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Auf dem gepflasterten Streifen verlief früher die Mauer. Aber wo ist Berlins Zentrum, wo waren die Mittelpunkte von West- und Ost-Berlin?

© Mike Wolff

Tag der Einheit in Berlin: Die Suche nach den Flächenschwerpunkten von Ost- und West-Berlin

Berlins Flächenschwerpunkt liegt in Kreuzberg. Aber wo war der des alten Westens, wo der des Ostens? Gar nicht einfach, das heute noch herauszufinden.

Nördliche Breite 52° 30’ 10’’,4; östliche Länge 13° 24’ 15’’,1 – dies haben amtliche Vermessungstechniker für Berlin als „Flächenschwerpunkt in den Grenzen von 1996“ festgelegt. Der Ort ist sogar mit einer beschrifteten, Berlin im Umriss samt Mittelpunkt zeigenden Granitplatte markiert. Man findet sie in Kreuzberg, knapp südwestlich des vom Alexandrinen-, Lobeck- und Ritterstraße eingerahmten Sportplatzes. 3.745 Grenzpunkte von Berlin waren damals vom Vermessungsamt Kreuzberg in den Computer eingegeben worden, der dann vor sich hinrechnete und schließlich den markierten Ort ausspuckte. Hier also ließe sich Berlin auf einer Nadelspitze balancieren.

Der geographische Mittelpunkt Berlins liegt in Kreuzberg und wird durch einen Gedenkstein angezeigt.
Der geographische Mittelpunkt Berlins liegt in Kreuzberg und wird durch einen Gedenkstein angezeigt.

© Doris Spiekermann-Klaas

Die Mitte des alten Westens

Hier ganz in der Nähe muss es sein: das geographische Zentrum von West-Berlin, der Flächenschwerpunkt der alten Teilstadt, ihre Mitte, ihr Herz, jedenfalls geodätisch gesehen. Etwa da, wo die Westfälische Straße in den Kurfürstendamm einmündet, tiefstes Halensee, Kernland des alten Westens, im Umfeld des Henriettenplatzes, den unentwegt die alltägliche Autokarawane durchschneidet. Aber wo genau? Schwer zu sagen, unser Messgerät arbeitet recht unpräzise. Vielleicht auf der Südseite des Platzes, in diesem Ensemble aus Kolonnaden, Wartehäuschen, Zeitungskiosk? An Letzterem prangt gülden die Aufschrift „Tagesspiegel“. Ist dieses Blatt also gewissermaßen der Mittelpunkt von West-Berlin? Schöne Vorstellung, aber unser Messgerät legt doch eher einen etwas nördlicheren Punkt nahe. Der bronzene Obelisk des Künstlers Heinz Mack, wie das Kolonnadenensemble 1987 zur 750-Jahr-Feier aufgestellt, kommt schon eher hin, vielleicht auch das benachbarte Denkmal für den Großen Kurfürsten und seine Gemahlin Luise-Henriette von Oranien-Nassau, gestiftet 1988 von „niederländischen Unternehmern in Berlin“.

Hier in dem vom Kurfürstendamm durchschnittenen Henriettenplatz in Halensee muss er irgendwo liegen: der Mittelpunkt von West-Berlin.
Hier in dem vom Kurfürstendamm durchschnittenen Henriettenplatz in Halensee muss er irgendwo liegen: der Mittelpunkt von West-Berlin.

© Kai-Uwe Heinrich

Wie auch immer, dies hier ist tiefster alter Westen, Kurfürstendamm, aber noch fern des Glanzes, wenn es weiter gen Osten geht. Kleine Geschäfte bestimmen das Bild, ein Eiscafé, das Filiale einer Bäckereikette, ein „Coiffeur“ mit Schönheitssalon, auch die Sparkasse fehlt nicht. Auf den ersten Blick hat sich nicht viel verändert im vergangenen Vierteljahrhundert. Na gut, den riesige Bauhaus-Markt im Alu-Look jenseits der Kurfürstendammbrücke gibt es erst seit knapp drei Jahren, aber sonst? Auch die 89-jährige Christel Meyer, die seit rund 60 Jahren in der Gegend wohnt, fällt so rasch nichts ein, fragt man sie nach neueren Veränderungen. Aber noch immer ärgert sie sich über die Umgestaltung des Henriettenplatzes vor fast 30 Jahren. Früher habe man von der Westfälischen über den Ku’damm weg gleich bequem in die Ringbahnstraße fahren können, jetzt müsse man herumkurven, viele Ortsfremde fänden sich gar nicht mehr zurecht. Und den Abriss des alten Bahnhofs Halensee beklagt sie ebenfalls, doch das war sogar schon in den Fünfzigern.

Aber ist hier überhaupt der geographische Mittelpunkt von West-Berlin? Präzise, geschweige denn offizielle Angaben sind dazu nicht zu haben. Zeitungsarchiv? Google? Fehlanzeige. Anruf bei der TU? Ohne Antwort. Auch im Stadtmuseum hatte man in der großen Ausstellung „West:Berlin – Eine Insel auf der Suche nach Festland“ die Frage nach dem geographischen Mittelpunkt dieser Insel ausgeklammert. Und in der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, an sich zuständig auch für Vermessungsfragen, heißt es nur, man könne „zu den geographischen Mittelpunkten und deren Errechnungen der alten Teilstädte West- und Ost-Berlin nach fast 30 Jahren leider keine Angaben mehr machen“. Kann gut sein, dass dies im alten Westen, der sich stets eher als Provisorium, als Teil eines zu rekonstruierenden Ganzen begriff, ohnehin niemanden interessiert hat.

Bleibt nur die Selbsthilfe, der Griff zu Stadtplan, Schere, Pappe, Klebstoff. In diesem Fall die Übersichtskarte aus einem Falk-Plan von 1983. West-Berlin hat dort die Größe einer Handfläche, wird ausgeschnitten, auf Pappe geklebt, erneut ausgeschnitten. In den Korken einer Flasche stecke man eine Nadel, die Spitze nach oben, auf der man nun versucht, West-Berlin in Balance zu bringen, was gar nicht so einfach ist. Aber nach einigem Probieren ist der Flächenschwerpunkt ermittelt: Henriettenplatz, jedenfalls so ungefähr.

Die Mitte des alten Ostens

Nanu? Wie das? Kein Schild, kein Hinweis, keine Zeugen und auch kein Tatort. Niemand kennt den geografischen Mittelpunkt der Hauptstadt der Deutschen Demokratischen Republik, Berlin. Blitzumfrage: „Die Partei“, sagt der lustige Kollege Stephan, „Der Fernsehturm“, meint Claudia, „Die Müggelberge“, tippt Susi, und Harald schwört auf die Bären-Flagge vom Roten Klinker-Rathaus.

Alles falsch.

Was wäre, wenn Berlin ohne die Wende das geblieben wäre, was es bis vor 26 Jahren war? Zwei Städte, zwei Zentren, zwei Regierungen, zwei Bürgermeister, zwei Rathäuser. Jeder wurstelt vor sich hin. Der Osten bejubelt (zu Recht!) jeden Neubaublock „für unsere werktätigen Menschen“, der Westen bemerkt, dass ihm „bezahlbare Wohnungen“ fehlen, was nun schleunigst nachgeholt werden müsse. Auch für jene Neu-West-Berliner, zu denen sich Omas und Opas zählen, die es als Rentner vorziehen, einen flotteren Lebensabend zu genießen. Die Bundesregierung ist sehr großzügig und gewährt jedem Ost-Berliner einmal im Jahr eine Reise nach Mallorca (oder so), im Gegenzug öffnet die DDR jeweils zu Großereignissen ihre Grenzen, zum Konzert von Staatskapelle und Philharmonikern in der Waldbühne, zu Hertha-Spielen gegen Union im Olympiastadion, zur Ifa und ITB, auch zur Grünen Woche. Die Verwaltung wird mächtig auf Trab gebracht, der Aufwand ist groß, bis ein Genosse auf die Idee kommt, nurmehr den Personalausweis als S-Bahn-Reisedokument anzuerkennen. Darüber stürzt der West-Berliner Senat, weil sich die Brüder und Schwestern zwischen Dreilinden und Zimmerstraße mit solch einem Freifahrtschein für die Ostler schwer benachteiligt sehen. Und so weiter.

Der Pfau im Tierpark Friedrichsfelde kommt dem geographischen Mittelpunkt Ost-Berlins sehr nahe.
Der Pfau im Tierpark Friedrichsfelde kommt dem geographischen Mittelpunkt Ost-Berlins sehr nahe.

© Kai-Uwe Heinrich

Ist ja alles Vergangenheits-Spinne. Aber die Wahrheit über die Mittelpunkte der Stadthälften muss endlich ans Licht. Und siehe: Unsere erfinderischen Damen vom Archiv kommen plötzlich triumphierend mit einem kleinen Zweispalter aus der „Berliner Zeitung“ vom April 1988, und da kommen wir der Sache beträchtlich nahe: Das Kombinat Geodäsie und Kartografie bestimmte den geografischen Mittelpunkt der Hauptstadt.

Er liegt (oder lag) im Tierpark, nahe der Kamelwiese, mitten in dem Karl Foerster gewidmeten Staudengarten. Der berühmte Potsdamer Staudenzüchter starb im 96. Lebensjahr anno 1970. In seiner Potsdamer Wirkungsstätte wird er ebenso geehrt wie in „seinem“ Garten. Da steht seine Büste, das Gesicht eines sympathischen alten Herrn, geschaffen von der Bildhauerin Senta Baldamus. In den Stauden liegt unvermittelt ein Bronze-Jüngling, und den radschlagenden Pfau mit blauen Glasmosaiksteinen von Rudolf Hilscher hätten wir fast übersehen. Gegen die Zeit, die die Bäume, Farne und Gräser wuchern lässt, ist noch kein Kraut gewachsen. Mitten in dem wilden Garten plätschert ein Bächlein über Stock und Stein – kaum gibt es im Tierpark noch solch natur-idyllisches Fleckchen. Aber es gab nie einen Hinweis darauf, dass hier, in Foersters Garten, der Mittelpunkt der Hauptstadt der größten DDR der Welt lag. Man kann es sich im Nachhinein aussuchen: Ist es nun die Nase vom Karl Foerster oder der schlanke Hals vom Pfau?

Egal. Es zählt nicht mehr. Aber wir freuen uns daran und entdecken viel Neues. Ein Tagesausflug lohnt sich allemal. Und eine kleine Minute des Nachdenkens in der Mitte einer Hauptstadt, die es so nicht mehr gibt, aber in der jene, die heute ihren Enkeln Affen, Löwen und die Welt erklären, hier mit Foersters Pflanzen groß geworden sind.

Wer an den offiziellen Feierlichkeiten zum Tag der deutschen Einheit teilnehmen möchte, muss in diesem Jahr bis nach Dresden reisen. Doch auch in Berlin wird gefeiert. Von privater Seite organisiert, findet das Fest auf der inoffiziellen Feiermeile der Stadt, der Straße des 17. Juni, statt, und zwar noch diesem Sonntag, 10 bis 23 Uhr, und am Montag, 10 bis 20 Uhr. Geboten wird ein buntes Programm mit Tanz, Livemusik, Biergarten etc. Gesperrt bleibt die Straße bis Dienstag, 24 Uhr. Im Berliner Dom gibt es am Montag um 10 Uhr einen Gottesdienst zur Einheit.

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