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Berlin: Techno eiskalt

Richie Hawtin schrieb die Musik zur Eröffnungsgala von Olympia in Turin

Alles ist natürlich streng geheim. Soll eine Überraschung werden. Und deshalb darf es eben auch niemand vorher hören, das Stück, das der in Berlin lebende Techno-DJ und Produzent Richie Hawtin für die Eröffnungsfeier der Olympischen Winterspiele am Freitag in Turin komponiert hat. Vier Monate lang hat er zusammen mit dem italienischen Choreografen Enzo Cosimi daran gearbeitet. Ist zwischen Mailand, wo Cosimi lebt, und seinem Musikstudio in der Nähe der Friedrichstraße in Mitte gependelt, um Absprachen zu treffen. Hat anfängliche Versionen zwischendurch wieder verworfen und ganz von vorne angefangen – bis dann das Lied mit dem Titel „9:20“ im vergangenen November endlich fertig war. Das endgültige Ergebnis dieser Zusammenarbeit kennt Hawtin bislang allerdings selbst nicht. Denn noch feilt Cosimi in Italien an der Choreografie, und die Outfits für die vielen hundert Tänzer sind ebenfalls noch nicht ganz fertig.

„Es wird auch für mich eine Überraschung. Bisher hat mir Enzo immer nur von seinen Vorstellungen erzählt oder Skizzen gezeigt. Ich bin schon sehr gespannt“, sagt Richie Hawtin. Er sitzt auf einem Sofa in seinem Dachgeschossbüro in Mitte, ein Bein locker auf der Sitzfläche angewinkelt. Sein drahtiger Körper steckt in einem schmalen schwarzen Rollkragenpullover und einer ebenso schmalen grauen Jeans. Die blonden Haare fallen seitlich über die Stirn. Wie er da so sitzt, mit ruhiger Stimme von seiner Arbeit erzählt, erinnert Hawtin an einen modernen Dandy.

Vor zweieinhalb Jahren zog es den Technokünstler, der zuvor in Detroit, London und New York gelebt hatte, nach Berlin. Die Stadt kannte Hawtin von zahlreichen DJ-Gigs. Sie sei ein Ort gewesen, mit dem er sich gleich verbunden gefühlt habe. „Ich mag an Berlin diese Ausgewogenheit: Einerseits sind die Lebensbedingungen hier sehr angenehm, andererseits gibt es viele interessante Künstler.“ Überhaupt begeistere ihn an Europa das große Interesse für Subkultur, sagt Hawtin.

Vielleicht hat es ihn deshalb nicht groß gewundert, als Anfang vergangenen Jahres die erste Anfrage des Olympischen Komitees per Mail kam – auch wenn er das Schreiben zunächst nicht ernst genommen habe, wie Hawtin sagt. Schließlich ließ er sich dann aber doch zu einem Treffen mit dem Organisationsteam in Italien überreden. An Ort und Stelle wurde auch schnell klar, wie die vermutlich nicht mehr ganz so jungen Herren auf den Mann mit der Vorliebe für minimalistische Elektronik-Sounds aufmerksam geworden waren: Der mit der Gestaltung der Eröffnungsfeier beauftragte Enzo Cosimi, langjähriger Bewunderer des Technokünstlers, hatte ausdrücklich um eine Zusammenarbeit gebeten.

Auch wenn Hawtin bereits seit 1987 in den bedeutendsten Clubs weltweit hinter den Plattenspielern steht und seit Anfang der 90er Jahre unter Pseudonymen wie „Fuse“ oder „Plastikman“ auf seinem eigenen Label Platten veröffentlicht, so war die Produktion des Eröffnungssongs für Olympia dennoch eine „Herausforderung“. „Während der Arbeit an dem Stück musste ich viele Sachen beachten. Es ging um ein Stück, das im Stadion gespielt und im Fernsehen oder Radio übertragen wird. Dieses Lied werden viele Menschen hören, die weder mich kennen, noch je im Leben elektronische Musik gehört haben“, sagt der 35-Jährige.

Neu sei für ihn auch die Erfahrung der künstlerischen Kooperation, des Aufeinandereingehens gewesen. In der Vergangenheit trat der gebürtige Brite, der in Kanada aufgewachsen ist, stets als musikalischer Einzelgänger auf. Cosimi habe jedoch bereits konkrete Vorstellungen gehabt. „Ich kam dann hinzu und schuf den Soundtrack zu seiner Idee.“ Sicher, gelegentlich hätten die beiden auch Kompromisse eingehen müssen – doch die weitaus größeren Zugeständnisse habe das Olympische Komitee verlangt. Obwohl es den Künstlern anfangs alle Freiheiten zugestand, zeigte es sich von den ersten Soundskizzen dann doch etwas irritiert. Der Auftrag sei „am Ende eine großartige Erfahrung“ gewesen – auch wenn die Arbeit in Anbetracht der Umstände mitunter „etwas schwer“ war.

Kurz vor der Eröffnung der Winterspiele fliegt Richie Hawtin nach Turin. Dort wird er dann bei den letzten Proben dabei sein – und erstmals das Ergebnis seiner Arbeit erleben. Bevor es für ihn von dort aus weiter zur Tour durch Südamerika geht, wird er sich einige Wettkämpfe ansehen. „Jeder möchte doch wenigstens einmal im Leben bei den Olympischen Spielen dabei sein. Ich habe sie bisher immer nur im Fernsehen gesehen.“ Die Reise nach Turin wird für Hawtin also eine Premiere. In vielerlei Hinsicht.

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