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Berlin: Susanne Erichsen: Die Kameras sind alte Bekannte

Zuerst sah man ein großes Schwarzweißfoto der strahlend schönen Susanne Erichsen, auf dem sie mit leuchtenden Augen und leicht geöffneten Lippen in die Kamera schaut. Dann ertönte die Mozart-Arie "Dies Bildnis ist bezaubernd schön".

Von Susanna Nieder

Zuerst sah man ein großes Schwarzweißfoto der strahlend schönen Susanne Erichsen, auf dem sie mit leuchtenden Augen und leicht geöffneten Lippen in die Kamera schaut. Dann ertönte die Mozart-Arie "Dies Bildnis ist bezaubernd schön". Sie wirkte nicht übertrieben. Und man begann, sich Sorgen zu machen. Dieses Foto ist ein knappes halbes Jahrhundert alt, und gleich kommt die Frau selbst auf den Laufsteg. Das kann eigentlich nur schief gehen.

Es ging nicht schief. Susanne Erichsen, die am 30. Dezember 75 wird und aus ihrem Alter nie einen Hehl gemacht hat, kann etwas, was nur wenigen Menschen gelingt: gegen ihr eigenes Bild von vor 50 Jahren antreten und dabei nicht schlechter abschneiden. Die Traurigkeit, die einen beschleicht, wenn man alte Menschen im Vergleich mit Bildern von früher sieht, blieb aus. Susanne Erichsen ist noch immer eine Schönheit. Und sie besitzt eine außerordentliche Laufsteg-Präsenz. Auf die zahlreichen Kameras ging sie zu wie auf alte Bekannte, drehte sich, grüßte ins Publikum. Und manchmal wurde ihr Lächeln breiter, als sei diese Veranstaltung ein besonders gelungener Spaß. So könnte sie gelächelt haben, als sie sich im Krieg als Einreiterin für Kavalleriepferde meldete, ohne überhaupt reiten zu können.

Aus dem abenteuerlichen Leben der gebürtigen Berlinerin erzählte der Gastgeber des Abends, der Wilmersdorfer Modemacher Klaus Kiesewetter, während der Umziehpausen. Gerade noch hatte man sich ganz dem schönen Schein hingegeben und Susanne Erichsens tadellose Beine bewundert, da erfuhr man, dass sie 1945 irrtümlich verhaftet wurde, zwei Jahre in sowjetischer Kriegsgefangenschaft auf dem Bau schuftete und erst 1947, ausgemergelt und in Lumpen, in die Heimatstadt zurückkam. Wer von einer solchen Erfahrung nicht gebrochen wird, wächst an ihr. Susanne Erichsens Ausstrahlung wird offenbar von einer Persönlichkeit mit eisernem Willen gespeist.

Wieder zwei Jahre später bekam sie das Angebot, als Model zu arbeiten, 1950 wurde sie zur ersten "Miss Germany" nach dem Krieg gewählt. Es folgte die Mannequin-Karriere, erst in Berlin bei Heinz Oestergaard sowie Gehringer und Glupp, dann in New York. Mitte der 60er kam sie heim und eröffnete eine Mannequin-Schule. Wie man Kleider vorführt, hat sie nie vergessen. Kiesewetters elegante, vorwiegend schwarze Outfits präsentierte sie mit großer Sicherheit und einem gehörigen Schuss Selbstironie.

Susanne Erichsen könnte auch heute noch einen geräumigen Saal füllen. Kiesewetters winziges Wilmersdorfer Geschäft war hoffnungslos überfüllt, und im restlos besetzten Vorzelt begannen die Gäste in vorschriftsmäßiger Abendkleidung nach kurzer Zeit vor Kälte zu bibbern. Der Abend war mit Geschmack und Gespür für dramatische Wirkung zusammengestellt. Schade, dass sich kein (im räumlichen Sinne) passenderer Rahmen gefunden hat.

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