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Stefan Goldmann will, dass sein Publikum Musik live erlebt.

© promo/Botev

Techno in Berlin: Ein Name mit Klang

Sein Vater war berühmter DDR-Komponist, er selbst ist DJ im Berghain: Der Charlottenburger Stefan Goldmann will den Techno neu beleben. Seine Musik ist nicht nur tanzbar, sie ist durchdacht.

Wenn sich Stefan Goldmann morgens den Kaffee aufgießt, kann er dabei aus dem Küchenfenster seinen Arbeitsplatz sehen. Goldmann produziert elektronische Musik, sein Studio ist zwanzig Meter Luftlinie von der Wohnung entfernt. Getrennt nur durch einen beschaulichen Charlottenburger Hinterhof. Im Wohnzimmer: Ikea-Möbel, zwei schwarze Lacktische und Regale mit Hunderten von Schallplatten, die Wände sind weiß. Goldmann mag es stilvoll – und dezent. So hat er sich eingerichtet, so gibt er sich und so klingt auch seine Musik. „Postminimaler Techno“ wird das genannt, was der 34-Jährige seit zehn Jahren auf Vinyl und CDs pressen lässt und regelmäßig im Berghain auflegt.

Auch am Samstagmorgen, zum Auftakt der kleinen „Goldmann-Festspiele“: Erst steht der Sohn auf der Bühne der Panorama-Bar, am Abend feiert dann die einzige Oper des Vaters ihre Premiere. „R. Hot bzw. Die Hitze“ heißt das Werk von 1977. Sein Schöpfer Friedrich Goldmann war einer der wichtigsten deutschen Komponisten für Neue Musik.

Was der Sohn heute macht, ist minimalistisch, hat aber auch eine spielerische Note. Auf dem neuen Album „17:50“, das am Montag erscheint, sind orientalische Einflüsse herauszuhören. „Meine Mutter ist Bulgarin“, erzählt Stefan Goldmann, „und es gibt diese orientalischen Einflüsse in mancher bulgarischen Musik.“ Auch der Titel des Albums, eine Uhrzeit, hat mit Goldmanns osteuropäischen Wurzeln zu tun. „17:50“ ist eine Redewendung im Bulgarischen, die auf das bevorstehende Ende des Arbeitstages verweist. „Dann gibt’s die Exzesse“, sagt Goldmann. „Die Uhrzeit bedeutet also so was wie ‚Gleich wird’s ganz irre’.“

Irre. Das Wort scheint so gar nicht zu Stefan Goldmann zu passen. Wenn er über seine Musik redet, die Beine übereinandergeschlagen, klingt das fast akademisch. Goldmann hat einen Magister in Akustischer Kommunikation, er spricht von „mikrotonaler Stimmung“ und davon, wenn sich „Rhythmusgruppe und Melodieinstrumente gegeneinander verschieben“. Sein Techno ist nicht nur tanzbar, er ist durchdacht. Die orientalischen Verweise auf dem neuen Album hat er sich nur erlaubt, weil er mit der bulgarischen Kultur gut vertraut ist. Alles andere wäre „Oberflächenexotik“, wie Goldmann es nennt. Kitsch schreckt ihn ab, Abgeschmacktes wird man von ihm wohl nie hören. Das hat auch mit seinem Vater zu tun.

Wie der Vater, so der Sohn? Aufbegehren auf höchstem Niveau

Friedrich Goldmann, der vor drei Jahren starb, war mit 18 Schüler von Karlheinz Stockhausen, studierte dann an der Hochschule für Musik in Dresden und der Akademie der Künste in Berlin, wo er später selbst unterrichtete. Verwurzelt in der DDR, dirigierte Goldmann Orchester in der ganzen Welt: in Russland, den USA, Japan – und der BRD. Auch nach der Wiedervereinigung blieb er gefragt. Im Jahr seines Todes komponierte er für den Staatsakt zum 20-jährigen Jahrestag des Mauerfalls.

Ein berühmter Vater kann Inspiration oder Bürde sein. „Mit 14 konnte ich mit seinen Arbeiten nicht so viel anfangen“, sagt der Sohn heute, „aber zumindest habe ich jeden Tag gesehen: Musik kann auch ein richtiger Beruf sein.“ Er selbst spielte in Bands, merkte jedoch schnell: Der Gitarrist möchte eines, der Drummer was anderes, und am Ende kommt ein fauler Kompromiss heraus. Als Techno-Produzent war es da einfacher. „Als ich angefangen habe, dachte ich: Toll, ich komme ja zu ganzen Stücken, ohne mich wochenlang im Proberaum rumärgern zu müssen.“ Erst ging es ihm nur um Beat und Groove, dann kamen die ersten Zweifel. Ist das Feld des Techno nicht schon längst überackert? Werden meine Tracks überhaupt noch gebraucht? „Ich wollte keine akustische Umweltverschmutzung betreiben, sondern mich von dem, was sonst passiert, abheben.“

Die Neue Musik des Vaters und der Techno des Sohnes: Das sind zwei Musikrichtungen, die an einem Punkt gegensätzlich sind. In der Neuen Musik darf sich nichts wiederholen – und der Techno lebt genau davon. Die Entscheidung für die elektronische Musik war für Stefan Goldmann also eine Emanzipation vom Vater. Aufbegehren auf allerhöchstem Niveau sozusagen. Im vorigen Jahr gab es dann die posthume Würdigung des Sohnes: Goldmann veröffentlichte das Spätwerk seines Vaters auf dem eigenen Label „Macro“. Stücke für Violine und Cello für die Hörer von Elektro-Musik. Warum das? „Wir hatten das Gefühl, dass in der Musik was steckt, was über das Neue-Musik-Ghetto hinausragt und auch das Techno-Publikum anspricht“, sagt der Labelchef.

Neues soll her, denn Stefan Goldmann stört, was in der elektronischen Musik gerade passiert – oder eben nicht passiert: der immer gleiche Loop, die Fülle von Tracks, die sich kaum unterscheiden, der fehlende Mut, mal was auszuprobieren. Goldmann will mehr. Deshalb bringt er seine Musik jetzt auf die Bühne. Das Live-Erlebnis soll wieder wichtiger werden. In der Panorama-Bar programmiert er Tracks mit analogen Geräten wie einer Drum Machine. Das Publikum soll erleben können, wie die Musik entsteht, soll etwas hören, das in dieser Form nur an diesem Morgen und an diesem Ort zu hören sein wird. Am Abend wird Stefan Goldmann dann im Saal des Schillertheaters sitzen, bei der Premiere von „R. Hot bzw. Die Hitze“. Übernächtigt zwar, aber auch voller Vorfreude auf die Oper seines Vaters.

Termine:

- Stefan Goldmann beim „Finest Friday“ im Berghain (Panorama-Bar): Sonnabend, 4–5 Uhr.

- Friedrich Goldmanns Oper „R. Hot bzw. Die Hitze“ in der Werkstatt der Staatsoper im Schillertheater: Sonnabend, 20 Uhr

Kaspar Heinrich

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