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Prostituierte sitzen in einem Bordell an einer Bar.

© Oliver Berg/dpa

Tagesspiegel-Spendenaktion "Menschen helfen!": Berliner Verein hilft Frauen aus der Zwangsprostitution

Viele, oft sehr junge Frauen, erzählen "In Via" ihre schrecklichen Erlebnisse. Oft benötigen sie aber Monate, bis sie endlich Vertrauen fassen.

Für unsere Jubiläums-Spendenaktion zu 25 Jahre „Menschen helfen!“ haben wir in der Runde 2017/18 insgesamt 58 soziale Projekte vor allem in Berlin und Brandenburg ausgewählt. Aber auch im Ausland helfen wir wieder, gemeinsam mit unserem traditionellen Partner Deutsche Welthungerhilfe. In unserer Spendenserie stellen wir ausgewählte Initiativen stellvertretend für alle anderen vor, für die wir die Leserinnen und Leser nun um Spenden bitten.

Heute: der Verein „In Via“, katholischer Verband für Mädchen- und Frauensozialarbeit e. V., der sich um Opfer von Zwangsprostitution kümmert.

Erzählen ohne Scham

Von der Wand blicken ein junger Mann mit weißem Hemd und Schiebermütze und eine junge Frau in wallendem rostroten Kleid auf diesen Tisch. Sie sind Hauptfiguren eines Plakats, das in Barbara Eritts Büro hängt. Neben der Tür steht dieser Tisch, Kiefer, 20 Jahre alt, entsprechend ramponiert. Barbara Eritt drückt die Handflächen auf die Tischplatte, ihre Augen bekommen einen eigentümlichen Ausdruck, dann sagt sie: „Dieser Tisch hat unheimlich viel gehört.“

Es sind dramatische, traurige, erschreckende Geschichten. An diesem Tisch sitzen Frauen, die ihre ganze seelische Not offenbaren, Opfer, die endlich den Druck loswerden können, der sie so sehr belastet. „Hier haben sie einen Ort, wo sie alles ohne Angst und Scham erzählen können“, sagt Barbara Eritt, die 61-Jährige mit den dunkelbraunen Haaren und den polnischen Wurzeln.

Hier ist ein Büro von „In Via“, dem Verein, der sich um Frauen kümmert, die Opfer von Menschenhandel wurden. Frauen, die in der Zwangsprostitution gelandet sind. Barbara Eritt leitet „In Via“ – und hofft jetzt dringend auf Spenden der Leser, um besser weiterarbeiten zu können.

Geduldige Zuhörerin. Barbara Eritt leitet den Verein „In Via“, der sich um die Opfer von Zwangsprostitution kümmert.
Geduldige Zuhörerin. Barbara Eritt leitet den Verein „In Via“, der sich um die Opfer von Zwangsprostitution kümmert.

© Kitty Kleist-Heinrich

Voodoo zum Schweigen

An diesem Tisch saß eine 19-jährige Nigerianerin und erzählte das Drama mit dem Voodoo-Schwur. In Nigeria versprachen ihr Männer eine goldene Zukunft in Europa. Schulbesuch, Job, soziale Sicherheit. Das Mädchen war damals 13, arm, leicht verführbar. Und die Männer forderten den Voodoo-Schwur.

In Nigeria glauben sie an solche Schwüre. Ein Medizinmann kam, das Mädchen musste das Herz eines frisch geschlachteten Huhns herunterschlucken und eine übel riechende Flüssigkeit trinken. „Das ist das Wasser der Ahnen“, sagte der Medizinmann, „du musst bei deinen Ahnen schwören, dass du niemals die Männer verrätst, die dich nach Europa schicken“. Diesen Männern sollte sie in Deutschland 50 000 Euro zurückzahlen. Als Entschädigung für die Schleusung nach Europa.

Europa, das bedeutete Bordell. In Italien als 13-Jährige, in Deutschland als 16-Jährige. Bei einer Razzia fiel sie der Polizei auf, die informierte „In Via“. Polizei und Verein kooperieren. Acht Monate lang schwieg das verängstigte Mädchen, dann brach gegenüber Barbara Eritt und einer Dolmetscherin alles aus ihr heraus. Sie hatte erfahren, dass sie vielleicht nach Italien zurückgeführt würde, wo sie bereits als Asylbewerberin registriert war. In Italien saßen die Täter, die sie ins Bordell geschickt hatten. Dann redete sie über den Schwur.

Bei der Polizei dann erzählte sie alles, was sie über die Täter wusste. Die wurden in Italien festgenommen, der Haupttäter landete vier Jahre im Gefängnis. Die junge Nigerianerin hat in Deutschland subsidiären Schutz, „In Via“ kümmert sich weiter um sie.

Viele kommen aus Osteuropa

Betreuung, Beratung, das ist die Aufgabe des Hilfsvereins in Berlin, aber auch in Brandenburg, unabhängig von der Religionszugehörigkeit der Opfer. Die vier „In Via“-Mitarbeiterinnen begleiten die Frauen zum Jobcenter, ins Krankenhaus, sie vermitteln Rechtsanwälte, sie sorgen dafür, dass die Frauen Deutschkurse besuchen und ihre Adressen geschützt bleiben. Vor allem aber sorgen sie dafür, dass diese Frauen wieder ein Stück weit innere Ruhe empfinden können.

70 bis 80 Frauen betreut „In Via“, mehr als die Hälfte von ihnen kommen aus Osteuropa, meist Rumänien und Bulgarien. Aber die Zahl der Nigerianerinnen hat erheblich zugenommen, sie werden gezielt als Asylbewerberinnen nach Europa geschickt. Seit einem Jahr sind auch Chinesinnen unter den Klientinnen.

Wenn diese Frauen, vermittelt durch die Polizei, an diesem Kieferntisch sitzen, dann geht es erst mal um Vertrauen. Sie sind oft blutjung, oft auch traumatisiert, sie können meist kein Deutsch, einige sind sogar Analphabetinnen. Sie haben nur Zwang, Brutalität, Missbrauch kennengelernt. Ihre Wahrnehmung ist permanent auf Alarm programmiert.

Deshalb geht hier in den Gesprächen alles ganz sanft, ganz langsam, ganz einfühlsam zu. Oft reden die Frauen erst nach Wochen. Und dann kommen Geschichten mit verschiedenen Ausgangspunkten, die alle zum gleichen dramatischen Punkt führen: Zwangsprostitution.

Eigenbedarf statt Verein

Es gibt auch deutsche Frauen, die auf Lover Boys hereingefallen sind, es gibt Frauen aus Osteuropa, die sich in Deutschland freiwillig prostituieren wollten, dann aber schnell merkten, in welche Falle sie in den Bordellen geraten waren. Und es gibt Frauen, die mit falschen Versprechungen nach Deutschland gelockt wurden, von einem Schulbesuch und einem Job, und denen Pass und Geld abgenommen wurde. Frauen aus Nigeria sollen zudem oft Schulden abarbeiten, die sie bei den Schleusern angeblich haben.

Frauen mit Asylantrag, die aussagen, dürfen bleiben, bis ihr Gerichtverfahren abgeschlossen ist. Danach können sie je nach Lebensgeschichte eventuell subsidiären Schutz erhalten. Frauen aus einem EU-Land bleiben nach ihrem Verfahren fast immer in Deutschland. „Wir betreuen sie mit dem Ziel, sie möglichst so fit zu machen, dass sie arbeiten können und keine staatlichen Leistungen erhalten müssen.“

Doch jetzt muss „In Via“ umziehen, weg vom bisherigen Standort in der Nähe des Hackeschen Markts. Der Vermieter hat Eigenbedarf angemeldet. Die Berliner und Brandenburger Senatsverwaltung für Frauenfragen unterstützt den Verein, aber die Umzugskosten muss „In Via“ aus anderen Quellen bezahlen. Deshalb bittet der Verein um Spendengelder aus der Aktion „Menschen helfen!“.

Es gibt betreute Frauen, die erst mal als Putzfrau arbeiten. Es gibt aber auch jene Ukrainerin, die zu Hause Medizin studiert hatte, bevor sie im Bordell landete. Sie saß vor zehn Jahren an diesem Kieferntisch. Mithilfe der „In Via“-Betreuung konnte sie in Deutschland weiterstudieren. „Und heute“, sagt Barbara Eritt zufrieden lächelnd, „arbeitet sie als Ärztin.“

Das Spendenkonto: Empfänger: Spendenaktion Der Tagesspiegel e. V., Verwendungszweck: „Menschen helfen!“, Berliner Sparkasse, BIC: BELADEBE, IBAN: DE43 1005 0000 0250 0309 42. Bitte Namen und Anschrift für den Spendenbeleg notieren. Auch Online-Banking ist möglich.

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