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Berlin: Techno ohne Ende

Abschied vom Ostgut: Die letzte Clubnacht war auch die längste

Das ist wohl die längste Clubnacht, die das Ostgut je erlebt hat. Während sich die Stadt bereits auf den montäglichen Arbeitstag vorbereitet, wird im Technoclub in der Mühlenstraße immer noch gefeiert. Seit Samstagabend. Jedoch zum letzten Mal: Der Pachtvertrag ist abgelaufen, in wenigen Wochen beginnen an der Friedrichshainer East Side Gallery die Bauarbeiten für den Sport- und Veranstaltungskomplex der amerikanischen Anschutz-Group.

„Und was machst du an den nächsten Wochenenden?“ Diese Frage ist die wohl meist gestellte im Ostgut. Zum letzten Party-Wochenende kamen knapp viertausend Besucher in die ehemalige Halle des Ost-Güterbahnhofs, die seit Neujahr 1998 eine Heimstatt der harten Techno-Beats geworden ist. Eine Antwort hat keiner. Und darum wird gefeiert, als ob es kein Morgen gäbe. „Schön war’s“ – das Motto der letzten Clubnacht umreißt es treffend: Alle Resident-Discjockeys sind mit ihren Lieblings-Tonträgern geladen, im Stundentakt wechseln sich die DJs an den Plattentellern ab und lassen musikalisch die vergangenen fünf Jahre Revue passieren. Kein leichtes Unterfangen: Am DJ-Pult häufen sich Red-Bull-Dosen, Afri-Cola-Flaschen und Kaffeebecher – ohne Hilfsmittel schafft niemand diesen Tanzmarathon, ob vor oder hinter dem Pult.

Mit dem Ostgut verschwindet aus dem Viertel zwischen Ostbahnhof und Warschauer Brücke ein wichtiger Teil der Berliner Clubkultur. Aus ganz Europa reisen auch zu dieser Nacht wieder Techno-Begeisterte an, Englisch ist wie so oft die zweite Verkehrssprache, zwischen den hämmernden Beats sind auch spanische und französische Wortfetzen auszumachen. Sie alle eint das: Lust auf Party! „Nirgendwo kann man dreckiger feiern als hier“, behauptet Sandy. Dreckiger? „Die Partys hier sind einfach hemmungslos, man kann sich fallen lassen in die Musik – und die Menschen sind einfach super lässig drauf“, sagt die 29-Jährige und zieht genüsslich an einem Joint. „Das Ostgut ist eine Insel der harten Musik“, beschreibt ihr Freund den gemeinsamen Lieblingsclub. Nun muss die Techno-Insel der Abrissbirne und Planierraupen weichen, die Clique um Sandy will erstmal pausieren, denn das „Andenken ans ,Gut‘ wollen wir ehren“.

Die Anfänge des Ostguts liegen über zehn Jahre zurück im „Technobunker“ an der Albrechtstraße in Mitte: Hier entstand mit dem „Snax-Club“ Europas größte schwule Sex & Techno-Party, die nach wechselnden Veranstaltungsorten schließlich ein Zuhause in Friedrichshain fand. Der Zuspruch ermutigte die Betreiber, aus der unregelmäßigen Party einen Techno-Club für jedermann zu machen. Zur Love Parade 1998 gelang dann dem Ostgut der Durchbruch. Die Mischung des Publikums suchte ihresgleichen. „Und was machst du an den nächsten Wochenenden?“ Die Frage stellte auch der Reporter – „Entgiften!“ war die originellste und wohl auch ehrlichste Antwort.

Ole Meiners

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