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Berlin: Takarazuka: Das japanische Revuetheater gastiert im Friedrichstadtpalast - Alle Rollen werden von Frauen gespielt

Die Holztäfelchen hängen gleich links von der Pförtnerloge, für jedes Ensemble-Mitglied eins. Auf einer Seite steht der Name in rot, auf der anderen in schwarz.

Die Holztäfelchen hängen gleich links von der Pförtnerloge, für jedes Ensemble-Mitglied eins. Auf einer Seite steht der Name in rot, auf der anderen in schwarz. Rot bedeutet abwesend, schwarz anwesend. Jun Shibukis Brettchen hängt meistens auf schwarz. Auf die Frage, warum die Brettchen nicht schon längst durch Chipkarten ersetzt wurden, fällt dem Star der japanischen Revuegruppe "Takarazuka" nur der Verweis auf die Tradition ein. "Aus Tradition", so lautet auch ihre Antwort auf die Standard-Frage aller Reporter, warum auch die Männerrollen von Frauen gespielt werden. "Aus Gegentradition"; sagt Show-Produzent Eiji Igata, denn eigentlich haben Frauen in Japan nichts auf der Bühne zu suchen: "No" und "Kabuki", die traditionellen Theaterformen, erlauben nur männliche Schauspieler. Das ärgerte den Großindustriellen Ichizo Kobayashi so sehr, dass er 1914 in dem Provinznest Takarazuka kurzerhand nach dem Vorbild westlicher Varietés seine eigene Revuetruppe gründete. Mit dem leicht anrüchigen Image der Folie-Bergeré und ihrer unzähligen Nachahmer hatte der Theatergründer allerdings nichts im Sinn: "Rein-aufrichtig und schön" sollte es auf der Bühne zugehen und so ist es auch geblieben.

Das Repertoire kommt ohne Altersbeschränkung aus. Auch im Berliner Gastprogramm dominieren Herzschmerz und Idylle. Die Proben für den japanischen Teil rauben am meisten Zeit: Immer wieder müssen die Tänzerinnen Position beziehen, ihre Choreographie der großen Friedrichstadt-Bühne anpassen. Kurz vor der Pause dann der erste Durchgang der Nummer: Geishas erzählen von einer Gruppe Samurais, die in die Fänge gefährlicher Spinnengeister geraten. Das Stück ist ein Klassiker, der "Takarazuka"-typisch bearbeitet wurde mit einem Bühnenbild wie von Disney, und Musik, die ein bisschen wie Andrew Lloyd Webber auf japanisch klingt.

Der Anführer der Samurais wird von Shibuki gespielt. Auch später im "europäischen Programmteil" steht sie als Conferencier im Frack auf der Bühne. Wenn sie Männerrollen spielt, markiert sie keine Posen, sondern versucht ganz sie selbst zu sein, erzählt sie hinterher in der Garderobe, und ganz "rein" so wie das Firmenmotto. Seit 14 Jahren steht sie auf der Bühne des "Takarazuka", davor hat sie wie alle ihre Kollegen die Theater-eigene Hochschule besucht und wie alle Takarazuka-Tänzerinnen hat sie sich verpflichtet, nicht zu heiraten.

Alle Tänzerinnen werden mit "Seito", "Schülerin" angesprochen, selbst wenn sie schon lange zu den Stars gehören, so wie Jun Shibuki: Ihre Spezialität sind Männer mit dämonischem Charisma: Im Sissy-Musical spielte sie den Attentäter der Kaiserin und ihren ersten großen Erfolg feierte sie als Dorian Gray. Vor allem weibliche Fans zieht es in Shibukis Aufführungen. "Die Männer im Takarazuka sind ganz anders als in der Realität", erklärt Produzent Igata-San. Geben Frauen die besseren Wunschmänner ab?

Herr Igata lacht verlegen. Da müsste man bei den weiblichen Fans nachfragen. Er könne das nicht beurteilen. Und deren Treue spricht eine deutliche Sprache. Der ungebrochenen Popularität von Takarazuka hat der Enkel des Theatergründers sein Imperium zu verdanken. Kohei Kobayashi nennt neben den Theaterbühnen eine Privatbahn, mehrere Kaufhäuser und einen Vergnügungspark sein Eigen. Die Theaterbegeisterung hat er von seinem Großvater geerbt. Klar, dass er zur Premiere nach Berlin anreist. Heute Vormittag ist er bei Eberhard Diepgen im Gästehaus des Senats zu Gast, aber vorher wird er sich garantiert von Herrn Igata über den Probenverlauf Bericht erstatten lassen. Und sich selbstredend nach dem Wohlbefinden von Frau Shibuki erkundigen. Der Star ist auch in Berlin gefragt. Vor der Garderobentür wartet ein japanisches Kamerateam schon einen halben Vormittag. Als Shibuki endlich kommt, reicht die Zeit gerade mal für zwei Fragen, bevor sie wieder zurück auf die Bühne muss. "Das Takarazuka ist fast wie meine Familie" hat sie gesagt. Kein Zweifel: Das Brettchen von Jun Shibuki wird noch lange am Bühneneingang von Takarazuga hängen bleiben.

Sebastian Schneller

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