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Tagesspiegel-Aktion: "Saubere Sache" für Berlin: Wo Bürgersinn wächst

Ob Neukölln, Friedenau oder Wedding – in allen Bezirken halfen Menschen am Aktionstag "Saubere Sache", die Stadt zu verschönern. Vielleicht ist die Bereitschaft zum ehrenamtlichen Einsatz doch stärker ausgeprägt, als viele glauben.

Die Hoffnung? Lebt! Und wie! Die Hoffnung trägt gelbe Blätter im Blütenstand und ruht auf einem dicken grünen Stiel, gut zwei Meter über der Laufkundschaft am Hermannplatz. Völlig unbehelligt vom Vandalismus, für den der Platz zwischen Neukölln und Kreuzberg doch so berühmt ist wie für seine Bettler und Junkies und Dealer. Vielleicht liegt es an der frühen Stunde oder daran, dass die Dealer am Wochenende freimachen. Der Hermannplatz döst jedenfalls friedlich in der Sonne. Ohne dass jemand explizit dazu aufgerufen hätte am Tag der „Sauberen Sache“. Und über allem thront die riesige Sonnenblume in ihrem Hochbeet.

Vielleicht ist der Berliner Sinn für Bürgerlichkeit doch stärker ausgeprägt, als es viele wahrhaben wollen. Ein Spaziergang fällt jedenfalls bei weit geöffneten Augen und ohne alle im Alltag gehüteten Vorurteile keineswegs unangenehm aus. Berlin ist nicht Bad Pyrmont, aber auch nicht Soweto. In Neukölln ebenso wenig wie in Friedenau.

Friedrich-Wilhelm-Platz, klassisches West-Berlin, im Guten wie im Schlechten. Links verteilen die Männer von der BSR orangene Westen, Besen und Greifzangen. Rechts entert ein Mann die Mittelinsel, er trägt eine schwarze Weste, genauso wie sein Hund. Auf der Weste des Hundes steht: „Steuerzahler“. Als guter Steuerzahler hat er natürlich das Recht zur Verrichtung gewisser Geschäfte. Wird alles schnell erledigt. Herrchen klopft seinem Steuerzahler dankbar auf den Pelz.

Der Friedrich-Wilhelm-Platz ist ein Hort der Bürgerlichkeit und keineswegs von der Verwahrlosung bedroht. Ringsherum Cafés und Lädchen, der Korb auf dem kleinen Basketballplatz ist noch intakt. Jung und Alt und Klein und Groß sind zum Aufräumen gekommen. Ein paar von ihnen tragen T-Shirts mit der hübschen Aufschrift „Kehrenbürger“. Väter halten ihre Kinder an der Hand und führen sie ein in die Handhabung der Greifzangen. Jede Zigarettenkippe wird aufgelesen, es sind gar nicht so viele. Bürgersinn kann nicht verordnet werden, er wächst von innen.

Sehen Sie hier die Bilder vom großen Tagesspiegel-Aktionstag:

Wie lange es wohl dauern wird, bis die Anwohner der Weddinger Seestraße so ticken, wie Monika und Winfried Lauter sich das vorstellen? Beide haben sie das Beet vor ihrem Mietshaus in ein kleines Paradies verwandelt, mit Pflanzen, Blumen und Humus. Das fällt auf, weil die Beete in der unmittelbaren Nachbarschaft von schäferhundhohem Unkraut überwuchert sind.

Am Aktionstag wollen die Lauters die benachbarten Beete aufhübschen. Zur angekündigten Zeit vormittags um elf haben sich exakt null Helfer eingefunden. Es braucht seine Zeit, bis Bürgersinn vom Einzelnen auf eine Mehrheit überspringt. Auf dem Mittelstreifen der Seestraße fährt die Tram und der Rasen dort ist getrimmt wie in Wimbledon. Warum funktioniert das nicht auch in den Vorgärten?.

Auf der Fahrt Richtung Prenzlauer Berg sieht man noch viele dieser Gärtchen, und ein paar sind auch in gepflegtem Zustand. Im Schritttempo geht es über die Brücke an der Bornholmer Straße. 1989 ist hier ein Stück Weltgeschichte zur Aufführung gekommen. Heute teilen sich Hundehalter und Müllentsorger die asphaltierte Fläche, die früher Grenzübergang war.

Auf der östlichen Seite der berühmten Brücke gleicht die Straße in ihrer Struktur von Häusern, Beeten und Mittelstreifen der Weddinger Seite. Nur dass hier kein Unkraut wuchert und in vielen Vorgärten Cafés untergebracht sind. Aus politisch korrekter Sicht ist die schwäbische Invasion von Prenzlauer Berg natürlich aufs Schärfste zu verurteilen. Gentrifizierung und so. Aber was die Stadtentwicklung betrifft, wäre es dem Wedding ganz gut bekommen, wenn sich nach 1989 auch dorthin ein paar Invasoren verirrt hätten.

Auch der Tagesspiegel packte mit an. Sehen Sie hier die Bilder unserer Aktion:

Vielleicht ist die nach ewigen Diskussionen endlich beschlossene Erweiterung des Mauerparks in Richtung Wedding ein Anfang. Es ist noch gar nicht so lange her, da war der Mauerpark mit seinen verschlammten Rasenflächen von Bierflaschen übersät. Mittlerweile dominiert das Grün über das Braun, was auch ein wenig an Joe Hatchiban liegt und daran, dass er nach seinen Karaokepartys im Amphitheater immer Müllsäcke herumgehen lässt. Das hinterlässt Eindruck, auch bei jenen Touristen, die Berlin als Projektionsfläche für ihre heimlichen Phantasien schätzen. Junge Frauen und Männer, die nächtens gern die Sitze in U-Bahnen aufschlitzen, es daheim in Kiel oder Koblenz aber nicht wagen würden, spätabends in der Fußgängerzone bei Rot über die Straße zu gehen. Berlins Klima der uneingeschränkten Freiheit hat nicht nur positive Seiten.

Im Mauerpark hat Karaoke-Mann Hatchiban zu halb elf zum Aufräumen eingeladen. Angesichts dieser barbarisch frühen Stunde fällt die Zahl der Helfer übersichtlich aus. So viel ist ohnehin nicht zu tun. Die vom Bezirksamt aufgestellten Müllbehälter werden gut angenommen, dazu dürfte der Regen in der Nacht zuvor die Partystimmung gedrückt haben. „Guck mal Mama, gar keine Scherben!“, ruft ein Mädchen und balanciert sein Rad über den Rasen am Amphitheater.

Werner Hegemann hat 1930 den Begriff vom „Steinernen Berlin“ geprägt. Das Berlin im Jahr 2012 ist so grün wie kaum eine andere Großstadt. Die Hoffnung? Lebt! Und wie! In Neukölln und Prenzlauer Berg und Friedenau und sonstwo. Aber machen müssen die Berliner schon selbst etwas daraus.

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