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Auf der Spitze. Dem Zeichner ist die Tänzerin nie begegnet. Ihr Auftritt in einem Musikvideo war die Initialzündung für den Comic.

© Illustration: Vivès/Reprodukt

Berlin: Tanz übers Papier

Die Berliner Primaballerina Polina Semionova ist ein internationaler Star. Jetzt hat ein französischer Künstler sich von ihr inspirieren lassen – zu einem Comic.

Ihr Mann hat sie sofort erkannt, als er das Buch zum ersten Mal sah: „Die sieht ja aus wie du!“ Eine Reaktion, die Polina Semionova anfangs nicht begeisterte. „Ich hoffe, dass jetzt nicht alle Welt denkt, dies sei meine Geschichte, nur weil mein Name auf dem Titel steht“, sagt die junge Frau mit ernster Stimme. Kerzengerade sitzt sie auf ihrem Stuhl im Pausenraum der Deutschen Oper in der Bismarckstraße. Hier hat das Staatsballett vorübergehend seine Probenräume. Vor der Ersten Solotänzerin, in der Deutschen Oper derzeit unter anderem in der Doppelrolle der Odette/Odile in „Schwanensee“ zu sehen, liegt das neue Buch auf dem Tisch, das sie mit so gemischten Gefühlen gelesen hat.

„Polina“ heißt es, eine Graphic Novel, geschrieben und gezeichnet von dem namhaften französischen Comicautor Bastien Vivès. Kürzlich hat der Zusammenschluss französischer Comic-Kritiker das Buch mit dem „Grand prix de la critique“ als besten Comic-Band des Jahres ausgezeichnet. Die Idee zu dem Werk entstand, als Vivès vor einigen Jahren im Internet ein Video entdeckte, in dem Polina Semionova zu einem Grönemeyer-Lied tanzt, „Demo (Letzter Tag)“, bis heute ein „Youtube“-Hit. Da war es um den Franzosen geschehen. „Ich liebte ihre Schönheit, die Leichtigkeit ihrer Bewegungen“, schwärmte er in einem Interview. Die Tänzerin, die der Künstler nie persönlich getroffen hat, inspirierte ihn zu einer elegant gezeichneten Erzählung, deren Figuren an vielen Stellen über das Papier zu tanzen scheinen. Und die Hauptfigur hat mit der Berliner Tänzerin nicht nur den Vornamen gemein. Ihre großen Augen, das lange Haar und der durchtrainierte Körper ähneln ihr auch äußerlich. Und die Lebensgeschichte der gezeichneten Kunstfigur weist ebenfalls Parallelen zu jener Tänzerin auf, die vor zehn Jahren als 17-Jährige von Wladimir Malakhov als Primaballerina an die Staatsoper geholt wurde und heute ein internationaler Star ist.

„Es ist toll, ein Buch mit meinem Namen in den Läden zu sehen – aber der Künstler hätte mir ruhig mitteilen können, dass er etwas plant, das durch meine Lebensgeschichte inspiriert ist“, sagt sie und blickt dabei verärgert. Das legt sich aber, als sie durch die Seiten blättert, auf denen mit fließenden Linien gezeichnete Tanzszenen und Dialoge zu sehen sind. „Der Zeichner ist ein großer Künstler, sehr talentiert“, bemerkt sie versöhnlich. Er habe einen „guten Job“ gemacht: „Ich mag Bastiens Zeichenstil. Er hat die Bewegungen und die Atmosphäre des Balletts sehr schön eingefangen.“ Die langen Beine und die eleganten Linien in dem Buch sähen allerdings mehr nach Paris als nach Berlin aus, ergänzt sie lachend.

Gerade die Darstellung der harten Arbeit auf dem Weg zur Profi-Ballerina liest sich im Comic ähnlich wie in Polina Semionovas offizieller Biografie von Gerhard Haase-Hindenberg („Polina – Aus der Moskauer Vorstadt auf die großen Bühnen der Welt“, Verlag vgs, Köln 2010). Darin geht es, wie im Comic, viel um die Entbehrungen auf dem Weg an die Spitze. „Wenn man zu bequem wird, hört man auf, nach neuen Wegen zu suchen und sich zu entwickeln“, sagt Semionova. Viele Episoden in der Biografie wie im Comic illustrieren die oft strapaziösen Folgen dieser Philosophie. „Wer es sich zu leicht macht, wächst als Künstler nicht mehr weiter“, sagt sie. „Der Tag, an dem ich sage, ich habe alle meine Ziele erreicht, wäre wahrscheinlich das Ende meiner Karriere.“ Ihr Ehrgeiz, der Kampf mit ihren Grenzen, aber auch Konflikte zwischen ihren Lehrern über den richtigen Weg für die Schülerin – auch dazu finden sich in beiden Büchern viele Episoden.

Im Comic bringt Polinas Karriere sie am Schluss nach Paris. Die echte Polina mag noch nicht vorhersagen, wohin es sie wohl in Zukunft verschlägt. In Berlin – sie lebt in Charlottenburg – fühlt sie sich nach längerer Eingewöhnungsphase inzwischen sehr wohl. „Die Stadt ist vor meinen Augen gewachsen, jedes Jahr habe ich mich ein bisschen mehr in Berlin verliebt“, sagt sie auf Englisch. In dieser Sprache fühlt sie sich immer noch sicherer, auch wenn ihr Deutsch mit den Jahren deutlich besser geworden ist. Klar ist für die Zukunft nur, dass sie irgendwann eine Familie gründen will. Für ihre eigenen Kinder, die sie eines Tages haben möchte, wäre der Tänzerin allerdings ein anderer Beruf lieber. „Ich würde mir wünschen, dass sie mehr Zeit haben werden als ich, ihre Kindheit zu genießen und mit anderen Kindern zu spielen“, sagt sie nachdenklich. Zwar sei es immer wichtig, im Leben ein Ziel zu haben. „Aber man sollte auch Zeit haben, das Leben zu genießen.“

Bastien Vivès: Polina. Reprodukt-Verlag Berlin, 202 S., 24 Euro. Nächste Aufführungen des Staatsballetts mit Polina Semionova: „La Péri“, 20. und 27. Dezember, „Schwanensee“, 16. und 25. Dezember

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