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Berlin: Streit ohne Leid

Konflikte auszutragen kann man lernen – das sagen zwei Münchnerinnen. In den Seminaren ihrer Berliner „Streitschule“ wird der innere Schweinehund an die Kette gelegt

Von Susanne Leimstoll

Wir sitzen im Gewächshaus und können rausschauen. Vor dem Tagungsraum in der Gartenakademie Dahlem ist Publikumsverkehr. Draußen liegen die roten Flyer zu diesem Seminar wie kleine Köder. Darauf steht: „Komm, streit mit mir“. Wer immer sich im Vorbeigehen einen Prospekt schnappt, sagt, er kenne jemand, der „da auch mal hin sollte“. Bloß er selber nicht.

Richtig streiten kann man lernen, behaupten zwei Frauen aus München. Auseinandersetzungen ohne Verletzte auf dem Schlachtfeld, ohne verbrannte Erde, ohne Feigheit vor dem Feind. „Streitschule“ nennen die Anwältin Simone Pöhlmann und ihre Kollegin, die Fachjournalistin Angela Roethe, ihre Einrichtung, die in München nun das zehnte Jahr existiert. Ab jetzt wird es das Angebot auch in Berlin geben: Seminare, mehrmals im Jahr, immer über zwei Tage. Danach haben die Teilnehmer wenigstens die Grundregeln intus für den Streit ohne Leid. In München gibt es sogar monatliche Übungsabende für Absolventen. Betreutes Streiten sozusagen, völlig ohne Risiko. Die beiden Leiterinnen sind schließlich souveräne Schlichter, denn ihr Job ist die Mediation. Sie vermitteln in der freien Wirtschaft, in Firmen, zwischen Teams, auch unter Nachbarn, Geschwistern, Erben.

Hier sitzt die Berliner Premierentruppe: sieben Frauen, zwei Männer. Es ist still. Einer der Männer nimmt vor Beginn noch schnell seine Tabletten. Die Leiterinnen lächeln ermutigend. Dann darf auch noch jeder ein bisschen was über sich erzählen, man nennt sich ab jetzt beim Vornamen, aber weiß nicht recht, wie weiter: Sie unverschämter Mensch, oder du? Die Gruppe darf gleich ungelernt üben: ein Rollenspiel, zwei konkurrierende Kollegen, Tauziehen um eine Dienstreise in einer Firma. Wird jemand laut? Brüllt einer? Nein, man will schließlich keinen Streit. Die meisten suchen den Kompromiss. Das muss einen nicht wundern, denn mindestens die Hälfte der Teilnehmer hat eingangs gebeichtet: „Ich kann nicht streiten.“ Das ist eher der Normalfall. Wer auf Zoff hofft, ist hier falsch: Man lernt Deeskalation, nicht Streit. Und diese Kunst folgt Regeln.



Nicht im Zorn streiten

Streiten ist eine Kopf- und nicht eine Bauchsache. Klären lassen Konflikte sich nur, wenn beide es wollen. Wut ist schon mal ungünstig. Gefühl und Verstand schwingen normalerweise parallel. Kaum erregt der Mensch sich, gehen die Kurven auseinander: Gefühl nach oben, Verstand nach unten. Wer wütend ist, kann also nicht klar denken. Wie soll er da im Konfliktfall klug argumentieren? Also: Distanz schaffen, sich erst mal zurückziehen, die Auseinandersetzung vertagen, sich aber nicht drücken. Termin setzen. Dann folgt die Aussprache. Ab jetzt verlangen Pöhlmann und Roethe schier Übermenschliches.

Nicht erziehen wollen

Wer sagt, dass der andere genauso denken muss wie man selbst? Jeder hat seine eigene Welt, die des Gegenübers verstehen wir meistens nicht, die müssten wir erst erkunden. „Das ist wie mit einem Haus“, sagt Angela Roethe. 30 Prozent sind sichtbar, die Fassade. Was drin ist, die restlichen 70 Prozent, lernt man nur kennen, wenn der Eigentümer einen reinlässt. „Menschen wollen verstanden werden“, sagt Simone Pöhlmann. Im Praxistest bedeutet das: Erst mal wissen, was man selber will. Gleichzeitig wohlmeinend auf alles eingehen, was der andere einem vorwirft. Nicht gleich abwiegeln oder nachhaken. Auf keinen Fall versuchen, ihn von der eigenen Meinung zu überzeugen, zu erziehen. Das ist ganz schön schwierig. Dafür muss man eines beherrschen:

Aktives Zuhören

Bedeutet: Erst zuhören und dann in eigenen Worten wiedergeben, was man verstanden hat. Danach benenne ich des anderen Gefühle und Bedürfnisse. Das alles, sagen die beiden Mediatorinnen, entlaste das problembeladene Gegenüber erst einmal. Damit bietet man sein Verständnis an. Wenn es klappt, wenn man kapiert hat, wird der andere sagen: Ja, genau. Wenn nicht, wird er einen korrigieren. Grundsätzlich freut er sich aber und hört einem danach auch besser zu. Die Streitschüler probieren das in Grüppchen. Sie sagen verständnisvoll: „Heißt das, dass du …“ oder „Du warst also enttäuscht, weil …“ Klappt überhaupt nicht. Jeder konzentriert sich aufs Regelwerk und hört kaum, was der andere sagt. Ist ja auch schwierig, denn, so erklärt Simone Pöhlmann: Man hört oft etwas anderes, als das Gegenüber meint. Deshalb soll man ja nachfragen. So ein fairer Streit kann ganz schön dauern.

Nächste Stufe: Man benennt, was der andere will. Zum Beispiel so: „Du möchtest also gerne, dass dein Kollege sich mit dir abspricht, bevor er Aufträge für dich annimmt …“ Und wenn man schön frei formuliert, fühlt der andere sich eventuell auch ernst genommen. Indem man sich vorsichtig an sein Problem herantastet, erfährt man immer mehr vom Streitpartner. Wer das schafft, hat praktisch den schwarzen Gürtel in Selbstdisziplin. Eigene Bedürfnisse stehen nämlich erst später zur Debatte.

Die sanfte Auseinandersetzung beendet nach den Regeln der reinen Lehre die kluge, weiterführende Frage. Was möchte der andere erreichen, wie könnte man helfen? So viel Mühe und Gutmenschentum zahlen sich angeblich aus. „Man bekommt ganz viel Bonus dafür, dass man versteht und sich bemüht.“ Man glaubt das Simone Pöhlmann, sie sagt es mit ihrem gewinnenden Lächeln und unheimlich strahlenden blauen Augen. „Zu aktivieren, was der andere will, läuft am Anfang zwar noch holprig. Aber es ist doch eigentlich interessant, dessen Welt kennenzulernen, nicht wahr?“ Da will man Angela Roethe zustimmen. Sie sagt das so überzeugend, mit dunkler, warmer Stimme.

Geht gar nicht

Nun benötigt man nur noch das richtige Handwerkszeug. Über Gefühle sprechen können zum Beispiel. Nicht „Denk-Gefühle“ artikulieren, sagen die Fachleute. „Ich fühle mich unverstanden, zurückgewiesen, ungeliebt.“ Ist alles kein Gefühl, sondern beinhaltet schon einen Vorwurf an das Gegenüber. Das schreitet womöglich zur Gegenattacke oder macht dicht. Also immer formulieren: Ich bin …, traurig, verstört, was auch immer. Eine Erwartung ausdrücken: Ich wünsche mir, dass …, statt: Ich will, dass du … Keinesfalls die Psycho-Keule schwingen: analysieren, drohen, ungebetene Ratschläge erteilen, autoritär sein, mit Floskeln trösten wollen, kritisieren, spotten.

Im Seminar-Rollenspiel kommt uns eine Aufgabe mit der Moralkeule. Die Provokation lautet: „Wann gedenkst du, deine Enkel mal wieder zu sehen? Sie wissen schon kaum mehr, dass sie eine Großmutter haben.“ Vier Antworten stehen zur Wahl. A: „Du findest, ich kümmere mich nicht genug um deine Kinder, und das macht dich traurig?“ B: „Tja, ich bin in den nächsten Wochen wieder verreist, sag ihnen das.“ C: „Wie kommst du dazu, mir Vorwürfe zu machen? Ich komm schon, wenn ich Zeit habe.“ Oder D: „Geht es dir um dich oder wirklich um die Kinder? Ich habe da meine Zweifel.“ Man ahnt es, die beste Antwort ist A.

Seh ich irgendwie nicht ein. Man wird sich doch noch wehren dürfen. „Gut“, sagt Schlichterin Angela Roethe. „Wenn das für Sie funktioniert …“ Das sagt ja schon alles. Wenn die beiden vor den Teilnehmern gespielt Konflikte austragen, wirkt das wie die perfekte Choreografie. Jede Provokation wird elegant abgefedert. So streiten Profis. Pöhlmann und Roethe haben zehn Jahre Erfahrung. Das stählt. Und das bildet.

Auf dem Boden des Seminarraumes liegen, auf bunte Papierkreise gemalt, kluge Sprüche. Ich bewahre mir einen Rest Trotzphase und wähle: „Ein Konflikt ist nicht gelöst, wenn ein Verlierer zurückbleibt …“ Draußen, auf dem Gelände der Gartenakademie, in der Hunderte von Pflanzen zum Verkauf stehen, streiten sich an diesem Nachmittag zwei Frauen um eine einzelne Staude weißer Rosen im Topf, als sei sie die einzig Verfügbare. Na, die sollten vielleicht auch mal in die Streitschule. Ich ja nicht mehr.

Nächster Seminartermin in Berlin: 20. / 21. September. Kosten: 320 Euro. Mehr unter www.streitschule.de

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