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Berlins Justizsenator Dirk Behrendt (Grüne).

© Soeren Stache/dpa

Richterposten-Streit wird Problem für Berlins Justizsenator: „Missachtung der Gerichte führt woanders zum Rücktritt“

Im Streit um die Besetzung eines Richterpostens hat Dirk Behrendt offenbar ein Gericht und die Rechtsprechung ignoriert. Der Fall sorgt für heftige Kritik.

Berlins Justizsenator Dirk Behrendt (Grüne) hat in einem Streit um die Besetzung einer Stelle für einen Vorsitzenden Richter am Kammergericht offenbar das Verwaltungsgericht und auch die höchstrichterliche Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts missachtet.

Denn der Senator hat entgegen der Gepflogenheiten die Entscheidung des Verwaltungsgerichts in einem Verfahren um Richterstellen nicht abgewartet. In der Justiz sorgt der Fall für Aufsehen, von einem „kreativen Umgang“ des Senators mit dem Recht ist die Rede.

Es geht um die zentrale Frage, ob der Chef des Verfassungsressorts, der Recht und Gesetz in besonderem Maße verpflichtet ist, selbst gegen das Recht verstoßen hat. Am Montagmorgen hatte der Newsletter Checkpoint von Tagesspiegel-Chefredakteur Lorenz Maroldt über den Fall berichtet. Seither rumort es in der Berliner Justiz.

Am Mittwoch wird sich der Rechtsausschuss mit dem Fall befassen. Der Rechtsexperte der FDP-Fraktion, Holger Krestel, sagte: „Ich erwarte vom Senator Aufklärung - und dass er geltende Gesetze und die Rechtsprechung bei der Besetzung von Stellen beachtet.“

Die Vorsitzende des Deutschen Richterbundes in Brandenburg, Claudia Cerreto, sprach von einem „bemerkenswerten Vorgang in Berlin“. Die Berliner Landesvorsitzende des Richterbundes, Katrin Schönberg, sagte dem Tagesspiegel: „Man würde erwarten, dass öffentliche Stellen nicht vor dem rechtskräftigen Abschluss von Konkurrentenklagen die Stellen besetzen.“

Noch deutlicher wurde der Rechtsexperte der CDU-Fraktion im Abgeordnetenhaus, Sven Rissmann. Er sprach von Skandal und legte Behrendt den Rücktritt nahe. „In anderen Bundesländern oder auch in der Vergangenheit in Berlin würde solch eine Missachtung der Gerichte zu einem Rücktritt des Justizsenators führen.

Bernd Pickel, Präsident des Kammergerichts Berlin.
Bernd Pickel, Präsident des Kammergerichts Berlin.

© Doris Spiekermann-Klaas TSP

Worum geht es? Andreas Dielitz, Vorsitzender Richter am Landgericht Potsdam, Anfang 60, hatte sich in Berlin für eine Stelle beworben. Für das Kammergericht, Berlins höchstes ordentliches Gericht, waren vier Vorsitzenden-Stellen zu vergeben. Kammergerichtspräsident Bernd Pickel schlug Dielitz auf Platz eins als am besten geeignet vor. Der Präsidialrat enthielt sich wegen eines Patts.

Behrendt wollte den Bewerber nicht erneut vorschlagen

Von den drei weiteren Bewerbern auf den Plätzen zwei bis vier wurde einer vom Präsidialrat als ungeeignet eingestuft. Justizsenator Behrendt übernahm die Vorschlagsliste, doch als dann der Richterwahlausschuss im Oktober zu befinden hatte, bekam Dielitz trotz Bestplatzierung nicht die nötige Zweidrittel-Mehrheit.

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Ihm wurde damit die Eignung für die Stelle abgesprochen. Alle anderen Bewerber wurden jedoch bestätigt. Einige Tage später, Ende Oktober, teilte die Justizverwaltung dem Beamten mit, dass Behrendt ihn nicht erneut dem Richterwahlausschuss vorschlagen werde. Dabei ist das nicht unüblich, auch Behrendt hat es schon getan. Beim zweiten Mal reicht die einfache Mehrheit.

Der Bewerber war Landesverfassungsrichter in Brandenburg

Warum Dielitz, Anfang 60, durchfiel, ist nicht ganz klar. Die Mitglieder des Ausschusses dürfen darüber nicht reden. Zu hören ist, dass Bewerber aus Brandenburg nicht so gern gesehen seien, der Berliner Justiz-Dünkel wolle gern unter sich bleiben.

Unklar ist, ob seine Nähe zur CDU eine Rolle spielte. Bis 2019 war er auf Vorschlag der Christdemokraten zehn Jahre lang Richter am Landesverfassungsgericht Brandenburg. Dielitz war in seiner Jugend in Berlin-Zehlendorf politisch für die Junge Union aktiv, an der Freien Universität studierte er Jura.

Das Kammergericht am Kleistpark in Berlin.
Das Kammergericht am Kleistpark in Berlin.

© Mike Wolff

Am Landgericht Potsdam leitete er bis 2019 eine Kammer für Wirtschaftskriminalität, führte große Prozesse, etwa zum millionenschweren Fördermittelbetrug beim luxuriösen Ressort Schwielowsee gegen Axel Hilpert, der für die DDR als Stasi-Mann mit Antiquitäten Devisen beschaffte.

Auch der Holocaustleugner und Neonazi Horst Mahler wurde von Dielitz abgeurteilt. Daneben leitete er auch prominente Groß-Verfahren gegen internationale Banden, es ging um gefälschte Potenzmittel und Zigarettenschmuggel. Der Richter ist am Landgericht Potsdam alles andere als ein Leichtgewicht.

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Dielitz wehrte sich gegen die Ablehnung in Berlin, legte Widerspruch ein und beantragte beim Verwaltungsgericht Rechtsschutz. Das Gericht lehnte eine Zwischenverfügung ab, die den Justizsenator daran gehindert hätte, die anderen drei Richter zu ernennen. Denn die Verwaltungsrichter gingen davon aus, dass Behrendt still hält. So ist es üblich, so wurde es der Justizverwaltung mitgeteilt.

Doch Behrendt hielt sich nicht daran. Anstatt den Beschluss des Gerichts abzuwarten, ernannte er die drei anderen Bewerber trotzdem. Auch ein neuer Bewerber für die offene Stelle ist bereits vorgesehen. Offenbar erfuhr das Verwaltungsgericht nichts davon.

Und dann reagierte Behrendts Sprecher bei Twitter

Am 18. Dezember ordnete es an, dass Behrendt die drei anderen Kandidaten vorerst nicht zu Vorsitzenden Richtern ernennen darf, bis über Dielitz Bewerbung entschieden ist. Ansonsten bestünde für Dielitz die Gefahr, dass sein Anspruch auf ein ordentliches Bewerbungsverfahren vereitelt werde. Doch da hatte Behrendt bereits ernannt.

Die Verwaltungsrichter befanden auch, dass der Richterwahlausschuss nicht einfach willkürlich entscheiden darf: Es handele sich nicht um eine echte Wahl. Auch die Auswahlbeschlüsse des Gremiums müssten „angesichts des Prinzips der Bestenauslese noch nachvollziehbar“ sein. Das sei jedoch nicht der Fall.

Von der Justizverwaltung vorgebrachte „empirische Betrachtungen“ des Kammergerichtspräsidenten, dass Berlin und Brandenburg ihre Beamten unterschiedliche benoteten, ließen die Verwaltungsrichter nicht gelten. Zumal Pickel selbst Dielitz vorgeschlagen hatte.

Behrendts Sprecher antwortet nicht, twittert aber

Weil Behrendt Fakten geschaffen hat, läuft der Beschluss des Verwaltungsgerichts ins Leere. Ernennungen zurückzunehmen ist nur schwer möglich. Die Justizverwaltung hat gegen den Beschluss Beschwerde beim Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg eingelegt. Behrendts Sprecher sagte: „Zu Einzelpersonalangelegenheiten äußern wir uns nicht.“

Doch nachdem der Fall im Tagesspiegel-Checkpoint publik wurde, reagierte Behrendts Sprecher doch noch - diesmal über Twitter. Allerdings sorgte er auch für Verwirrung. Der Sprecher twitterte: "Die Urkunden wurden am 17.12. übergeben, das Verwaltungsgericht hat am 18.12. entschieden."

Damit bestätigte der Spreche die Tagesspiegel-Recherchen sogar: Dass nämlich die drei anderen Richter ernannt wurden, bevor das Verwaltungsgericht entschieden hat, ob deren Ernennung vorerst unterbleiben muss.

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Behrendts Sprecher twitterte weiter: "Aus Rechtsschutzgesichtspunkten war es nicht erforderlich, die Ernennungen der gewählten 3 Richter*innen hinauszuschieben, da die 4. Beförderungsstelle bis zur übernächsten Sitzung des Richterwahlausschusses freigehalten wird."

Dabei hätte ein Blick in die Rechtsprechung genügt, auf die das Verwaltungsgerichts die Justizverwaltung im Verfahren hingewiesen hat. Demnach hätte Behrendt die Richter nicht ernennen dürfen. 2012 hatte das Bundesverwaltungsgericht über einen vergleichbaren entschieden. In einem anderen Fall, in dem die Rechte eines klagenden Mitbewerbers mitachtet worden sind, hob das Bundesgericht sogar die Ernennung des Präsidenten eines Oberlandesgerichtes Koblenz wieder auf.

Der erste Leitsatz des Bundesverwaltungsgerichts in der damaligen Entscheidung lautete: "Bei Beförderungen auf der Grundlage einer Beförderungsrangliste erstreckt sich der Bewerbungsverfahrensanspruch auf alle aktuell vorgesehenen Beförderungen."

Und dann kommt der entscheidende Satz: "Wenn der unberücksichtigt gebliebene Beamte den einstweiligen Rechtsschutzantrag gegen mehrere vorgesehene Beförderungen richtet, ist der Dienstherr grundsätzlich verpflichtet, alle von dem Antrag erfassten Beförderungen vorläufig nicht vorzunehmen."

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