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Sucht: Kritik an Extratouren für rauchende Politiker

In Berlin wird heftig über die Abgeordneten debattiert, die trotz des Entwurfes zum Nichtraucherschutzgesetz in ihren Fraktionsräumen weiter rauchen wollen. Der Landespersonalrat fordert Entwöhnungskurse.

Privatsache oder Zwei-Klassen-Gesetz? In Berlin wird heftig über die Abgeordneten debattiert, die trotz des Entwurfes zum Nichtraucherschutzgesetz in ihren Fraktionsräumen weiter rauchen wollen. Geplant ist, ab 2008 das Rauchen in öffentlichen Gebäuden und Gasträumen komplett zu verbieten. Mitarbeiter von öffentlichen Verwaltungen müssen künftig zur Zigarettenpause bei jedem Wetter nach draußen gehen.

In ihren persönlichen Büros wollen einige Politiker aber nicht auf den blauen Dunst verzichten, schließlich enden die Befugnisse der Verwaltung vor den Türen der einzelnen Fraktionsräume. Jede Fraktion müsse daher selber entscheiden, wie sie mit rauchenden Parteikollegen umgeht, hieß es.

FDP-Fraktionschef Martin Lindner findet diese Herangehensweise richtig: „Ich bin Fraktionschef und nicht Hausvater“, sagte er. Die Liberalen setzten auch gegenüber Rauchern auf Eigenverantwortung. „Doch die Freiheit der Raucher endet dort, wo sich Nichtraucher belästigt fühlten“, ergänzte Lindner.

Wütend reagiert dagegen der Berliner EU-Abgeordnete Michael Cramer. Der Grünen-Politiker ärgert sich über die fehlende Vorbildfunktion der Parlamentarier. Selbst wenn sich das Qualmen auf einige Räume der Fraktionen beschränkte, ziehe der Rauch beim Öffnen der Tür durch das Abgeordnetenhaus. „In Sachen Nichtraucherschutz hinken wir anderen Ländern um Jahre hinterher“, sagte Cramer.

Allerdings räumt der Grünen-Politiker ein, dass sich auch seine Parlamentskollegen in Straßburg den Nichtraucherschutzgesetzen nicht beugen wollten. „Im Europaparlament rauchen Abgeordnete sogar dort, wo Nichtraucherzonen ausgeschildert sind“, weiß Cramer.

Von einem Zwei-Klassen-Gesetz spricht der Vorsitzende des Hauptpersonalrates des Landes Berlin, Uwe Januszewski. Er sagte, die Mitarbeitervertreter des Landes hätten kein Verständnis für die Raucherwünsche der Abgeordneten. Berlins ranghöchster Personalrat regte gestern außerdem „Raucherentwöhnungskurse für Politiker“ an. „Abgeordnete sollten sich selber an die von ihnen beschlossenen Gesetze halten“, sagte Januszewski.

Unterstützt wurde diese Forderung von Lesern des Tagesspiegels: In einer Demokratie seien zwar alle Menschen gleich – „wer die Macht hat, ist aber eben etwas gleicher“, hieß es etwa in einem Internet-Kommentar. Andere kritisierten die „Sonderregelungen“, die Politiker für sich einführen wollten. Manchen Abgeordneten scheine die „himmelschreiende Diskrepanz zwischen ihren Predigten ans Volk und dem, was sie selber zu tragen bereit seien“, nicht mehr aufzufallen.

Viele Leser begrüßten den Gesetzentwurf zum Nichtraucherschutz. Die Regelung sieht Ausnahmen für Gaststätten, Justizvollzugsanstalten, Wartebereiche in Gerichten und Vernehmungsräume der Polizei vor. Hier gehe es darum, die Privatsphäre zu schützen oder negative gesundheitliche Auswirkungen eines Nikotinentzuges zu verhindern.

In Berlin raucht nach Senatsangaben jeder dritte über 15-Jährige. Fast jedes zweite Kind wachse in einem Haushalt auf, in dem geraucht werde. hah/ wvb

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