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Berlin: Sven Laak (Geb. 1962)

Er wollte den Alltag, mit aller Gewalt, er wollte so weiterleben wie bisher

Wen konnte er verfluchen, dafür, dass er sterben musste, viel zu früh sterben, früher als all die anderen, die so leidenschaftslos lebten? Sein Lebenswille hätte noch hundert, ach was, zweihundert Jahre gereicht.

Gerade als das Glück so zum Greifen nah gewesen war und ein Engel an seine Tür gepocht hatte, Michi, die Liebe seines Lebens. Nach so vielen Romanzen endlich die Frau, mit der er ein Zuhause aufbauen wollte, mit der er seine größte Passion teilen konnte: Angeln.

Mit drei hatte er seinen ersten Fisch gefangen. Der Vater hatte ihm die Rute in die Hand gegeben, Wasserplätschern, Sonnenstrahlen, und plötzlich der große Fang: Ein kleiner Barsch! Sven war außer sich vor Glück. Die Oma nicht, denn von nun an brachte er eine Menge Fisch an. „Was soll ich nur machen, ich kann den Fisch nicht mehr sehen, ich leg den ein, ich brat’ ihn, ich koch’ ihn!“ – „Schmeiß ihn weg!“ – „Kann ich auch nicht!“

Angeln blieb seine Leidenschaft, auch in den wilden Zeiten. Morgens um vier oder fünf, wenn er die Nacht durchgetanzt hatte, todmüde eine Glocke an die Angel und raus ans Ufer.

In der Schule hatte er weniger Spaß. Nach der Zehnten ging er ab, begann eine Lehre als Installateur, die er auch durchzog, auf sanften Druck seines Vaters.

Das Glück führte ihn geradewegs in den Friedrichstadtpalast, dort wurde er Haushandwerker. Toller Job Mitte der Achtziger. Das kulturelle Prestigeprojekt der DDR: keine Versorgungsprobleme und jede Menge schöne Frauen. Seinem Privatleben tat das nicht gut. Er wurde zwei Mal Vater, aber seine Freiheit wollte er nicht aufgeben. Im Gegenteil, er wollte endlich ganz selbstständig werden.

1991 machte er seinen Angelladen auf, ein Wahnsinn eigentlich, mitten in Berlin, aber er zog es durch. Der Laden war ein Teil von ihm, das sah man, wenn man reinkam, da gab es alles, wovon ein Angler träumt.

Zwei, drei Monate arbeitete er im Laden, dann nahm er sich frei und ging auf Reisen. Hochseeangeln in Norwegen, Meditations- und Partytrips nach Indien. Angler sind seltsame Temperamente: Er war Buddhist und Jäger zugleich. Immer auf der Hatz nach dem Glück, dann wieder zu Füßen des Gurus, Ruhe atmen.

Er hatte es leicht, Freunde zu finden, überall, und vielleicht wäre er einfach irgendwann irgendwo in der Welt verschwunden.

Michi gab ihm Halt. Sie zogen zusammen. Endlich, nach 15 Jahren des Wartens, bekam er den Zuschlag für seinen Traumgarten. Ein Grundstück in Oranienburg, mit verfallenem Haus und Scheune. Seine Hazienda. Jetzt konnte er den Traum wahrmachen, wären da nicht diese Rückenschmerzen gewesen.

Die Ärzte ließen sich Zeit. „Rückenschmerzen bildet man sich ja auch gern mal ein.“ Da lief er schon ganz gekrümmt. „Auf dem Röntgenbild ist nichts zu sehen, Sie sind kerngesund, Herr Laak.“ Die teurere Untersuchung wurde hinausgezögert, dann endlich Klarheit dank der Computertomografie: Lungenkrebs.

Im Jahr darauf heirateten sie. In Görlitz auf der Brücke hat er ihr den Antrag gemacht, nach der Operation. Er ging auf die Knie. Sie lachte. Sie nahm es zuerst nicht ernst. Er meinte es verdammt ernst. Er wollte den Alltag, mit aller Gewalt, er wollte so weiterleben wie bisher. Das Glück nicht aus den Augen verlieren.

Er, der nie gebremst hatte, immer auf der Überholspur unterwegs gewesen war, er wurde ausmanövriert, einfach so. Das konnte nicht sein. Er ließ seinen Kummer an anderen aus, auch an Michi. Krankheit macht egoistisch, ungerecht. Er haderte. Du lebst, und ich werde sterben. Und im nächsten Moment war er wieder ganz weich, umgänglich, voller Hoffnung.

Sie fuhren gemeinsam nach Costa Rica, er hat dort noch einmal in seiner Lieblingsrolle geglänzt, Robinson Crusoe. Aber als er dann zu Hause im Garten die Sense in die Hand nehmen wollte, konnte er sie nicht mehr halten.

Er wollte nicht loslassen! Niemals. Da sitzt man am langen Fluss des Lebens, so voller Freude und Liebe, den größten Fang vor Augen, und plötzlich gleitet einem alles aus den Händen, für immer. Gregor Eisenhauer

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