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Der Berliner Pop-Art Künstler Jim Avignon bereist die Karibik und Mittelamerika. Über seine Erlebnisse vor Ort bloggt er exklusiv für Tagesspiegel.de - und präsentiert unseren Lesern seine neuesten Fotos und Bilder.

© Jim Avignon

Tagesspiegel exklusiv: Auf Tour mit Jim Avignon - Teil Vier

Der Berliner Pop-Art-Künstler Jim Avignon bereist die Karibik und Mittelamerika. Von der dritten Etappe seiner Tour bloggt er exklusiv für Tagesspiegel.de - diesmal malt er mit Künstlern in Santo Domingo.

Er ist seit Jahren einer der erfolgreichsten deutschen Pop-Künstler - und ein Kulturarbeiter, der immer wieder überraschen kann: Bei Jim Avignon ist das Doppelherz der zwei Begierden, das immer wieder neu ausprobieren, ein Teil seiner Existenz. Eine Wohnung in New York, die andere im Kreuzberger Graefekiez, hier die Malerei, dort die Musik mit seinen Bands Neoangin oder Anxieteam, oder die von ihm betriebene Galerie in Brooklyn.

Maler, Musiker, Partymacher - alles gehört zusammen. Das Zappen zwischen Städten und Kunstformen gehört für den 1966 geborenen Jim Avignon zum Konzept seiner schnellen, aggressiven "cheap art". Mit seinen bunten, plakativen Bildern, oft mit politischen Aussagen, ist Avignon zu einem der internationalsten Berliner Künstler geworden, der wie kaum ein anderer mit hoher Sensibilität das Leben im Berliner Mikrokosmos ausdrücken kann.

Avignon hat in seiner Karriere schon eine Swatch-Uhr gestaltet, ein Passagierflugzeug bemalt oder zur Eröffnung des Berliner Olympiastadions ein 2.800 Quadratmeter großes Bild gemalt. Auch für den Tagesspiegel hat Avignon schon gearbeitet; erst vor wenigen Monaten präsentierte er auf den "Mehr Berlin"-Seiten exklusiv ein Bild, bei dem er sich mit dem Thema Gentrifizierung in der Hauptstadt beschäftigte.

In den kommenden Wochen können Leserinnen und Leser von Tagesspiegel.de Jim Avignon nun häufiger begegnen. Im Rahmen einer Tour durch die Karibik und Mittelamerika schreibt er auf Tagesspiegel.de in seinem Blog und präsentiert Fotos und jüngst entstandene Bilder.

Avignon ist auf Einladung des Goethe-Instituts in verschiedenen Ländern unterwegs. Auf der Tournee mit dem Titel "de mi barrio a tu barrio" macht er Workshops mit lokalen jungen Künstlern und plant an den diversen Stationen auch gemeinsame Kunstaktionen. Im Sommer soll es in Berlin dann eine Ausstellung in der Galerie Neurotitan geben.

Wir wünschen viel Vergnügen mit dem Blog und den Fotos. Gerd Nowakowski

Fast wie Napoleons Russlandfeldzug (Tag 14)

Das gemalte Werbebanner.
Das gemalte Werbebanner.

© Jim Avignon

Die Frühstückssituation im Hotel "Terranova" in Panama City ist gewöhnungsbedürftig. Hier gibt es statt eines Buffets ein Plastikkärtchen, auf dem man zwischen verschiedenen "Menus" wählen kann, wahlweise Spiegelei, Pfannkuchen oder ein Puffer mit einer rötlichen Sauce aus gehackten Würstchen . Dazu pro Person eine Tasse Kaffee, serviert von beeindruckend schlecht gelauntem Personal.

Natürlich werden wir dabei erwischt, wie wir uns nach einem zweiten Kaffee davonschleichen wollen, ohne zu bezahlen. Immer noch hungrig geht's an die Wand, die ist inzwischen blütenweiß gestrichen und strahlt so intensiv, dass man kaum noch hinschauen kann. Gut, dass ich erstmal drinnen bleiben kann , weil ich für heute erstmal einen Extrajob machen darf, man hat wohl Angst mir könnte langweilig werden; Ich soll als Gratis-Werbemaßnahme eine Ankündigung für unsere Party auf die Rückseite einer gebrauchten Plane malen. Diese wollen wir dann in der Altstadt aufhängen.

Leider braucht die Farbe ewig, um auf der dicken Plane zu trocknen, und ich brauche den ganzen Tag, um ein halbwegs passables Motiv hinzubekommen. Draußen an der Wand geht es aber auch nicht gerade im Rekordtempo zur Sache. Vorsichtig skizzieren die Künstler mit Filzstiften ihre Motive an die Wand und malen mit pastelligen Farben die ersten Felder aus. Immer noch ist ungeklärt, ob die Abschlussparty Eintritt kosten soll. Unsere Bedenken kontert Frau Lehmann mit dem Argument, es seien bereits Karten verkauft, und nun gebe es kein zurück mehr. Immerhin gibt es nun zwei Freikarten pro Künstler.

Zaghafte Skizzen an der Wand.
Zaghafte Skizzen an der Wand.

© Jim Avignon

Zum Abendessen will uns Moritz, der Praktikant der Botschaft, eine Ausflugsinsel zeigen, die seit neuestem mit dem Festland verbunden ist. Als der Kanal vor ein paar Jahren verbreitert wurde, benutzte man den Aushub dazu, die Ausflugsinsel mit dem Festland zu verbinden. Genau auf dieser Strecke ist leider gerade die Hölle los, Riesenstau wegen eines Rockkonzerts, unser Taxifahrer flucht unentwegt und überredet uns schließlich, den Rest (angeblich höchstens noch zehn Minuten) zu Fuß zu gehen.

Kaum biegen wir um die nächste Kurve, ist der Stau plötzlich zu Ende, der Damm wird sichtbar, und wir realisieren, dass wir noch einige Kilometer vor uns haben. Immerhin ist die Straße sehr schön, links die Bucht im Mondschein, rechts der Kanal und unter mir eine beeindruckende Ameisenstraße. Die Ameisen schleppen riesige Blattstücke von links nach rechts. Unweigerlich muss ich an Napoleons Russlandfeldzug denken...

Inseln in Ananasform und ein Degas auf'm Klo (Tag 15)

Der Künstler Rolo posiert für die Kamera.
Der Künstler Rolo posiert für die Kamera.

© Jim Avignon

Beim Abholen hören wir, dass unser Abschluss-Event nun doch keinen Eintritt kosten wird. Große Erleichterung. Außerdem erfahre ich, dass sich die Botschaft schon wieder einen neuen Job für mich ausgedacht hat: 30 Kinder sollen sich morgen mit Pinseln und Farbbechern unter unsere Künstler mischen und mitmalen - zwar an an einer Extrawand, mich beschleicht aber trotzdem ein ungutes Gefühl dass die Sache aus dem Ruder laufen könnte. Ich beschließe vorzusorgen und male auf der dem Meer zugewandten Seite eine große Menge Schwarz-Weiß-Characters für die Kinder zum ausmalen.

Es ist heiß. Ich bin kaum zehn Minuten an der Wand und schon in Schweiß gebadet. Die Farbe trocknet beim Malen am Pinsel, und im Nu bilden sich an den Rändern der kleinen Styroporbecher und am Pinsel große Farbkrusten. Die Sonne knallt dermaßen runter, dass ich kaum noch einen klaren Gedanken fassen kann - und es passiert, was mir nur äußerst selten passiert: Mein Kopf ist leer. Mir fällt nichts mehr ein, was ich noch malen könnte. Ich muss eine Pause machen und mir eine Merkliste mit Motiven aufschreiben; Saxophon spielender Fisch, lachendes Haus, schmelzende Eistüte.

Meter für Meter kämpfe ich mich voran, den anderen Künstlern geht's nicht besser. Der Maler Rolo, der es mit seinen "mamas" in Panama schon zu gewisser Berühmtheit gebracht hat, möchte eine "mother nature" in fünf Meter Höhe an die Wand pinseln. Das Gerüst dafür ist bleischwer und Meister Rolo leider nicht schwindelfrei. Wir müssen es mehrmals neu umstellen, bis er bereit ist, es zu besteigen. Der Sprayer Nelone hangelt sich stattdessen beinahe schwerelos die Wände entlang. Er sprüht einen leuchtenden Korallenfisch an die Wand. Das sieht ein bisschen so aus wie die Auftragsarbeit für ein Reisebüro, aber trotzdem schön.

Einige der Künstler wollen großformatige Drucke an die Wand kleistern. Leider gibt's dafür kein Budget mehr, wir müssen die Ausdrucke auf ganze viele Din-A4-Blätter verteilen und die dann wie ein großes Puzzle an der Wand zusammenkleben. Holger verbringt den ganzen Tag damit, die Motive zu parzellieren und einzeln auszudrucken.

Abends sind wir beim Botschafter Michael Grau zum Essen eingeladen. Der wohnt inmitten der neuen Skyline in einem postmodernen Palast: monumentale Kapitelle, Säulen wohin das Auge blickt und Dekor aus aller Welt an die Fassaden gepappt.

Die neue Skyline von Panama City.
Die neue Skyline von Panama City.

© Jim Avignon

Der Botschafter logiert in einer ausladenden Wohnlandschaft. Er ist ein gutgelaunter Gastgeber, der vorzügliche Caipirinhas mixt. Wir genießen die Aussicht auf den Pazifik, wo Baggerschiffe gerade dabei sind, eine neue künstliche Insel (womöglich in Ananasform) auszuheben. Dubai lässt grüßen.

Herr Grau hatte bereits angekündigt, dass es zum Abendessen bloß kalte Küche geben würde, aber hungrige Arbeiter wie wir sind nicht anspruchsvoll und verputzen die gesamte Käseplatte auf einen Sitz. Auf der Toilette entdecke ich ein Bild von Degas, das meine Aufmerksamkeit erregt. Es sieht nicht aus wie ein Druck, aber wer würde andererseits einen original Degas aufs Klo hängen? Ich versuche, das Bild von der Wand zu nehmen, um es genauer zu untersuchen - gebe aber auf, als der Rahmen anfängt, knackende Geräusche von sich zu geben. Der Restabend vergeht im Nu, ruckzuck ist es zwei Uhr nachts und wir müssen schleunigst ins Bett.

Malen mit den Kiddies (Tag 16)

Künstlerin Jaquelin Fallenbaum und ihr Bein-Motiv mit geringelten Strümpfen.
Künstlerin Jaquelin Fallenbaum und ihr Bein-Motiv mit geringelten Strümpfen.

© Jim Avignon

Eingespannt durch die diversen Nebenjobs komme ich kaum dazu, an einem eigenen Bild für die Wand zu arbeiten und nutze vormittags eine freie Stunde, um meinerseits auch ein Naturmotiv an die Wand zu pinseln. Ich will mit einem Baummotiv auf das Meeresthema reagieren und skizziere geschwind ein Geflecht aus Ästen und mittendrin ein Nest, in dem eine Gruppe zusammengewürfelter Typen sitzt.

Ich komme nicht weit, denn schon geht es los mit dem Kindermal-Event. Statt 30 sind es nun 46 Kinder, ich bereite eine entsprechende Menge Farbbecher mit Pinseln vor, gar nicht so leicht, die Styroporbecher fallen sofort um, wenn man versucht, Farbe reinzukippen. Dann kommen die Kinder. Ich verteile die Farbbecher und los geht's.

Das Konzept scheint aufzugehen: Brav malen die Kinder die Characters aus, einige geben sich richtig Mühe, andere begnügen sich damit, größere Farbmengen auf der Wand zu verteilen und wieder andere malen ihren Nachbarn gleich mit an. Alles in allem ein vergnüglicher Nachmittag, ich bedaure, dass ich kein Spanisch spreche, die Kinder reden unentwegt auf mich ein, und ich kann immer nur dämlich mit den Schultern zucken.

Painting in action: Die Kinder beim Malen.
Painting in action: Die Kinder beim Malen.

© Jim Avignon

Danach Farben einsammeln, Pinsel auswaschen, Abschied mit großer Umarmung, und wir haben den Platz wieder für uns. Künstlerin Jaquelin Fallenbaum hat ihr Motiv - ein paar Beine in geringelten Strümpfen - auf eine vier Meter große Plane gedruckt. Sie will nun die schwarzen Flächen ausschneiden und das Ganze als eine Art Riesenschablone verwenden, doch als sie das Teil an die Wand hängen will, biegen sich die einzelnen Segmente durch, und sie muss nun jedes einzeln fixieren. Malen wäre womöglich doch schneller gegangen.

Streetart-Battle vs. Adidas (Tag 17)

Square with a view: Der bemalte Platze am Meer von oben.
Square with a view: Der bemalte Platze am Meer von oben.

© Jim Avignon

Heute Abend ist unsere Party und leider gibt es große Konkurrenz. In nächster Nähe zu unserem Platz eröffnet Adidas mit viel Tamtam einen neuen Laden, und die haben nicht nur die bekannteste Rockband aus Panama eingeladen, sondern präsentieren zu allem Überfluss auch noch Streetart - einige unserer Künstler arbeiten für beide Events. Zum Beispiel Manuel Choi, der ist hauptberuflich Architekt und offenbar mehr für die Konkurrenz beschäftigt, denn am Freitagmittag klafft immer noch eine große weiße Stelle an unserer Wand. Auf meine diversen Anrufe antwortet Manuel asiatisch höflich, dass er uns nicht vergessen habe, und nennt immer neue Uhrzeiten, wann mit ihm zu rechnen sei.

Wir beschließen, dass wir, wenn er bis zum Mittag nicht da ist, einfach selber sein Motiv malen werden - und siehe da, kurz vor der Deadline taucht er auf, hat sich in Windeseile Sprühdosen und Leiter geschnappt und legt los.

Wir haben etwas Sorge vor dem Adidas-Event und entscheiden, dass wir noch kleine Poster drucken wollen, um die ganze Altstadt damit vollzuhängen. Für mich ist das Posterkleben die erste Gelegenheit, ein bisschen mehr vom Viertel zu sehen. Ich staune über die sehr abenteuerlich zusammengepuzzelten Häuser, über den Mix aus frisch renoviert und halb zusammengefallen.

Während wir die Poster kleben, tut sich einiges an der Wand. Die Künstler geben sich alle Mühe, die Bilder auch wirklich zu einer Einheit zusammenwachsen zu lassen. Verspielte Muster wuchern über die noch freien Flächen, Künstler Rolo hat sich Schablonen mit Herzen und Schmetterlingen zurechtgeschnitten und versprüht nun eine Spraydose nach der anderen. Einige schreiben ihre Webseiten übergroß auf die Wände. Beinahe bin ich froh, als endlich der Abend kommt und sich unser Freiluftatelier in eine Vernissage verwandelt. Baustrahler beleuchten die Bilder und der Sound ist gut. Die Leute strömen auf den Platz, dazwischen rennen lachend Kinder herum. Gegen halb elf ist es richtig voll.

Abends dann die feierliche Vernissage.
Abends dann die feierliche Vernissage.

© Jim Avignon

Für meinen Auftritt springe ich auf ein herumstehendes Fass. Das Mikrokabel ist leider so kurz, dass ich mir sämtliche Show-Eskapaden verkneifen muss. Der Auftritt kommt trotzdem ganz gut an und lockert die Stimmung. DJ Holger legt nach und feuert ein ganzes Sortiment an Dancefloor-Knallern ab, im Nu tanzt der ganze Platz. Überall werden Fotos fürs Facebook-Album geschossen, und ich überlege kurz, wie viele Fotos wohl nötig sind, wenn sich jeder mit jedem fotografiert.

Ein Mitarbeiter des Konsulats von Guatemala wird mir vorgestellt, der gerade mit Freundin in Panama Urlaub macht. Ich frage ihn zur aktuellen Gefahrensituation in Guatemala und erwähne die entsprechende Seite des Auswärtigen Amts, worauf er entgegnet, das würde dort nur stehen, damit einen die Touristen in Ruhe ließen. Seltsamer Humor.

Dominikanische Republik (Tag 18)

Samstag – der erste und einzige Day off unserer Fünf-Wochen-Tour. Meine Reisepartner Holger und Alicia bleiben noch in Panama und besichtigen den Kanal, ich fliege schon vor in die Dominikanische Republik um dort meine Familie zu treffen, die aus New York angeflogen kommt. Neben mir im Flugzeug sitzt ein Peruaner mit Cowboyhut und redet auf mich ein. Es ist leider unmöglich ihm klarzumachen, dass ich ihn nicht verstehe. Immerhin hält er mich erfolgreich vom Blogschreiben ab.

Horst Blasinger und Praktikant Moritz.
Horst Blasinger und Praktikant Moritz.

© Jim Avignon

Ich komme eine Stunde vor meiner Familie in Santo Domingo an und will am Flughafen auf sie warten. Mit mir wartet Horst Blasinger, von der deutschen Botschaft, der mir mit einer detaillierten Zusammenfassung aller bisher angefallenen Kosten die Zeit vertreibt. Ich erfahre von ihm außerdem, dass die Altstadt von Santo Domingo zum erlauchten Kreis der Weltkulturerben gehört und man deshalb dort nicht so einfach eine Wand bemalen darf. Man hat aber stattdessen ein etwas in die Jahre gekommenes, dafür aber begehbares Monument für uns gefunden und dort vier große Leinwände hineingestellt. Das Monument ist ein Geschenk der Dominikaner an die Mexikaner und stellt die Figur des Fray Antonio de Montesinos dar, der im 16. Jahrhundert die Indios vor den Spaniern gewarnt haben soll. Nun will man es zu einen Treffpunkt urbanen Lebens reaktivieren, und wir sollen dabei helfen. 

Dann trifft  meine Familie ein, große Wiedersehnsfreude, wir fahren alle zum Hotel und sind begeistert. Das weitläufige Areal liegt mitten in der Altstadt, hat einen schönen Garten mit Pool und Palmen und vom Balkon kann man der Caribbean Fantasy beim Beladen zuschauen. Fast könnte man vergessen, dass man zum Arbeiten da ist.

Ein Wolf auf Rädern umschleicht uns (Tag 19)

Nach einem opulenten Frühstück machen wir uns auf den Weg, das Weltkulturerbe zu erkunden. Gleich um die Ecke zum Hotel befindet sich die Fußgängerzone, die ist um diese frühe Mittagszeit allerdings noch ausgestorben. Die meisten Rollläden sind unten und vor den wenigen geöffneten Restaurants stehen Kellner und versuchen, einen energisch ins Innere zu lotsen. Auf einem Platz sitzen Dominikaner und spielen Domino. Wir zweigen in kleinere Gassen ab und bald fällt mir ein junger Mann mit Moped auf, der denselben Weg zu haben scheint. Immer wieder überholt er uns, um dann an der nächsten Ecke wieder grundlos stehen zu bleiben. Es ist ziemlich offensichtlich, dass er es auf unsere Taschen abgesehen hat. Wir signalisieren ihm durch Blickkontakt, dass wir seine Absichten durchschauen, das scheint ihn aber wenig zu beeindrucken. Dummerweise ist die Straße menschenleer.

Männer beim Dominospiel.
Männer beim Dominospiel.

© Jim Avignon

Wie ein Wolf auf Rädern schleicht er um uns herum und ich überlege, ob sich meine Kamera notfalls als Waffe verwenden ließe. Als wir eine Straße überqueren, gibt er plötzlich Gas, wir weichen einen Schritt zurück und er greift ins Leere. Endlich dampft er ab und wir zurück ins Hotel. Inzwischen braut sich auch am Himmel was zusammen. Der erste tropische Regenschauer der Tour geht rasant runter,  meine Tochter ist entzückt von den dicken Tropfen und rennt spontan in den Regen hinein. Ungern werde ich nass aber ich muss sie wieder einfangen.  In wenigen Sekunden sind wir beide total durchnässt. In einem versteckten Winkel des Hotelgartens entdecken wir einen kleinen Springbrunnen und drehen darin zusammen ein paar Runden, fast wie Anita Ekberg in la dolce vita. Nass sind wir ja immerhin schon. Am frühen Abend kommen dann die Kollegen an, erzählen uns vom Panamakanal und alle gehen früh ins Bett.

Es scheint, den Künstlern fehlt's am Mut zum Risiko (Tag 20)

Montag - Um 10 Uhr morgens treffen wir uns mit den Künstlern an der Location. Es stellt sich heraus, dass sich im Sockel des Monuments ein beeindruckend großer, halboffener Raum befindet, in dem 4 je 6x 6 Meter große Leinwände auf uns warten, die uns als Wandersatz dienen sollen. Vor den Leinwänden stehen sperrige Gerüste, so groß, dass man  kaum noch die Leinwand sehen kann. Zur Straße hin hängt ein gigantisches 8 x 10 Meter großes Werbebanner am Monument, dass Herr Blasinger mit einem knappen “800 €” kommentiert. Wir diskutieren kurz die Vor- und Nachteile dieser ungewöhnlichen Location (gemütliches Arbeiten im Schatten versus dominante Architektur) und schon geht es mit allen zusammen auf eine dreistündige Besichtigungsfahrt durch die Streetart-Epizentren von Santo Domingo. Wir merken schnell, dass es nicht viel zu sehen gibt. Selten hab ich eine Stadt gesehen, in der die Wände so jungfräulich ungetaggt ausschauen.

Gerüste an den Leinwänden.
Gerüste an den Leinwänden.

© Jim Avignon

Wie bekommen lediglich ein paar von der Stadt in Auftrag gegebene Wandbemalungen zu sehen. Auch der anschließende Workshop verläuft schleppend. Es scheint, den Künstlern fehlt's am Mut zum Risiko. Einige wähnen sich angesichts der 6 x 6 Meter Leinwand schon mit halbem Fuß im Museum und wollen es sich nun nicht leichtfertig mit einer gewagten Kollaboration  verscherzen. Immerhin, wir sind acht Künstler, haben aber nur vier Leinwände - also müssen sich zumindest immer zwei eine Leinwand irgendwie teilen. Das leuchtet allen ein. Einige Künstler haben außerdem bereits zuhause Motive vorproduziert, die sie nun statt zu malen nur noch aufkleben wollen. Sie haben offenbar unsere Tour aufmerksam mitverfolgt und nun Sorge, nicht mit Panama und Costa Rica mithalten zu können. Wir zerstreuen so gut es geht die Bedenken.

Dann geht es weiter zum Farbeneinkauf. Im Laden stapeln sich die angerosteten Farbeimer bis zur Decke. Wie üblich sind Primärfarben nicht zu bekommen, Rot und Blau gibt es nur in abgetönten Versionen, mit hohem Grauanteil. Für jeden Farbton verschwindet der Verkäufer aus Neue für mehrere Minuten im Lager und ich frage mich, was er da wohl tut. In einer Ecke des Ladens entdecke ich einen großen Stapel selbstabgefüllter Farbreste in einmachartigen Gläsern. Da schlagen wir dann im großen Stil zu und verbrauchen am Ende nur ein Zehntel des veranschlagten Budgets.

Graffiti und Streetart nur in den Armenvierteln (Tag 21)

Luis Hidalgo
Luis Hidalgo

© Jim Avignon

Dienstag - Als wir gegen 10 Uhr eintreffen,  sind die Künstler bereits am Malen. Während die meisten gleich ein eher gemütliches Tempo einschlagen, hat Jose Ramia in Windeseile drei gigantische Totenköpfe auf die Leinwand gebracht. Er  erklärt mir,  dass er diese in den Farben der drei großen Parteien anmalen möchte, und dass sich dahinter ein subtiles politisches Statement verbirgt. Aha. Künstler Luis Hidalgo tigert den halben Tag mit besorgter Miene im Kreis herum, bevor er äußerst vorsichtig beginnt, ein paar Figuren zu stricheln. Die beiden Exilkubaner Angel Urelly und Carlos Estrada teilen sich die dritte Leinwand. Oben will Angel einen stilisierten Stadtplan von Santo Domingo malen und in die untere Hälfte, sozusagen das Meer, klebt Carlos collagenartig, allerlei Müll und Fundstücke, sowie Zeichnungen von Werkzeugen. Sieht schön aus. Um auch etwas zu tun, male ich auf die beiden schmalen Stirnseiten das Motto unserer Tour in großen Lettern, in der Hoffnung, damit etwas Unruhe in die Gesamtkompositionen zu bringen. Meine Tochter malt mit.

Wir erfahren, dass am Mittwoch noch eine weitere Künstlerin ( Patricia Grassals ) dazustoßen wird und fragen uns, was wir ihr noch als Wand anbieten können, da ja alle schon vergeben sind.

Abends sind wir zu einem deutsch – dominikanischen Begegnungstreffen geladen. Es gibt Paulaner Bier zur Völkerfreundschaft. Ich lerne zwei Journalistinnen kennen, die mir erklären, dass Graffiti und Streetart in Santo Domingo nur in den armen Viertel der Stadt zu finden sind (die wir bei unserer Besichtigungstour komischerweise ausgelassen haben ) und dass dort vor allem die vielen Lottobuden damit wetteifern, welche die schrillste Bemalung hat. 

Jim Avignon

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