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Berlin: Taxi nach Babylon

Wo bitte geht’s zur Potsdamer Straße? Viele Fahrer verstehen kaum Deutsch, viele Passagiere klagen über Irrfahrten

„Potsdamer Straße?“ – „Müllerstraße?“ – „Krausenstraße?“ Nie gehört. Drei Beispiele aus dem wahren Leben. Jeweils zögert der Taxifahrer, ist irritiert, greift zu einem zerfledderten Stadtplan. Solche Kollegen treiben Berliner Taxifahrern die Zornesröte ins Gesicht. Und sie ärgern natürlich die Kunden. „Beschwerden über mangelnde Ortskenntnisse der Fahrer haben enorm zugenommen“, sagt Detlev Freutel, Geschäftsführer des Taxiverbandes Berlin (TVB).

Gründe dafür gibt es viele. Einer der wichtigsten: das ruinöse Geschäft der Berliner Taxi-Unternehmen. Weil die Umsätze um bis zu 30 Prozent eingebrochen sind, versuchen die Betriebe ihre Wagen mit den am Umsatz beteiligten Fahrern möglichst rund um die Uhr am laufen zu halten. „Es werden hemmungslos Fahrer auf die Taxen gepumpt“, sagt Freutel. Fahrer mitunter, die für den Job nicht geeignet sind oder die schlecht deutsch sprechen. 80 bis 85 Prozent der Ortskundeprüflinge beim Taxiverband Berlin sind ausländischer Herkunft. Selbst Kandidaten, die die Prüfung bestehen, haben zum Teil „erhebliche Sprachprobleme“, sagt Freutel. Ihr Deutsch reicht, um die abgefragten Zielfahrten auswendig zu lernen, für das Gespräch mit dem Kunden jedoch nicht mehr. Der Taxiverband Berlin nimmt Rücksicht auf seine Prüflinge. Beim schriftlichen Teil der Fragen ist korrekte Rechtschreibung nicht mehr so wichtig. Nur die ersten vier bis fünf Buchstaben eines Straßennamens müssen stimmen: „Sonst hat der Fahrer keine Chance, die Straße im Verzeichnis zu finden.“

Drei große türkische Taxischulen, die um den guten Ruf der Branche fürchten, haben sich beim Verband beschwert, er prüfe zu lasch. Der allerdings verteidigt sich: „Wir dürfen nun mal nur die Orts-, nicht aber die Sprachkenntnisse abfragen“, sagt Freutel. Abhilfe versuchen die Taxi-Schulen selbst zu schaffen. Einige türkische Schulen schalten dem Ortskundeteil einen Sprachkurs vor, deutsche Schulen nehmen Bewerber mit geringen Deutschkenntnissen gar nicht erst an.

Dem im Januar als Alternative zu den beiden bestehenden Taxiverbänden gegründeten Berliner Taxiverband (BTV) ist das zu wenig. Er fordert eine Reform der Ortskundeprüfung. Müssten angehende Fahrer mehr Fragen schriftlich beantworten, würden sich Kandidaten mit schwachen Deutschkenntnissen selbst entlarven, sagt Mitglied Jürgen Voges. Der Taxi-Unternehmer kennt Fälle, in denen sich Fahrer die Ortskunde mit eigens dafür aufgenommenen türkischen Hörspielkassetten lernten. „Nach fünf oder sechs Versuchen bestehen auch die ihre Prüfung.“

Und dann gibt es noch Fahrer, die einfach ohne Personenbeförderungsschein (P- Schein) und Ortskundeprüfung unterwegs sind. Gesicherte Daten über den Missbrauch liegen nicht vor – die Prüfer des dafür zuständigen Landeseinwohneramtes haben noch keine illegalen Kutscher aufgespürt.

Doch für Branchenkenner ist der Missbrauch ein offenes Geheimnis. Taxifahrer kritisieren die Kontrollen selbst. Prüfungen gibt es vor allem am Flughafen Tegel oder am Bahnhof Zoo. „Das ist die Region, wo Leute ohne Schein dann eben nicht hinfahren“, sagt Andreas Weise vom Kreuzberger Taxi-Duo.

Fünf Prozent aller Fahrer, so schätzt er, haben keinen Schein oder fahren auf dem Schein eines Verwandten. Zwar ist auch Weise aufgefallen, dass Kontrolleure im Januar und Februar verstärkt unterwegs waren. Doch das war zur falschen Zeit, ärgert er sich: Silvester haben alle gut abkassiert und danach „hat auch der letzte illegale Fahrer die Straße erst einmal verlassen“.

Frauke Herweg

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