen, den ihm ein ehemaliger Mitbewohner gab. Die Anonymität gehört für ihn als ehemaligen Graffiti-Sprayer zum Geschäft. Deswegen durchstreift er die Stadt lieber unerkannt. Ganz gezielt geht er dabei auch zu den Orten, an denen Gewalt geschehen ist. Jüngst war er am Alexanderplatz, wo Jonny K. am 14. Oktober von sechs jungen Männern totgeprügelt worden war. „Auf keinen Fall will ich Trauergefühle verletzen“, sagt El Bocho. „Deshalb klebe ich nur in der Nähe von den Orten, wo es zu Gewalt kam. Wer die Verbindung sehen will, kann sie sehen.“ In Berlin will er insgesamt rund 1500 Aufkleber und 250 Schilder verteilen. „Im Idealfall kann ich mit den Aufklebern alle Bezirke abdecken.“

Die Straße dient dem Künstler als Medium und seine Bilder sprechen eine internationale Sprache, die jeder verstehen kann. „Bei meiner Arbeit im Ausland muss ich so auch nichts anpassen“, erklärt El Bocho. Zuletzt reiste er nach Rumänien, davor durch Russland und Brasilien, als Nächstes will er verschiedene Länder Asiens bereisen. Überall verändert er das Stadtbild ein wenig mit seinen Werken.

El Bocho ist mit dem Thema Gewalt groß geworden. „Ich bin in einer Hochhaussiedlung aufgewachsen. Gewalt war einfach immer präsent“, erinnert er sich. „Es gab eine Straße, die man nicht überqueren durfte – das war ungeschriebenes Gesetz.“ Und trotzdem hatte er nie Angst. Für ihn gehört das Thema zu einer Großstadt dazu. Der studierte Grafikdesigner nennt sich einen Pazifisten, sagt, er kläre Probleme lieber mit Worten: „Ich selbst konnte mich bisher immer aus brenzligen Situationen rausreden.“ Manche Entwicklungen, wie das gemeinschaftliche Eintreten auf einen Wehrlosen, der am Boden liegt, sind ihm aber neu. „Ich glaube, früher gab es das nicht.“

Es geht ihm nicht darum, einen moralischen Zeigefinger zu erheben. Er will zu Diskussionen anregen und das Bewusstsein potenzieller Täter stärken. „Wenn sie sich in einer klaren Minute meine Piktogramme angucken müssen, weil sie ihnen in der U-Bahn gegenüber kleben, kann das auch präventiv Einfluss haben“, glaubt er.

Früher hat sich El Bocho selbst in der Illegalität bewegt, mit Graffiti-Kunst fing alles an. Heute stellt er in Galerien aus, nimmt private Aufträge an und hat momentan sechs Projekte gleichzeitig laufen. Mit dem Kleben ist es komplizierter: Wirklich erlaubt ist es nicht, doch wenn ihn ein Polizist auf der Straße erwischt, erklärt El Bocho seine Kunst und darf weitermachen. Schließlich sind seine Werke leicht wieder abzulösen. Ob das in Asien ähnlich kulant gehandhabt wird, will er ab Januar herausfinden. Er ist sicher: „International wird das Gewalt- Projekt jetzt über Jahre laufen. Egal wo ich hinfliege, ich werde immer ein paar Schilder im Gepäck haben.“

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