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Und wie wohnen Sie? Die aktuelle Wohnlagenkarte für Berlin zeigt, dass die guten Wohnlagen vor allem im Westen der Stadt zu finden sind.

© Senatsverwaltung für Stadtentwicklung/ Anna Schmidt

Streit um neuen Mietspiegel: Hat der Mietspiegel noch Bedeutung für Berlin?

5,84 Euro je Quadratmeter: Nachdem der neue Mietspiegel erschienen ist, tobt heftiger Streit um seine Gültigkeit. Zwei Vermieterverbände erkennen ihn nicht an, sogar von Manipulation war die Rede. Warum? Ein Faktencheck.

Kaum ist er raus, tobt der Streit – der neue Mietspiegel für Berlin erreicht dieser Tage das Gegenteil dessen, wofür er ersonnen wurde, nämlich für die Befriedung des Wohnungsmarktes. Zwei mächtige Berliner Vermieterverbände, Haus & Grund sowie der Bundesverband freier Wohnungsunternehmen, erkennen den am Montag veröffentlichten Mietspiegel 2015 nicht an. Von Manipulation war sogar die Rede, was die zuständige Senatsverwaltung für Stadtentwicklung scharf zurückwies. Allerdings hatte schon das Amtsgericht Charlottenburg vor gut einer Woche das bisher gültige Zahlenwerk aus dem Jahr 2013 als „nicht wissenschaftlich“ verworfen. Deshalb erklärte die Richterin eine Mieterhöhung für gültig, die den Rahmen des Mietspiegels sprengt. Hat der Mietspiegel überhaupt noch Bedeutung für die Stadt? Die wichtigsten Fragen im Überblick.

Wie stark stieg die Durchschnittsmiete in Berlin laut Mietspiegel?

Um 5,4 Prozent gegenüber dem letzten Mietspiegel aus dem Jahr 2013, auf 5,84 Euro je Quadratmeter und Monat. Das ist allerdings nur der Durchschnittswert, der Alt- und Neubauten, Wohnungen in Spandau und in Prenzlauer Berg, luxuriöse Maisonetten und Hinterhofbutzen zusammenfasst. Außerdem beinhaltet dieser Wert ältere Verträge zu sehr günstigen Mieten, die vereinbart wurden, als in Berlin noch viele Wohnungen leer standen. Einen realistischeren Eindruck des Wohnungsmarktes geben die Mietspiegel-Werte aus einer neu eingeführten Kategorie. Diese berücksichtigt Neubauten der Jahre 2003 bis 2013, und eine 90 Quadratmeter oder größere Wohnung dieser Kategorie kostet in einfacher Lage 10,88 Euro je Quadratmeter und Monat.

Was nützt der Mietspiegel, wenn kaum noch Wohnungen für fünf oder sechs Euro pro Quadratmeter angeboten werden?

Erstmal nichts. Der Mietspiegel trifft keine Aussagen zu den Mietkosten für Wohnungen, die aktuell auf dem Markt sind. Wenn die Mietpreisbremse am 1. Juni in Kraft tritt, bindet der Mietspiegel allerdings auch Neuvermietungen. Falls der Vermieter zehn Prozent mehr als im Mietspiegel für eine konkrete Lage (einfach, mittel oder gut) und Baujahrklasse (neun Kategorien gibt es) verlangt, kann der Nutzer eine Mietminderung verlangen. Weigert sich der Vermieter, kann man vor Gericht ziehen.

Das Amtsgericht hat den Mietspiegel für ungültig erklärt. Kann man ihn trotzdem heranziehen?

Bedingt, ja. Aber der Gesetzgeber ist gefragt, die Unsicherheit durch verbindliche Regeln zu beenden. Bausenator Andreas Geisel (SPD) erklärte am Montag zwar, in vier anderen strittigen Mietfällen habe das Amtsgericht zugunsten des Mieters entschieden und sich dabei auf den Mietspiegel berufen. Seit dem Urteil ist aber das Gutachten eines Sachverständigen in der Welt, das den Mietspiegel 2013 für „unwissenschaftlich“ erklärt. Ob die Aussage aber auf den neuen Mietspiegel 2015 übertragbar ist, bleibt offen. Denn dieser wurde mit Hilfe einer veränderten statistischen Methode errechnet, erklärte Renate Szameitat vom Forschungsinstitut Gewos, die das Zahlenwerk erarbeitet hat. „Es gibt keinen Grund am Mietspiegel zu rütteln“, sagt sie.

Trotzdem erkennen zwei Vermieterverbände den Mietspiegel nicht an. Warum?

Der Bundesverband freier Wohnungsunternehmen begründet das wiederum mit dem Urteil des Amtsgerichts über den Mietspiegel 2013. So lange dies nicht korrigiert wird, seien alle Mietspiegel „schwebend unqualifiziert“ – und deshalb sei es „leider nicht möglich diesen anzuerkennen“. Der Verband „Haus und Grund“ sieht auch die Einteilung von Wohnlagen in drei Qualitätsstufen – einfach, mittel, gut – als „Manipulation“ an. Drei Lagen bildeten die Abstufungen auf dem Berliner Wohnungsmarkt nicht ausreichend ab. Der Senat weist dies zurück, es gebe die drei Lagen seit Einführung des Mietspiegels vor 30 Jahren. 

Kann die Politik in die Auseinandersetzung eingreifen?

Ja, und darauf weist beispielsweise der Mietrechtsexperte der Bundestagsfraktion Jan-Marco Luczak (CDU) hin: „Das Bundesjustizministerium ist in der Pflicht, schnell einen Gesetzesentwurf vorzulegen“. Luczak fordert „klare, bundeseinheitliche Kriterien für Mietspiegel“. Der Mietspiegel dürfe allerdings auch nicht „als politisches Steuerungsinstrument missbraucht werden“, sondern müsse die „Realität“ auf dem Wohnungsmarkt abbilden. Auch die Grünen-Fraktion im Berliner Abgeordnetenhaus fordert, dass die „Zweifel an der Auswertungspraxis und der Rechtssicherheit ausgeräumt werden“. Der Senat müsse sich im Bund für eine neue Richtlinie zur Mietspiegelerstellung einsetzen. Die Linksfraktion forderte, Mieter vor langwierigem Rechtsstreit zu schützen.

Ändert sich durch die Gentrifizierung auch die Einstufung von Quartieren im Mietspiegel?

Ja, 5240 Berliner Adressen hat die Arbeitsgruppe zum Mietspiegel aufgewertet. Größtenteils haben die Experten „einfache“ Lagen in „mittlere“ hochgestuft. Für die Wohnungsnutzer kann das sprunghaft steigende Mieten zur Folge haben: Eine 90 Quadratmeter große Wohnung, gebaut zwischen 1973 und 1990 im Westen Berlins, kostet in einfacher Wohnlage 5,57 Euro pro Quadratmeter, ist in mittlerer Lage dagegen mehr als ein Euro teurer (6,69 Euro/Qm).

Der Mieterverein warnt: Nicht die Mittelwerte, sondern die Oberwerte im Mietspiegel zeigten, wie angespannt der Wohnungsmarkt wirklich ist. Stimmt das?

Ja, die Oberwerte stiegen um 7,7 Prozent im Vergleich zum letzten Mietspiegel, also zwei Prozent mehr als der Mittelwert. Und den Oberwert kann der Vermieter zur Ermittlung der Vergleichsmiete ebenso heranziehen.

Wie steht Berlin im Vergleich zu anderen Städten da?

Der Druck ist in allen Metropolen ähnlich groß. Das zeigt der Anstieg der Mietspiegelwerte in den vergangenen zwei Jahren: In Hamburg stieg der Mittelwert um 5,7 Prozent, in München um 5,9 Prozent, in Frankfurt am Main um 5,6 Prozent und in Berlin waren es 5,4 Prozent. Der gleichmäßige Anstieg zeigt: Überall fehlt es an Wohnungen und deshalb steigen die Mieten. Nur bei den absoluten Zahlen, also den Mittelwerten der Mietspiegel, ist Berlins Vergangenheit als geteilte Stadt noch deutlich sichtbar: In München liegt der Mittelwert fast doppelt so hoch (10,73 Euro je Quadratmeter und Monat), in Hamburg sind es noch 7,56 Euro.

Und was sagen die Fraktionen im Abgeordnetenhaus zum neuen Mietspiegel?

Für die Linksfraktion belegen die steigenden Mieten, „dass mit der einseitigen Neubau-Politik des Senats die erhoffte und propagierte mietpreisdämpfende Wirkung nicht zu erreichen sein wird“. Die Grünen-Fraktion im Abgeordnetenhaus beklagt, dass „Rot-Schwarz leider oft nur zusieht, wie kostengünstiger Wohnraum verschwindet“. Der Senat müsse „dafür Sorge tragen, dass es genug Wohnungen gibt, die sich Menschen mit geringem Einkommen leisten können“. Rundum zufrieden ist die CDU, die neuen Zahlen im Mietspiegel „belegen einen insgesamt positiven Trend“.

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