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Studie: Heimatgefühl von Muslimen: Fremd im eigenen Land

Eine Studie vergleicht das Befinden von Muslimen in Europa. Das Ergebnis ist fatal für Deutschland - doch positiv für Berlin.

Terrorabwehr, Kampf der Kulturen, Gesinnungsfragen bei Einbürgerungstests - die Debatten über Muslime in Deutschland haben offenbar ihre Spuren hinterlassen. Erstmals wurde untersucht, wie sich Muslime in elf verschiedenen europäischen Städten fühlen und wo sie sich in der Gesellschaft einordnen. Deutschland kommt in der Studie in einem wesentlichen Punkt am schlechtesten weg: Nur rund ein Viertel der befragten Muslime in Berlin und Hamburg identifizieren sich mit Deutschland - im Gegensatz etwa zu London, wo sich 70 Prozent der Muslime als Briten verstehen, in Leicester sogar 82 Prozent.

Das Gefühl, ein Fremdkörper im eigenen Land zu sein, hängt offenbar damit zusammen, dass laut Studie nur elf Prozent der deutschen Muslime glauben, sie werden von Deutschen ebenfalls als solche betrachtet. Demnach fühlen sich Muslime in allen anderen Ländern stärker angenommen als in der Bundesrepublik.

Die Studie gehört zum Forschungsprogramm "At Home in Europe - Muslims in Europe" des Open Society Institut in England und wurde am Montag im Roten Rathaus vorgestellt. Dafür waren 2200 Muslime und Nicht-Muslime in Deutschland, Großbritannien, Schweden, Frankreich, Belgien, Dänemark und den Niederlanden interviewt worden. Die Berliner Forscher befragten in Kreuzberg 200 Menschen mit unterschiedlicher Herkunft und Lebenssituation und werteten die ausführlichen Antworten aus. Ihre Ergebnisse unterstreichen, was das kürzlich vom Senat verkündete Stadt-Monitoring bereits zeigt: Die Stimmung in Berlins Einwanderervierteln ist angespannt.

Zwar identifizieren sich 70 Prozent der hier lebenden Muslime mit ihrer Nachbarschaft und fühlen sich ihr "stark zugehörig", sagt die Ethnologin Nina Mühe von der Europa-Universität in Frankfurt (Oder), die den Berliner Teil der Umfrage erstellt hat. Doch jeder zweite Befragte gab an, wegen seiner Religion oder Herkunft diskriminiert worden zu sein. Die wenigsten fühlen sich als Muslime akzeptiert. Gleichzeitig gäbe es auch positive Tendenzen: Viele Muslime seien politisch und zivilgesellschaftlich engagiert, sagt Mühe, die Konvertitin ist und im Verein Inssan tätig war. Rund 80 Prozent der Wahlberechtigten beteiligen sich demnach an Wahlen.

"Die Studie ist zwar nicht flächendeckend und damit nicht repräsentativ", sagt der Berliner Ethnologe Werner Schiffauer, der an der Studie mitwirkte, "sie zeigt aber exemplarisch das Bild in verschiedenen europäischen Einwanderervierteln."

Die Untersuchung, die nach Zugang zu Arbeitsplätzen, Gesundheitsversorgung und Bildungsmöglichkeiten fragte, ist nicht die erste, die auf Diskriminierungserfahrungen hinweist. Zahlreiche Befragungen zur Identität von eingewanderten Muslimen kamen zu ähnlichen Ergebnissen.

Zuletzt veröffentlichte die in Wien ansässige Agentur der Europäischen Union für Grundrechte 2009 einen Bericht, wonach jeder dritte Muslim sich in der Europäischen Union ungerecht behandelt fühlt. Auch laut der Studie "Muslime in Deutschland", die das Bundesinnenministerium 2007 vorlegte, fühlt sich knapp die Hälfte der 1750 Befragten von der deutschen Bevölkerung abgelehnt.

Berlins Integrationsbeauftragter Günter Piening findet die neueste Studie zu muslimischen Befindlichkeiten "wirklich alarmierend". Die Untersuchung bringe einen "gefühlten Ausschluss" zum Ausdruck und zeige: "In allen anderen Ländern werden Einwanderer besser integriert als bei uns." Piening führt das zurück auf die Folgen einer viel zu spät begonnenen Einwanderungspolitik.

Einen wesentlichen Grund für den festgestellten Integrationsmangel sehen die Studienmacher im exklusiven, deutschen Staatsbürgerrecht. Zwar seien Muslime längst ein "selbstverständlicher Teil des Berliner Alltags", doch noch immer könne etwa die Hälfte keinen Einfluss auf die Politik nehmen oder ihre Stadtteile mitgestalten.

Ferda Ataman

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