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Auf der Matte. In diesem Raum zeigt Heide von Soosten (links) den jungen Müttern, wie man das Baby richtig anfasst. Es soll dort bald auch Rückbildungskurse geben. Aber dafür muss der Raum noch ausgestattet werden, vor allem mit den richtigen Matten.

© Thilo Rückeis

Teenager-Schwangerschaften: Mit dem Baby zurück ins Kinderzimmer

Der Verein „Netzwerk junge Familien“ hilft Teenagern, die ein Kind bekommen haben oder schwanger sind. Das Projekt bittet um Spenden.

Milena maunzt. Das Baby im Teddyfellanzug, das eigentlich anders heißt, ist sehr müde. Und unzufrieden. Sie liegt in einem weichen Kinderwageneinsatz, den ihre Mutter – nennen wir sie Nicole – wie eine Einkaufstasche trägt. Sie will sie mit in den Garten nehmen, zum Lagerfeuer. „Hast du eine Mütze für sie?“, fragt Heide von Soosten, die daneben steht. Ja, hat sie. Nicole setzt sich auf einen Stuhl am Feuer, die Kinderwagensofttasche mit Baby auf dem Schoß. Milena maunzt noch immer ziemlich kläglich. Da holt Heide von Soosten das zwei Monate alte Kind aus der Tasche, wickelt es in eine Decke und nimmt es in den Arm. „Alles gut, mein Schatz“, sagt die Diplomheilpädagogin. Milena hört auf zu weinen und blickt in die Flammen. Nicole sitzt daneben und sagt: „Ich wollte eigentlich gar keine Kinder. Ich wollte Karriere bei der Polizei machen.“ Trotzdem wurde sie schwanger und bekam Milena – mit 17 und ziemlich unvorbereitet. Erst im fünften Schwangerschaftsmonat bemerkte sie das Kind in ihrem Bauch.

Meistens trennen sich die jungen Paare

„Es liegt nicht am Alter, ob man eine gute Mutter oder ein guter Vater wird, sondern am sozialen Umfeld und den finanziellen Bedingungen“, sagt von Soosten, die dafür sorgen will, dass beides stimmt – nicht nur bei Nicole und Milena, sondern auch bei anderen Müttern im Teenageralter. Der Garten, in dem das Lagerfeuer flackert, gehört zu einer Erdgeschosswohnung in der Nähe des Marienfelder Damms. Hier hat der Verein „Netzwerk junge Familien“, den von Soosten gerade gegründet hat, seit zwei Monaten seine Räume. Mütter wie Nicole finden hier Unterstützung. Vorher hat von Soosten acht Jahre lang eine sehr ähnliche Einrichtung in Neukölln koordiniert. In Tempelhof habe es so ein Angebot bislang nicht gegeben. „Dabei wird es wirklich dringend gebraucht“, sagt die Heilpädagogin, die auch im Klinikum Neukölln in der Kinderschutzambulanz arbeitet.

Nicole, Milena und fünf bis acht andere Mutter-Kind-Paare kommen sonst regelmäßig am Mittwochmorgen in die Räume des Vereins. Meist bleiben sie mindestens den halben Tag, erst im Bewegungsraum, dann im Frühstückszimmer der Einrichtung. An diesem Abend sind auch zwei sehr junge Väter dabei, einer von ihnen ist der Papa von Milena, der das Baby jetzt Heide von Soosten abnimmt. „Dass die Mütter noch mit den Vätern zusammen sind, ist die Ausnahme. Die meisten jungen Mütter, die wir unterstützen, sind allein erziehend. Da geht es auch darum, sie aus der Isolation zu holen“, sagt die Heilpädagogin. Fast alle jungen Mütter hier kämen aus sozial sehr schwierigen Verhältnissen. Manche sind noch keine 20 und haben schon das zweite Kind bekommen. Zwei Zweijährige sind zum Beispiel an diesem Abend am Feuer dabei und müssen immer wieder rechtzeitig vor der Feuerschale abgebremst werden.

Viele der Mütter seien arbeitslos und aufs Jobcenter angewiesen. Nur wenige haben einen Schulabschluss und eine Ausbildung. Mehrere sind verschuldet und nicht wenige seien missbraucht worden oder im Heim aufgewachsen. „Oft werden Mädchen so jung schwanger, weil sie einen Liebesersatz suchen“, sagt von Soosten. „Die Konsequenzen können sie meist nicht einschätzen.“ Damit es in diesem Text auch um solche Themen gehen kann, ohne dass die Mütter, Väter und Kinder Nachteile in ihrem weiteren Leben befürchten müssen, sind alle Namen bis auf den der Heilpädagogin geändert.

Eine Mutter hatte kein Geld, um Essen fürs Baby zu kaufen

Die erzählt jetzt, dass eine der Mütter neulich außer der Reihe zu ihr kam und gestand, dass sie kein Geld mehr hatte, um Essen für ihr Baby zu kaufen. Sie hatte es nicht geschafft, die Anträge an das Jobcenter rechtzeitig und in der richtigen Form zu stellen. Heide von Soosten sorgt in solchen Fällen dafür, dass die Mütter sich untereinander helfen. Auch bei den Anträgen für Kinder- und Elterngeld. Der Name des Vereins – „Netzwerk junge Familien“ – soll Programm sein.

„Vernetzung hilft unheimlich. Die stärkeren Mütter können die weniger starken an die Hand nehmen“, sagt die Heilpädagogin. Nicole wurde von Lena zum Jobcenter begleitet. Lena ist auch 17, sieht aber eher wie 13 oder 14 aus – viel zu jung um schon Mutter zu sein. Neben ihr sitzt Tom am Feuer. „Eigentlich wollten wir erst später Kinder, aber jetzt ist es sehr schön“, sagt der ebenfalls 17-Jährige. Ihr Baby schläft drinnen in der Küche im Kinderwagen. „Tom und Lena sind die große Ausnahme, unser Vorzeigepaar aus sozial stabilen Verhältnissen“, sagt von Soosten. Die kleine Familie lebt bei Lenas Eltern, beide machen eine Ausbildung im Einzelhandel, Lena kann nach der Babypause ohne Probleme weitermachen. Ihre Eltern unterstützen sie.

Aber eins der Hauptprobleme sehr junger Mütter betreffe auch sie, sagt die Heilpädagogin: „Der Abnabelungsprozess ist in der Pubertät in vollem Gange – und plötzlich sind die Mädchen durch die Schwangerschaft und Geburt des Babys wieder auf ihre Familie angewiesen“ Das könne große Spannungen und Probleme verursachen. Mit den anderen jungen Müttern aus dem Netzwerk und mit der Heilpädagogin können sie darüber sprechen und nach Lösungen suchen. Auch zu anderen Themen; Wie man mit Schlafmangel und Überforderungssituationen umgeht etwa. „Am wichtigsten fand ich aber, dass wir gelernt haben, wie man die Babys hochnimmt, zum Beispiel so seitlich. Das hätte ich mich sonst nicht so getraut“, sagt Lena. „Handling“ nennt von Soosten das. „Und ich wusste vorher nicht, dass man kleine Babys nicht hinsetzen soll.“, sagt Nicole. „So junge Mütter machen meist keinen Säuglingspflegekurs in der Schwangerschaft und die wenigsten haben eine Hebamme“, sagt die Heilpädagogin. Lena hat sie inzwischen eine besorgt.

Das Projekt bittet um Spenden für die Ausstattung

„Meine Arbeit ist auch präventiver Kinderschutz.“ An Puppen zeigt sie den Müttern, wie leicht ein Kind Schäden davon tragen kann, wenn sie nicht richtig darauf achten, dass die Babys anfangs noch nicht das Köpfchen halten können. Und wie schnell ein Schütteltrauma entstehen kann. Im Bewegungsraum sitzen zu diesem Zweck Babypuppen auf der Fensterbank, die ziemlich alt wirken. „Mit denen kann man das nicht richtig zeigen, der Kopf lässt sich kaum bewegen. Wir brauchen unbedingt richtige Puppen“, sagt von Soosten. Knapp 1000 Euro kostet so eine. Viel Geld für den kleinen, neu gegründeten Verein, dessen Finanzierung noch Stückwerk ist: Von Soosten hat zwar zwei größere Vereine als Träger gefunden, doch um das Netzwerk zu etablieren, muss noch sehr viel angeschafft werden. Vieles hat von Soosten von ihrem eigenen Geld bezahlt. Sie bittet deshalb um Spenden, etwa für die Puppen. Aber auch für Tragegurte, eine große Garderobe, Lampen, einen stabilen Wickeltisch und die Miete für die nächsten Monate – und vor allem Matten für das Babyhandling und andere Kurse: Ab Januar sollen Hebammen im Bewegungsraum Rückbildungs- und Geburtsvorbereitungskurse anbieten. So sollen die jungen Mütter mit den Hebammen in Kontakt kommen. „Die Jugendlichen würden sich sonst nicht für einen Rückbildungskurs anmelden, dabei ist das auch in ihrem Alter wichtig“, sagt von Soosten.

Auch schwangere Teenager sollen bald zur Gruppe hinzukommen. Ein Mal im Monat soll es ein Angebot von profamilia zur Verhütungberatung geben. Von Soosten sucht auch nach ehrenamtlichen Patinnen für junge Mütter in besonders schwierigen Situationen. Diese hätten oft Schwierigkeiten, eine Bindung zu ihren Babys aufzubauen „und die Zeichen der Kinder zu deuten. Das macht sie traurig.“ Um das zu ändern, will die Pädagogin eine Kamera über dem Wickeltisch anbringen, Mütter bei der Interaktion mit ihren Babys filmen und dann mit ihnen gemeinsam die Aufzeichnung ansehen, „Ich habe schon erlebt, dass Mütter danach ganz beseelt nach Hause gehen.“

Wenn es nach der Heilpädagogin geht, werden Nicole, Milena und die anderen jeden Mittwoch kommen, bis ihre Kinder in der Kita eingewöhnt sind. „Wir suchen auch mit ihnen einen Kitaplatz“, sagt sie.

Milena liegt inzwischen friedlich auf Papas Schoß, ihre Mütze ist ihr über die Augen gerutscht. Behutsam schiebt er sie ein Stückchen hoch – und weckt aus Versehen das Baby. Er hatte gar nicht mitbekommen, dass sie tatsächlich eingeschlafen war. „Schlaf doch wieder ein, eben ging es doch auch“, fleht er.

Spenden bitte an: Spendenaktion Der Tagesspiegel e. V., Verwendungszweck: „Menschen helfen!“, Berliner Sparkasse, BIC: BELADEBE, IBAN: DE43 1005 0000 0250 0309 42. Namen und Anschrift bitte für den Spendenbeleg auf der Überweisung notieren. Im Internet: www.tagesspiegel.de/spendenaktion.

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