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Treffpunkt. Von dem Zelt aus wird der Einsatz der Freiwilligen bei der Suche nach Elias koordiniert.

© Ralf Hirschberger/dpa

Suche nach dem sechsjährigen Elias: „Der große Unbekannte ist es fast nie“

Der Polizeipsychologe Adolf Gallwitz spricht im Interview über die Polizeiarbeit im Fall des verschwundenen Elias, die Rolle der sozialen Netzwerke und die Chancen, dass der Junge bald gefunden wird.

Von Peer Straube

Seit Mittwoch ist der sechsjährige Elias in Potsdam-Schlaatz verschwunden. Die Suche nach ihm hält unvermindert an. Inzwischen sind mehr als 310 Hinweise aus der Bevölkerung bei der Polizei eingegangen. Peer Straube sprach über den Fall mit Adolf Gallwitz, einem der bedeutendsten Polizeipsychologen in Deutschland.

Herr Gallwitz, wie beurteilen Sie den Fall?

Kinder dieser Altersgruppe sind extrem gefährdet, bei einem Verschwinden – wenn sie nicht schon von Anfang an zum Opfer geworden sind –, zum Opfer zu werden. Ein Verbrechen ist nicht auszuschließen, aber es gibt auch andere Möglichkeiten, ein Unglück etwa, das Kind könnte verletzt oder auch schwer verletzt sein.

Können Sie Hinweise geben, was jetzt getan werden muss – von der Polizei, aber auch von der Stadtgesellschaft?

Die örtlich zuständige Polizei wird sicher alles tun, was getan werden kann. Bei dieser Altersgruppe muss man auch davon ausgehen, dass womöglich jemand in das Verschwinden verwickelt ist, der aus dem Umfeld des Jungen kommt. Dies abzuklären, ist extrem schwierig, weil es sich ja um Bekannte, Freunde und Nachbarn der Familie handelt. Von unserer Denke her ist es einfacher, den großen Unbekannten verantwortlich zu machen, der hinter der Ecke gelauert hat. Aber in der Realität ist das fast nie der Fall.

Zwei maßgebliche Fragestellungen haben Experten in den vergangenen Tagen ausgemacht: Das familiäre Umfeld, Wohnung und Auto, sind erst am dritten Tag des Verschwindens offiziell von der Polizei durchsucht worden. Ist das zu spät?

Adolf Gallwitz ist einer der bedeutendsten Polizeipsychologen in Deutschland.
Adolf Gallwitz ist einer der bedeutendsten Polizeipsychologen in Deutschland.

© Thomas Wessolowski/Hochschule für Polizei/dpa

Das kann man so nicht sagen. Das hat vielleicht auch etwas damit zu tun, dass die Polizei sehr sensibel vorgegangen ist. Denn Familien, die ihre Kinder vermissen, erleben es als sehr unangenehm und dramatisch, wenn der Eindruck entsteht, sie könnten etwas mit der Situation zu tun haben. Aber auch das weitere Umfeld der Familie, auch die entfernteren Nachbarn sind sehr wichtig, wenn es um die Ermittlungen beim Verschwinden von Kindern in dieser Altersgruppe geht.

Was muss bei einer Suche nach einem Kind beachtet werden?

Das hängt sehr von der vermissten Person ab. Wichtig ist, so viel wie möglich über die Gewohnheiten und Verhaltensweisen des Verschwundenen herauszufinden.

Die Polizei hatte bislang täglich rund 150 Beamte bei der Suche im Einsatz. Wie lange muss ein solcher Aufwand betrieben werden?

Die Polizei wird das tun, so lange es nötig ist. Aber das ist natürlich ein Aufwand, der einzelne Polizeidienststellen ganz schön in Schwierigkeiten bringen kann. Erfahrungswerte gibt es nicht. Die Entscheidung, wann eine Suche personell heruntergefahren wird, muss der Dienststellenleiter treffen und auch verantworten.

Noch am Abend von Elias’ Verschwinden begannen mehrere hundert Bürger, zusammen in Suchtrupps das Stadtviertel abzusuchen. Ist das sinnvoll oder kontraproduktiv, werden womöglich Spuren verwischt?

Es hat Vor- und Nachteile, ist aber auch nicht zu verhindern. Die Menschen wollen helfen, sie wollen etwas tun und nicht nur auf gute oder traurige Nachrichten warten. Damit müssen wir umgehen. Die Polizei wird ihre Strategien unabhängig davon umsetzen.

Zehntausende kommunizieren zu dem Fall über Facebook. Welche Rolle spielen die sozialen Netzwerke in solchen Fällen?

Die sozialen Netzwerke sind ein sehr gefährliches Medium, weil hier sehr schnell Stimmungen entstehen und wieder kippen können. Wir haben auch schon Fälle gehabt, in denen Tatverdächtige, die sich letztlich als unschuldig herausstellten, vorverurteilt und für die Bestrafung gefordert wurden.

Die Mutter gibt an, eine Stunde nicht nach ihrem Sohn geschaut zu haben, als dieser auf dem Spielplatz vor dem Wohnhaus spielte. Ist das zu lange?

Das kann man nicht pauschal sagen. Bei der Frage der Aufsichtspflicht spielen viele Dinge eine Rolle. Kinder dieses Alters gehen in die Schule, oft genug sind sie auf dem Nachhauseweg unbeaufsichtigt. Es kommt darauf an, was man mit seinem Kind geübt und welche Verhaltensweisen man mit ihm trainiert hat, etwa, Bescheid zu sagen, wenn man den Spielplatz verlässt und woanders hingeht.

Immer wieder verschwinden Kinder. Wenn sie nach einigen Tagen nicht gefunden sind, gibt es dann überhaupt noch Hoffnung?

Wir müssen uns mit jedem Tag mehr damit auseinandersetzen, dass etwas passiert ist, woran wir nicht denken mögen. Fälle wie der von Natascha Kampusch, wo jemand über lange Zeit gefangen gehalten, aber letztlich doch lebend gefunden wurde, sind sehr selten und fallen statistisch gesehen kaum ins Gewicht.

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