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Berlin: Studieren geht vor, gestreikt wird in den Freistunden

Die Störtrupps an der Technischen Universität haben es schwer, ihre Kommilitonen zum Protest gegen die Sparpläne des Senats auf die Barrikaden zu bringen

Im Hörsaal E 20 entscheidet der Professor über den Streik. „Wenn das mit dem Sparen so weiter geht, kann in zwei Jahren niemand mehr in der Regelstudienzeit fertig werden“, ruft Claudio, der mit 15 Protestierenden in die Vorlesung platzt. „Macht jetzt mit, bevor gar nichts mehr geht!“ Die Kommilitonen im Hörsaal schauen verlegen. Sie reagieren erst, als der Mathe-Dozent das Wort ergreift: „Ihr Kommilitone hat recht: Bei den Kürzungen können wir den Laden hier dicht machen. Wir machen die Aufgabe noch fünf Minuten lang fertig, damit wir keinen Stoff verlieren, dann können Sie mitmachen.“ Beifälliges Klopfen in den Reihen. Nach fünf Minuten stehen fünfzig Studenten auf, um sich dem Protest anzuschließen.

Die Studenten an der Technischen Universität (TU) streiken, doch die Stimmung ist gespalten. „Sobald der Prof für uns ist, sind alle dabei“, sagt Claudio, der seit Donnerstag mit einem Störtrupp durch die Hörsäle zieht. „Wir müssen erstmal aufklären und den Leuten die Angst vor dem Streik nehmen“, sagt seine Mitstreiterin Judith, bevor sie vor einer vollen BWL-Vorlesung steht und erklärt: „Der Streik ist umso schneller zu Ende, je mehr Leute sofort mitmachen.“

Öffentliche Vorlesungen gehören zu den beliebtesten Aktionen. Ein Dozent schiebt seine Tafel vor das Hauptgebäude und spricht vor seinen frierenden Zuhörern über Konvergenz und Divergenz. Architekturstudenten zimmern aus Brettern und alten Türen eine Slum-Uni und halten darin Seminare ab. „Die Passanten sollen mitkriegen, wie schlecht die Zustände bald sein werden.“

Am Telefunken-Hochhaus rütteln viele Studierende vergeblich an der Tür: Hochschüler halten das Gebäude seit dem Morgen besetzt. „Damit wollen wir die Studenten zum Diskutieren bringen“, erklärt Kathrin, die vor der Tür Flugblätter verteilt. An der Rückseite des Gebäudes bringen Streikende Bücher in die Bibliothek im siebten Stock, die ihre Kommilitonen abgeben müssen. „Es sollen ja auch keine Nachteile durch den Streik entstehen“, sagt Kathrin.

Der TU-Streik richtet sich gegen die vom Senat geplanten Einsparungen im Hochschulbereich und die Einführung von Studiengebühren. Es sind vor allem junge Studenten, die sich dem Protest anschließen, wie Claudio und Judith. Beide studieren erst seit drei Wochen Energie- und Verfahrenstechnik. Dass Politiker Bildung als wichtige Zukunftsressource bezeichnen und der Senat gleichzeitig Gelder für die Hochschulen streicht, findet Claudio ziemlich widersprüchlich „Man kann wegen der schlechten Bedingungen schon jetzt kaum sein Studium in der Regelstudienzeit schaffen.“ Die Ängste vieler Studenten vor dem Streik versteht er. „Ich gehe zu manchen Kursen ja auch hin und streike dann in den Freistunden.“

Sebastian, viertes Semester Geschichte und Germanistik, steht am Infostand vor dem Audimax, spricht Studenten an. Bis zum Streikbeginn am vergangenen Donnerstag hat er sich an der Uni nicht politisch engagiert. Jetzt beteiligen oder nie, sagt er einer Kommilitonin, die skeptisch fragt, ob der Streik denn etwas bringt. „Hey, die Vorlesungen sind voll, die Profs werden immer weniger, die Overhead-Projektoren sind aus den Achtzigern, das sind doch Zustände, die nicht klar gehen“, erwidert Sebastian.

Ob der Ausstand lange anhält, darüber gehen die Meinungen bei den Streikenden auseinander. „Das Verständnis für den Streik ist schon viel größer geworden. Viele fragen, wo sie mitmachen können“, meint Sebastian am Infostand. „Die Beteiligung ist echt desillusionierend“, meint dagegen Claudio, als er aus der dritten Vorlesung kommt, in der alle Kommilitonen sitzen geblieben sind und lieber lernen, anstatt Aktionen zu planen.

Die Studenten der Humboldt-Uni haben für Mittwoch eine Vollversammlung einberufen. Sie wollen dort diskutieren, ob sie der TU in den Ausstand folgen. Die nächste Vollversammlung der TU-Studierenden entscheidet am selben Tag, ob der Streik weiter geht: Vor dem Roten Rathaus, damit sich auch der Regierende ein Bild vom Zorn der Studenten machen kann.

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