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Berlin: Tatort Wohnzimmer

Neue Salonkultur: Die illegale Party- und Kinoszene zieht in die gute Stube

Während der Film läuft, springt der Ton immer wieder auf den englischen Kommentar für Blinde und Sehbehinderte um. Irgendjemand auf dem Hochbett stellt dann den Projektor neu ein. Für einen Moment sind das Computermenü und der Mauszeiger auf der Schlafzimmerwand zu sehen. Für die Gäste, die sich an diesem Wochenende zum 60-Stunden-Nonstop-Kino in einer Wohnung in Prenzlauer Berg eingefunden haben, kommt es nicht auf die professionelle Filmvorführung an. Gemütlich ist es auf den Kissen, Sofas und Sesseln allemal. Die Filme sind unterhaltsam, und wenn nicht, geht man ins Wohnzimmer zum Tanzen oder an die Bar in der Küche.

Vielleicht ist diese Salonkultur der Ersatz für die großen illegalen Partys, die bisher den Mythos der Berliner Szene ausgemacht haben. Die meisten alten Fabrikhallen sind jetzt von Möbelhäusern, Werbeagenturen oder Beschäftigungsprojekten erobert. Und mit den Jahren hat sich auch der Coolness-Faktor verbraucht. Günstigen Wohnraum, Freiheiten für die Mieter und tolerante Nachbarn dagegen hat Berlin immer noch genug. Und das Gefühl, gleichzeitig zu Hause und in einem aufregenden Club zu sein, ist doch etwas Neues. Da ist es dann nicht so wichtig, ob man einen Filmabend veranstaltet oder, wie anderswo zu erleben war, eine literarische Soirée – das Publikum wiederum in der Wohnung, während der Poet vor der Haustür stand und seine Texte per Gegensprechanlage vortrug.

Vor allem machen solche Abende Spaß. Das nennen auch die Veranstalter des Wohnzimmerkinos als Motiv, warum sie für ein Wochenende ihre Wohnung auf den Kopf stellen, einen Tresen gezimmert haben und für ein Programm rund um die Uhr sorgen: Siebziger-Jahre-Actionkrimis am Abend, spätnachts Science-Fiction-Pornos und am Vormittag Kinderprogramm mit sowjetischen Märchenfilmen. Natürlich haben sie hier kein Gewerbe angemeldet und keine Ausschankgenehmigung. Deshalb haben sie auch nur „Freunde und Freundesfreunde“ eingeladen, wenn auch per Flyer und E-Mail-Verteiler.

Ums Geld geht es den Veranstaltern des Filmclubs nicht. Ein bisschen mehr als ein rein privates Vergnügen ist es aber doch, auch wenn alle Gäste wie bei Freunden zu Hause selbstverständlich ihre Jacken an die Garderobe hängen und manche auch ihre Schuhe ausziehen.

Für das erste Getränk wird ein Euro Unkostenbeitrag fällig, dafür gibt es einen Stempel. Es gibt klare Regeln, wer reindarf und wer nicht („Querulanten, Nerver, Witzbolde, Hunde“). Die Wohnungstür steht allerdings offen. Ansonsten wäre das private Kino auch kaum zu finden. Draußen gibt es, abgesehen von der leisen Geräuschkulisse, keinen Hinweis auf das Heimkino. So wird die Tradition der illegalen Partys fortgesetzt – ein Vergnügen für Eingeweihte, gleichzeitig aber kein geschlossener Klub.

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