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Berlin: Szeneviertel mit Turm und Tacheles

Millionen knipsender Touristen können nicht irren: Das Tacheles ist fotogen. Aber nach dem Willen der Bezirksverordnetenversammlung dürfte die freie Sicht auf die Künstlerruine in absehbarer Zeit verbaut werden.

Millionen knipsender Touristen können nicht irren: Das Tacheles ist fotogen. Aber nach dem Willen der Bezirksverordnetenversammlung dürfte die freie Sicht auf die Künstlerruine in absehbarer Zeit verbaut werden. Nach jahrelangem Hin und Her hatten die BVV-Mitglieder im Dezember mehrheitlich den Bebauungsplan für die Brache zwischen Friedrich-, Johannis-, Tucholsky- und Oranienburger Straße beschlossen. Damit ist zwar noch nicht klar, wie die einzelnen Gebäude aussehen werden, wohl aber die Dimension des Vorhabens - und die ist gewaltig.

Zwischen 400 und 500 Millionen Euro will die Kölner Fundus-Gruppe als Eigentümerin des 30 000 Quadratmeter großen Grundstückes investieren. Ein "Szeneviertel, also ein Gemisch aus Büros, Wohnungen, einem Hotel und Boutiquen", kündigt Fundus-Sprecher Peter Clever an und stellt zugleich klar: "Das Tacheles als Künstlerruine wird bleiben." Ringsum sollen insgesamt 83 000 Quadratmeter Gebäudeflächen entstehen, von denen laut Fundus eine Hälfte auf Büros, Handel und Gastronomie entfällt. Hinzu kämen "30 Prozent Wohnanteil und 20 Prozent für ein Designerhotel". Nachdem das vom Bezirk abgenickt worden ist, würden nun Architekten für die einzelnen Gebäude beauftragt und "im 2. Quartal mit ersten Vorarbeiten angefangen". Der eigentliche Baubeginn sei für den Jahreswechsel 2002 / 2003 avisiert; zwei Jahre darauf soll alles fertig sein. Vorher abgerissen werden muss nichts, denn das hatten die Behörden schon 1989 erledigt, als sie die Oranienburger an die Reinhardtstraße anbinden wollten. Auch ins Tacheles-Gebäude waren schon die Sprenglöcher gebohrt, aber dann besetzten Künstler die Ruine und stoppten so ihren Abriss.

In den letzten Jahren hatten sich fast 20 Architekturbüros an einem Masterplan für das Areal versucht - und wieder aufgegeben oder vom Bezirk einen Korb bekommen. Nun konnte das Konzept des amerikanischen Büros Duany überzeugen. Mittes Stadträtin für Stadtentwicklung, Dorothee Dubrau (Grüne) sagt, der jetzige Bebauungsplan regele zunächst nur die Ausmaße: Bei 31 Metern Höhe sei Schluss. Fundus-Sprecher Clever sagt dazu: "Diese Höhe wird die Ausnahme. Ansonsten wird nichts höher als das Tacheles - außer vielleicht der Turm."

"Der Turm" soll eines der neuen Gebäude an der Friedrichstraße zieren und ist ein Reizwort für Sven Diedrich (PDS), den Vorsitzenden des Stadtentwicklungsausschusses Mitte: Ein "Kitsch-Town mit Plätzchen und Türmchen" sieht er nun kommen, nachdem alle anderen BVV-Fraktionen das Nein der PDS zum Bebauungsplan überstimmt haben. Zwar sind die Einzelheiten der Architektur noch nicht geklärt, aber die Richtung ist absehbar: New York der 20er Jahre, "New Urbanism" genannt. Daher kommt auch Diedrichs zweites Reizwort: "Bügeleisen". Dessen Original, das markant-schlanke "Flatiron Building", gehört zu den Wahrzeichen New Yorks. Eine abgewandelte und verkleinerte Kopie soll nun vom Broadway in die Oranienburger importiert werden. "Das Bügeleisen wird das höchste Gebäude", sagt Stadträtin Dubrau. Die Frage, ob sie einen Nachbau von achtzig Jahre alter US-Architektur begrüße, umschifft sie: "Wir haben keine planungsrechtliche Möglichkeit, die Architektur zu beeinflussen." Sie wünsche sich "einen Wettbewerb für jedes einzelne Gebäude".

PDS-Mann Diedrich findet, die Pläne seien in der neuen BVV nicht ausreichend erörtert und halbgar durchgedrückt worden. Er fürchtet Ärger mit der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, die in der Vergangenheit schon Teile des Konzeptes moniert hatte. Eine Sprecherin von Stadtentwicklungssenator Peter Strieder (SPD) sagt allerdings, momentan bestehe "keine Notwendigkeit,dass der Senat eingreifen müsste. Im Gegenteil, denn da klafft ja wirklich eine Lücke."

Drei neue Wege sollen das Areal durchziehen; laut Fundus eher Fußgängerpassagen als Straßen. Über mögliche Namen habe der Investor sich noch keine Gedanken gemacht, aber eine der Straßen könnte durchaus nach der DDR-Entertainerin Helga Hahnemann benannt werden, die oft im nahe gelegenen Friedrichstadtpalast auftrat. Weil die Straßen auf Privatgrund liegen, kann der Bezirk allenfalls Empfehlungen aussprechen und die "Durchwegungsrechte" sichern, damit der Eigentümer nicht später einfach eine Schranke herunterklappen kann.

Bleibt die Frage nach dem Verkehr. Privatautos müssen am künftigen Johannisviertel draußen bleiben - und zwar in einer Tiefgarage mit mindestens 800 Plätzen. Deren Hauptzufahrt soll über die Oranienburger, eine kleinere über die Johannisstraße führen. Allerdings kann das ohnehin staugeplagte Karree kaum noch zusätzlichen Verkehr verkraften. Eine Lösung ist noch nicht in Sicht - vielleicht hilft ein Blick nach New York weiter.

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