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Hoffen auf Rettung. Ute und Michael Brodthagen haben ihren historischen Eisbrecher „Anna“ aufwändig restauriert. Seit 2002 schippern sie Ausflugsgesellschaften durch Berlin. Wegen der neuen Charterregeln könnte es damit jedoch bald vorbei sein.

© Doris Spiekermann-Klaas

Striktere Regelungen: Salonschiffe in Seenot

Seit dem 1. Januar gelten verschärfte Vorschriften für Party- und Salonboote. Sie treffen die Besitzer hart - nun droht vielen Eignern das Aus.

Michael Brodthagen zieht die Schifferkappe fest, die Spree gluckst, ein kühler Hauch steigt vom Wasser auf. Der 57-Jährige mit dem weißen Kinnbart ist schon am Schrubben, inspiziert die Dieselmaschine seiner „Anna“, Schraubenwelle und Steuerung. „Wir machen klar Schiff“, sagt er. Wie zur Bestätigung schlägt Ute Brodthagen, seine Frau und Matrosin, drei Mal die Glocke am Bug. Der einstige Dampfeisbrecher „Anna“ mit dem imposanten Schornstein, Baujahr 1911, liegt noch fest vertäut im Historischen Hafen an der Fischerinsel in Mitte. Aber die Frühjahrssaison naht.

Seit zehn Jahren schippern die Brodthagens Fahrgästen über Berlins Gewässer – meist Geburtstags- oder Hochzeitsgesellschaften mit bis zu 35 Personen. Die Passagiere erleben das Flair des schwimmenden Methusalems, genießen die familiäre Stimmung an Bord. Wenn Brodthagen aber über die heftig umstrittene neue „Vermietungsverordnung für Sportboote“ des Bundesverkehrsministeriums spricht, die seit dem 1. Januar gilt, denn schwingen in seiner Stimme Zorn und Unverständnis mit. Er selbst darf künftig nicht mehr am Steuerrad stehen, wenn eine Gästegruppe mit seiner „Anna“ losfahren will. „Obwohl ich besser als jeder andere mit deren alter Schiffstechnik vertraut bin“, sagt er.

Barkassen, historische Kähne, Salonschiffe, Solarboote und Partyflöße für maximal 30 bis 40 Passagiere gelten offiziell nicht als Fahrgastschiffe wie die Stern- und Kreis-Dampfer sondern als Sportboote. Werden sie verchartert, gilt bundesweit die Vermietungsverordnung für Sportboote. Bisher durften Schiffe mit bis zu 25 Metern Länge mitsamt Schiffsführer vermietet werden. Je nach Größe des Kahns musste dieser den Bootsführerschein oder das Schifferpatent haben, auch ein Matrose musste gegebenenfalls an Bord sein. Künftig dürfen die Vermieter aber keine Besatzung mehr stellen, sondern nur noch ihre Schiffe verchartern. Die Mieter müssen selbst ans Steuer oder – falls sie keine Lizenz haben – einen Kapitän mitbringen.

Die Schifffahrtsbehörden wollen so mehr Sicherheit für die Passagiere erreichen. Sie beklagen „die stark wachsende Zahl der Salonboote mit immer größeren Gesellschaften“, die schwer zu überwachen seien. Von „unlauterer Konkurrenz“ zu den großen Reedereien ist die Rede. Denn für deren Schiffe gelten wegen der hohen Passagierzahlen noch strengere Sicherheitsvorschriften als für vercharterte Sportboote. Die neuen Einschränkungen sollen das Geschäft der kleineren Vermieter nun zurückdrängen. Falls sie mit Beginn der Bootssaison durchgesetzt werden, dürfte dieser Plan aufgehen. „Nur wenige Charterkunden können unsere Schiffe selbst manövrieren“, sagt Max Hiller vom Wassersportverband Berlin-Brandenburg. Daran sei auch kaum jemand interessiert. „Die Leute wollen sich auf dem Wasser amüsieren.“ Sportschiffe würden überall auf der Welt inklusive Skipper vermietet. „Wer will schon extra auf Kapitänssuche gehen?“

Insgesamt trifft die Einschränkung des Chartergeschäfts rund 50 Vermieter mit 80 Booten. Der Schiffskontor Berlin oder Partyfloß Potsdam mussten schon Kündigungen aussprechen, mehr als 200 Arbeitsplätze seien in der Region betroffen. Aber der Widerstand wächst: Die Eigner wollen ihre freie Berufsausübung mit einer Verfassungsklage durchsetzen, planen Schiffsdemonstrationen . Zu ihrer ersten Protestversammlung kamen sie Mitte Februar im Hostelschiffes „Eastern Comfort“ an der Oberbaumbrücke zusammen. Auch Eigner aus anderen Bundesländern waren dabei. In Berlin und Potsdam ist die Gegenwehr aber besonders stark. Nirgendwo sind so viele Salonschiffe unterwegs wie auf Spree und Havel. Die Bootsszene ist bunt und exotisch. Die großen Reedereien könnten dieses besondere Angebot gar nicht ersetzten.

Michael Brodthagen auf der „Anna“ hat das Schifferpatent und ist im Hauptberuf Frachterkapitän. Als er den einst heruntergekommenen Kahn restaurierte, wurden Kenterrisiken und viele andere Sicherheitskriterien zur Mitnahme von Passagieren berücksichtigt. Im Vier-Jahres-Turnus wird sein Dampfer wie all die anderen kleineren Ausflugsschiffe von unabhängigen Gutachtern untersucht. Das letzte TÜV-Zeugnis der Anna ist zwei Jahre alt. „Also, ich biete doch Sicherheit“, sagt Brodthagen. Große Fahrgastschiffe müssten noch behindertengerecht sein und beispielsweise mehr Fluchtwege haben. Doch für solche Einbauten sei die Anna zu eng.

„Anstatt gegen die wenigen schwarzen Schafe gezielt vorzugehen, wird unsere ganze junge Branche ausgebootet“, sagt André Siebach, Eigner der „Libelle“, einer Hamburger Hafenbarkasse aus den 20er Jahren. Die meisten Kähne würden von Profis verchartert und gesteuert. Nennenswerte Unfälle habe es lange Zeit nicht gegeben. Mit 25 Gästen startet Siebach zu „Berliner Brückentouren“. Doch einigen Interessenten hat er jetzt abgesagt. „Die sind total enttäuscht“, sagt der 47-Jährige.

Christian Lommatzsch, Chef des Segelschiffrestaurants „Klipper“ am Spreeufer im Treptower Park und Eigner der 1953 gebauten Barkasse „Pepita“, streicht die Flagge nicht. Er verchartert weiter mit Skipper. „Ich möchte mal sehen, wie ein Steuermann, der noch nie mit der Pepita unterwegs war, sie sicher durch die Mühlendammschleuse bringt“, sagt Lommatzsch. Das schaffe Risiken, anstatt sie zu vermindern.“ Lommatzsch hält das „Bootszeugnis“ der Pepita hoch. „Hat man mich zum Narren gehalten?“

Am Donnerstag soll das Thema auf Wunsch mehrere Fraktionen im Abgeordnetenhaus zur Sprache kommen. Zu Hilfe eilt den Eignern auch die havelländische CDU-Bundestagsabgeordnete Andrea Voßhoff. „Zum Bild des Wassertourismus gehören die Charterboote“, schreibt sie. In FDP-Kreisen ist gar von einem Schildbürgerstreich die Rede. Die IHK Potsdam prophezeit, der drohende Verlust werde erst so richtig mit Beginn der Bootssaison klar. Die Wasserschutzpolizei will erstmal abwarten. Die Neuregelung sei überstürzt gekommen. „Die Behörden diskutieren ja noch, wie das alles auszulegen ist.“

Salonschiffe in Seenot: Lesen Sie hier einen Kommentar zum Thema.

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