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Wie früher. Einige der Tacheles-Künstler haben an der Bernauer Straße ein 1000 Quadratmeter großes Grundstück angemietet (rechts). Das Flair im Künstlerdorf soll ähnlich sein wie einst im Stammhaus an der Oranienstraße in Mitte.

© Björn Kietzmann

Tacheles bekommt neuen Standort: Künstler planen Ateliers am Nordbahnhof

Die Macher des Kunsthauses Tacheles planen eine neue Heimat: ein buntes Dorf mit mobilen Ateliers und Werkstätten am Nordbahnhof.

Noch ist hier alles Brachland. Einfahrende Züge lassen den Boden vibrieren, Schnee bedeckt das Grundstück. An den Rändern weicht er langsam zurück, graubraunes Gras lugt hervor und schmiegt sich an graffitibesprühte Container, in denen sich Gerümpel stapelt. Drinnen liegt eine leere Ketchupflasche zwischen Pressholzplatten, ein Schild legt Preise für Pommes und Döner fest. Doch die Jalousien sind heruntergelassen, hier frittiert und kassiert niemand mehr.

Zwischen zwei Containern ist ein Unterstand, darin verwitterte Stehtische. An einem davon stehen Hüseyin Arda und Emilie Gotmann. Der angegraute Mann in der Wolljacke und die junge Frau fühlen sich sichtlich wohl an diesem Ort der Trostlosigkeit. Sie blinzeln in die schüchtern hervorlugende Frühlingssonne, rauchen, lächeln. Aufbruchsstimmung. „Wo wir gerade stehen, soll ein Musikstudio entstehen“, sagt Arda. Wenn er spricht, entstehen Ateliers, ein buntes Künstlerdorf baut sich auf, man sieht Menschen kommen und gehen, reden, arbeiten. Arda zeigt nach links auf eine Containerbude, über deren geschlossenen Rollladen sich ein bunter Schriftzug zieht. „Da wird ein Maler sein Atelier haben.“

Auf der anderen Seite der 1000 Quadratmeter großen Fläche soll aus zwei Containern ein Ableger der Tacheles-Metallwerkstatt entstehen, deren Chef Hüseyin Arda ist. „Mobile Atelier Project“, kurz MAP, nennt er sein Konzept der mobilen, selbst verwalteten Werkstätten. Dabei geht es um nicht weniger als das, was Hüseyin Arda „die Tacheles-Idee“ nennt: die Möglichkeit, selbstbestimmt zu arbeiten, verantwortlich für das eigene Atelier und die Vermarktung der Kunst, aber trotzdem als kreatives Kollektiv zusammenzuwirken. „Es sollen keine Mietateliers sein“, stellt Arda klar. Das Projekt ist außerdem fließend angelegt, die Künstler werden in unbestimmten Abständen wechseln.

Der Standort am Nordbahnhof ist MAP Nummer drei, nach dem ursprünglichen Kunsthaus Tacheles und dem Skulpturenpark mit Fotostudios, die im April 2012 in einem Hotel an der Warschauer Straße eröffneten. Vom Aufgeben will er aber nichts wissen. „Es ist ein weiteres Standbein, keine Alternative“, sagt Arda. Nach wie vor arbeiten etwa 30 Künstler der Metallwerkstatt im Stammhaus in der Oranienburger Straße.

Sie kämpfen gegen die Räumung, aktuell geht es um eine Freifläche am Tacheles, für die der Zwangsverwalter einen Herausgabeanspruch stellt. Am 10. April ist der nächste Gerichtstermin.

Nicht unterkriegen lassen.

Arda will sich von dem andauernden Kampf um das Kunsthaus nicht unterkriegen lassen. „Es gab immer eine Bedrohung“, sagt der 43-Jährige, „nur dass sie nun vielleicht ein bisschen größer ist.“ Er ist seit der Besetzung der Ruine im Jahr 1990 dabei, hat den Kampf gegen den Abriss Anfang der Neunzigerjahre miterlebt, die Erleichterung, als das Gebäude nach einem Gutachten den Denkmalschutz zugesprochen bekam. Dann die Blütezeit, als Künstler und Choreografen den Innenhof mit Skulpturen und Performances füllten, unter ihnen Berühmtheiten wie die Tanzchoreografin Sasha Waltz, die mittlerweile Abschied genommen hat von einer übersättigten Berliner Kulturszene.

Auch für das Tacheles sah es eine Zeit lang so aus, als wäre es im rasenden Fortschritt Berlins nach der Wende unter die Räder gekommen. 2008 lief der offizielle Mietvertrag aus, der Verein Tacheles e. V. ging insolvent und das Gebäude wurde an die HSH Nordbank überschrieben. Am 4. September 2012 wurde das Tacheles geräumt. Die Gastronomie war schon vorher gegen eine Entschädigung von einer Million Euro freiwillig ausgezogen, viele Künstler unterschrieben eine Räumungsvereinbarung, um ihre Mietschulden bezahlen zu können. Nur die Metallwerkstatt blieb im Gebäude in der Oranienburger Straße. Dort verbreitet es, eingerahmt von schicken Cocktailbars und Restaurants, immer noch das abgeranzte Punk-Flair der Hausbesetzerära.

Auch am Nordbahnhof werden die Künstler auf Werbeschilder für schicke Eigentumswohnungen blicken. „Wir wollen hier kein Schickimicki“, sagt Arda. Eine ihrer Forderungen ist das „Recht auf Stadt als Menschenrecht“ – ein sehr aktuelles Thema, findet Arda. „Was gerade mit der East Side Gallery passiert, ist eigentlich das Gleiche“, sagt er und beklagt: „Die Beteiligung der Berliner beim Protest für die Erhaltung des Tacheles war nie so überragend.“ Stattdessen erfahre das Künstlerkollektiv viel internationale Unterstützung. Die Französin Emilie Gotmann etwa arbeitet seit vier Jahren in der Metallwerkstatt. Die 27-Jährige freut sich auf den neuen Ableger des Kunsthauses, plant schon, wie man die neue Metallwerkstatt einrichten könnte. „Ich habe so viel vom Tacheles gelernt, das möchte ich jetzt weitergeben“, sagt sie.

Am 13. 4. veranstaltet das Kollektiv „Artprotacheles“ ein Volksfest an allen drei Standorten. Am 1. Mai soll das Gelände an der Gartenstraße offiziell eröffnet werden. Mehr Informationen unter www.artprotacheles.blogspot.com.

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