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Volle Sitzreihen bei allen Vorträgen und Veranstaltungen am Tag der offenen Tür.

© Kitty Kleist-Heinrich

Tag der offenen Tür beim Tagesspiegel: Zeit für die Zeitung

Sie waren neugierig, kritisch, wohlwollend – und spendeten Applaus: 3000 Leser kamen am Sonnabend ins Verlagsgebäude am Askanischen Platz. Sie holten sich Informationen und trafen ihre Lieblingsautoren.

Von Sandra Dassler

Es muss nicht immer der ganz große Journalismus sein. Einer der originellsten Beiträge am gestrigen Tag der offenen Tür bestand in einer kleinen Anzeige an der Pinnwand vor Raum D: „Cabrio umständehalber abzugeben!“, stand da zu lesen und die Begründung folgte auf dem Fuß. „Ich bin jetzt schon 9 Jahre.“

Sogar ein Foto seines einstmals sicher heiß geliebten roten Bobbycars hatte der kleine Verkäufer in die Anzeige gestellt, seine Telefonnummer und den Preis (5 Euro) ebenso. Überhaupt waren die vielen Kinder und Jugendlichen, die sich für den Tagesspiegel interessierten, eine der Überraschungen an diesem Sonnabend: Man kam größtenteils in Familie und fühlte sich offensichtlich auch als Teil der von den Chefredakteuren Stephan-Andreas Casdorff und Lorenz Maroldt begrüßten Tagesspiegel-Familie. In der man sich, wenn es sein muss, hart kritisiert, aber letztlich doch zusammenhält.

Und so lächelten die Besucher denn auch nachsichtig, als die Veranstalter zugaben, mit allem, nur nicht mit Regen gerechnet zu haben. „Die haben wohl ihren eigenen Wetterbericht nicht gelesen“, sagte jemand. „Da stand ja, dass es ab und zu regnen kann“, antwortete seine Nachbarin. „Aber die Frau auf der Bühne – ist das nicht Elisabeth Binder?“

Sehen Sie hier die Bilder von unserem Tag der offenen Tür 2012:

Den Redakteuren, die sie nur aus ihrer Zeitung kennen, zu begegnen, war für viele Leser ein Motiv für den Besuch am Askanischen Platz. Tatsächlich stand Elisabeth Binder zu Beginn allein und verloren auf der Bühne, einziges Mitglied des Tagesspiegel-Chors, das es noch vor Beginn des Regens dorthin geschafft hatte. Der Chor war erst kürzlich gegründet worden, der Auftritt sein allererster überhaupt, eine öffentliche Premiere, und dann ging zunächst einmal alles schief: Es regnete stark, der Strom und damit die Mikrofone fielen völlig und das Klavier zeitweilig aus und die singenden Redakteure waren aufgeregter als bei Interviews mit Präsidenten und Prominenten.

Das merkt man ihnen gar nicht an“, sagten Waltraud und Bernd Hillger aus Lichtenrade. „Sieht eher aus, als ob sie Spaß haben. Und klingt auch gut. Die sollten weitermachen.“ Die Hillgers lesen seit vielen Jahren den Tagesspiegel und zu kritisieren haben sie eigentlich nur, dass man ihn nicht überall bekommt. „In New York ist er einfach nicht zu kriegen“, sagt Bernd Hillger. „Aber man hat mir erklärt, dass das eine Kostenfrage ist.“

Das Publikum im Tagesspiegel-Hof applaudierte jedenfalls dem frischgebackenen Chor freundlich und Michael Hoffmann hob beide Daumen. „Meine Freundin übt seit Wochen zu Hause“, sagte er: Sie hatte schreckliches Lampenfieber.“

Davon ist auch Harald Martenstein nicht frei – obwohl seine Premiere als lesender Autor schon 1999 in der „Bar jeder Vernunft“ stattfand. „Irgendwie hat man ja Verantwortung gegenüber den Menschen, die da kommen“, sagte er. Und es kamen viel mehr, als der größte Raum A fassen konnte. Manche standen eine ganze Stunde. Andere, wie Ingeborg Hebel und ihre Freundin, blieben die nächsten vier Stunden einfach sitzen, erlebten nach Martenstein den Amerika-Korrespondenten Christoph von Marschall, die Kolumnistin Hatice Akyün und den Schauspieler Ulrich Matthes.

Seinetwegen ist auch Cornelia Weyhmann aus Schöneberg gekommen. Die 56-Jährige füllt vor der Rotunde, in der gerade Tagesspiegel-Redakteur Thomas Lackmann über die Berliner Zeitungsgeschichte plaudert, die Postkarte für das Leserquiz aus. „Ulrich Matthes war auf meiner Schule“, sagt sie. „Und sein Vater Günter, der ja viele Jahre lang als Redaktionsleiter beim Tagesspiegel arbeitete, war mit meinen Eltern gut befreundet. Ich bin schon von daher mit dem Tagesspiegel aufgewachsen.“

Inzwischen lese sie den allerdings meist als E-Paper, erzählt Cornelia Weyhmann und geht mit ihrem 18-jährigen Sohn Alexander Landgrebe erst einmal in die Online-Redaktion. Sie hat schon erlebt, dass Leserkommentare von ihr nicht freigeschaltet wurden, weil sie vielleicht etwas zu frech waren. Jetzt will sie nachfragen, was die Kriterien sind. Wie sie nehmen die Leser ihren Tagesspiegel ganz selbstverständlich in Besitz: die Innenhöfe, die Räume, die langen Flure, in denen viele Titelseiten hängen. „Bis auf die erste von 1946 habe ich sie alle“, sagt ein Leser namens Heinz Lompe stolz.

Schlangestehen für Hatice Akyün, Schlemmen wie Kästner und Fontane

Immer wieder fragen die Besucher, warum so viele Rechtschreibfehler in der Zeitung sind. Berlin- und Online-Chef Markus Hesselmann erklärt geduldig, warum auch und gerade durch die automatische Rechtschreibkontrolle – gepaart mit einem kurzen falschen Mausklick des Redakteurs – beispielsweise ein „Nissan Viagra“ in die Zeitung kommt. Auch deshalb leistet sich der Tagesspiegel noch Korrektoren, sagt Hesselmann – und ein paar Leser, immerhin, finden: „Es war schon mal schlimmer mit den Fehlern.“

Im Hof stehen Karin und Jürgen Broll aus Tempelhof. Ihr neunjähriger Enkel Linus wollte unbedingt zur Präsentation des Alba-Basketballprogramms für Grundschulen. Die Alba-Leute haben zwei Körbe mitgebracht, Linus und viele andere Kinder üben sich im Werfen. „Linus’ Mutter ist Sportlehrerin in Wilmersdorf“, sagt Jürgen Broll. „Wir werden ihr von dem Projekt erzählen.“ Das Alba-Projekt läuft unter anderem seit drei Jahren erfolgreich an der Gesundbrunnen Grundschule, wie die sieben- bis zehnjährigen Schüler begeistert vorführen.

Im Gebäude wird es indes immer enger. Auch am Nachmittag kommen noch viele Besucher, stehen geduldig in der Schlange, beispielsweise für Hatice Akyün. „Wir finden ihre Kolumne einfach gut, sehr lebendig, vor allem die Sprichwörter beziehungsweise Weisheiten ihres Vaters“, sagt ein älterer Herr aus Zehlendorf. Und seine Begleiterin ergänzt: „Jetzt hatte sie ja endlich auch einmal eine Weisheit ihrer Mutter drin.“

Eine andere Frau in der Schlange verrät ein wenig verlegen, dass sie nicht wegen Akyün kommt, sondern wegen des Moderators Gerd Appenzeller. „Ich lese ihn immer und habe ihn früher in einer Rätselsendung im Fernsehen gesehen“, sagt sie. „Jetzt will ich ihn live erleben.“

Die Tagesspiegel-Kantine hat Gerichte wie Tucholsky, Heine, Kästner und Fontane im Angebot. Oder Egon Erwin Kisch, das lassen sich Sieglinde Fiala und Helmut Müssemann schmecken. Die beiden Englischlehrer sind Tagesspiegel-Fans, extra aus Frankfurt am Main angereist und total begeistert vom Programm. „Jetzt müssten wir nur noch eine Aufzeichnung von der Veranstaltung mit Christoph von Marschall bekommen.“ Die Mädchen und Jungen, die bei Susanna Nieder in der Jugendredaktion sitzen, wünschen sich hingegen, Journalisten zu werden. Und erhalten viele Tipps.

Am Ende haben etwa 3000 Menschen das Verlagsgebäude am Askanischen Platz besucht. Haben viel erfahren, viel gefragt, viel kritisiert, viel gelobt – und auch selbst viel Lob bekommen. „Wir nehmen Ihre Ideen und Fragen sehr wichtig“, sagt Chefredakteur Lorenz Maroldt: „Sie haben uns diesen Tag geschenkt.“

Bleibt nur noch die Frage, ob das rote Cabrio schon einen neuen Besitzer hat.

Die Tagesspigel-Kolumnisten und Gäste am Tag der offenen Tür:

Christoph von Marschall

Ulrich Mathes

Harald Martenstein

Bernd Matthies

Ingrid Müller

Hatice Akyün

Moritz Rinke

Elisabeth Binder

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