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Über den Weiterbetrieb des Flughafen Tegels soll am 25. September 2017 per Volksentscheid abgestimmt werden.

© Jörg Carstensen/dpa

Tegel Debatte im Berliner Abgeordnetenhaus: Vier Juristen, fünf Meinungen

Von "Die Offenhaltung von Tegel hat keine Chance" bis zu „Die Schließung ergibt sich nicht aus dem Planfeststellungsbeschluss“ war alles dabei. Eine Debatte im AGH zeigt die höchst unklare Lage zur Flughafensituation.

Von Sabine Beikler

Vier Juristen, fünf Meinungen – auf dem Podium der Diskussionsrunde im Abgeordnetenhaus saßen vier Juristen, denen eines gemein war: eine unterschiedliche Rechtsauffassung, ob der Weiterbetrieb des Flughafens Tegel überhaupt rechtlich möglich ist. Auf BUND-Einladung debattierten Sebastian Kluckert, benannt von der FDP, Benjamin Schirmer, benannt von der CDU, Karsten Sommer für den BUND sowie Remo Klinger, der den Senat im Tegel-Schließungsverfahren vertritt.

"Wir würden locker vor jedem Gericht gewinnen"

Das Fazit nach zwei Stunden: Es gibt unterschiedliche Rechtsauffassungen, ob Tegel auch nach einer BER-Öffnung weiter betrieben werden darf. Offen bleibt auch, wo die Prioritäten wie zum Beispiel Lärmschutz im Planungsrecht liegen, um eine Öffnung – auch eine befristete – juristisch zu unterfüttern beziehungsweise diese im Umkehrschluss völlig auszuschließen. Einig waren sich alle Juristen, dass es ohne Zustimmung der beiden Mitgesellschafter Brandenburg und Bund keine Änderung der bestehenden Raumordnung beziehungsweise Planfeststellung geben wird.

BUND-Geschäftsführer Tilmann Heuser unterstrich noch einmal das Nein des BUND aus sozialen und ökologischen Gründen wie zum Beispiel die Belastung durch den Fluglärm. Gegen einen Weiterbetrieb spricht laut BUND auch das geplante Nachnutzungskonzept für den Flughafen Tegel. Aber wie sieht die rechtliche Situation aus, sollte das Planungsrecht geändert werden und der Flughafen doch geöffnet bleibt? „Wenn jemand auf die Idee kommt, das planungsrechtlich durchzusetzen, würden wir locker vor jedem Gericht gewinnen“, meint Heuser.

Meyer sprach von einer Verzögerungstaktik des Senats

Der FDP-Spitzenkandidat Christoph Meyer dagegen betonte die mangelnden Kapazitäten des noch nicht eröffneten Großflughafens BER. „Die Frage der Kapazitäten lag vor vielen Jahren bei 33 Millionen im Jahr 2030, jetzt liegt sie schon bei 35 bis 36 Millionen“, sagte Meyer. All die früheren Berechnungen seien Makulatur. „Der Flughafen Tegel kann offen bleiben bei gleichzeitiger Öffnung des BER.“ Die Frage aber, ob entsprechende Bemühungen politisch umgesetzt würden bevor Tegel schließen müsse, sei virulent. Meyer sprach von Verzögerungstaktik des Senats.

Der Jurist und frühere FDP-Abgeordnete Kluckert hatte bereits 2013 ein Gutachten erstellt, das den Weiterbetrieb rechtlich für möglich beschreibt. „Es heißt, dass durch einen Weiterbetrieb von Tegel der BER gefährdet ist. Aber diese Aussage ist eine Nebelkerze“, sagte Kluckert. Laut Urteil des Bundesverwaltungsgerichts von 2006 sei verbindlich, dass Klagen abgewiesen würden. Der Planfeststellungsbeschluss für BER sei unanfechtbar. Die Lösung, um dies abzuwenden, stehe im Verwaltungsverfahrensgesetz, das festschreibt, dass Ansprüche auf Unterlassung des Vorhabens ausgeschlossen sind. Hätte man das Schicksal von Tegel und BER verknüpfen wollen, hätte man eine Bedingung juristisch aufnehmen müssen. „Tegel taucht nicht ein einziges Mal auf“, kritisierte Kluckert.

„Es ist rechtlich nicht unmöglich, Tegel offenzuhalten“

Jurist Schirmer sagte, Tegel könne befristet und unbefristet offengehalten werden. „Es ist rechtlich nicht unmöglich, Tegel offenzuhalten“, sagte Schirmer und nannte mehrere Thesen. Schließungsbescheide von 2004 und 2006 müssten aufgehoben oder geändert werden. Alte Zulassungen für den Flughafen blieben bestehen. „Die Schließung ergibt sich nicht aus dem Planfeststellungsbeschluss“, sagte Schirmer.

Die Änderung der Aufhebung der Schließungsbescheide setze voraus, dass sich die Umstände verändert hätten. Und das seien die Kapazitätsgründe: Der BER sei viel zu klein konzipiert. Und ob eine Offenhaltung von Tegel mit dem Ziel der Raumordnung ihm Widerspruch steht, sei bisher noch nicht geklärt worden. Aber die Raumordnung könne man auch ändern. „Sie kann juristisch angepasst werden.“ Schirmer bezog sich auf die landesplanerische Gestaltung der Länder Berlin und Brandenburg.

Viele Menschen in Tegel sind von zu hoher Lärmbelastung betroffen

Der vom BUND bestellte Jurist Karsten Sommer betonte, die Schließung von Tegel sei fachplanerisch zwingend und nicht rückgängig zu machen. Das hätten die diversen Urteile ergeben. Das durchziehe die gesamte Raumordnung, die bindend sei. Eine Änderung dieser Vorgaben sei zwar denkbar, „aber nicht möglich“, da eine Änderung eine Änderung bestehender Ziele der Raumordnung sei und diese vorher abgewogen worden seien.

Die Lärmbelastung habe bei dieser Abwägung die oberste Priorität gehabt. „Die Lärmbelastung ist nicht überwindbar“, sagte Sommer. Belastungen über 65 Dezibel müssten 20500 Menschen in Tegel aushalten, in Frankfurt am Main gebe es dagegen keine Belastungen in dieser Größenordnung. Und 1700 Menschen in Tegel seien sogar von Lärmbelastungen über 70 Dezibel betroffen.

Sommer sagte, ein jahrelanger Prozess der Abwägungen hätte die Folge. „Der BER wird hoffentlich 2019/2020 geöffnet. Wir brauchen dafür die Planungssicherheit.“ Der BUND würde gegen Tegel-Offenhaltung klagen. Niemand aber wolle eine jahrelange Planungs- und Rechtsunsicherheit.

Angela Merkel habe bereits betont, dass sie gegen eine Offenhaltung von Tegel ist

Remo Klinger betonte, er würde als privater Rechtsanwalt aufgetreten. „Wer muss nach einem erfolgreichen Volksentscheid darüber entscheiden“, stellte der Anwalt die Frage. Zustimmen müsste nicht nur das Land Berlin, sondern auch Brandenburg und der Bund. Und Bundeskanzlerin Angela Merkel habe ja bereits gesagt, dass sie keine Offenhaltung von Tegel befürworte.

„Vier bis fünf Planungsverfahren müssten im anderen Fall angefasst werden“, sagte Klinger. Auch er nannte die Belastungen durch den Fluglärm. Die Diskussion über abknickende Flugrouten sei vor Jahren auch aufgetaucht, doch die habe das Gericht auch abgewiesen. „Wenn man sich schon so blamiert hat wie Berlin und Brandenburg, dann könnte man dem noch die Krone aufsetzen und rechtlich alles wieder neu rechtfertigen müssen.“ Das könne aber niemand wollen. Im Übrigen umfasse die Planfeststellung in Schönefeld eine Kapazität von 70 Millionen Passagiere.

Kluckert sagte, man brauche auf jeden Fall eine Änderung der Raumordnung. Er stehe auf dem Standpunkt, dass das auch möglich sei. Die Offenhaltung von Tempelhof und Tegel sei im Übrigen auch rechtlich möglich gewesen.

Kann all das, was planungsrechtlich damals festgezurrt wurde, heute noch Bestand haben? Jurist Schirmer äußerte Zweifel. Bei einer befristeten Offenhaltung von Tegel gebe es ganz andere Aspekte zu berücksichtigen.

"Der Volksentscheid ist eine hohle Phrase"

Karsten Sommer nannte das Vorhaben des Volksentscheids als „unehrlich. Der Volkentscheid ist eine hohle Phrase“. Der hätte mindestens auch in Brandenburg durchgeführt werden müssen. Einen Partner gebe es nicht, der bei einem erfolgreichen Volksentscheid dazu Ja sagen würde. Brandenburg würde dem auch nicht zustimmen. „Alles andere ist völlig absurd“, sagte Sommer.

Er hob erneut das Raumordnungsverfahren hervor, das ein Single-Airport-Konzept beinhalte. Auch eine befristete Öffnung von Tegel sei nicht möglich. „Wollen wir das für einen Partner wie Ryan Air investieren“, sagte Sommer und kritisierte die bisherige Politik von Ryan Air bei anderen Flughäfen.

Das Wort Zielabweichungsverfahren – ein Schlüsselbegriff

Das Wort Zielabweichungsverfahren war in der Diskussion ein Schlüsselbegriff. Die Raumordnung geht davon aus, dass der gesamte Flugverkehr am BER abgewickelt werden kann. „Das ist nicht der Fall“, sagte Jurist Schirmer. Vor dem Hintergrund könne man an eine Befristung durchaus denken. Anwalt Klinger erwiderte, der Flughafen solle laut Volksentscheid unbefristet geöffnet bleiben. „Eine Öffnung über mehr oder weniger ein paar Monate könnte noch funktionieren. Aber nicht länger“, sagte Klinger und führte erneut wieder die Probleme mit dem Schallschutz an.

Ist der Volksentscheid ohne Zustimmung von Berlin und Bund ein „Popanz“, fragte die Moderatorin und Tagesspiegel-Redakteurin Fatina Keilani. Jurist Kluckert sagte, rechtlich sei eine Offenhaltung möglich. Und politisch müsse man eben mit den Partnern darüber diskutieren. Berlin könnte theoretisch den Landesplanungsvertrag mit Brandenburg auch kündigen. Das aber beabsichtigt Berlin bisher in keiner Weise. Der SPD-Abgeordnete Jörg Stroedter fragte den früheren FDP-Abgeordneten Sebastian Kluckert, warum die FDP im Volksentscheid kein Gesetzesvorhaben geschrieben und eingereicht habe. Er spreche nicht für die FDP, entgegnete Kluckert, sondern er sei von der FDP als Jurist benannt worden. Er mutmaße, dass durch Weglassen des Gesetzes verschiedene Wege geöffnet werden und mehr Flexibilität dargestellt werden sollten.

„Die Offenhaltung von Tegel hat keine Chance.“

Der CDU-Generalsekretär Stefan Evers sagte, er sei froh, dass viele Argumente ausgetauscht wurden. „Wo ein Wille ist, ist auch ein juristischer Weg da“, sagte Evers. Er wolle sich nicht mit Gegebenheiten abfinden, sondern auch mit den Gesellschaftern bei einem Pro für Tegel sprechen. Wer die Interessen von Bund und Brandenburg einbeziehe, könne nur die Offenhaltung von Tegel hinsichtlich der BER-Kapazitätsprobleme sein. Man sei von der Realität eingeholt worden.

Stroedter sagte, die Chance etwas rechtlich zu ändern, sei „gleich null“. 300 000 Bürger in Tegel seien von der Lärmbelastung betroffen. „Die können der Politik doch nicht egal sein.“ Es gebe auch kein Kapazitätsproblem, da auch der Alt-Flughafen Schönefeld noch im Betrieb sei. „Die Offenhaltung von Tegel hat keine Chance.“ Er hoffe, dass die Bürger den „Zirkus“ für die Offenhaltung nicht mitmachten.

Eine Änderung von diversen Verfahren sei ein langwieriges Unterfangen mit verschiedenen Möglichkeiten, Klageverfahren anzustrengen, sagte Linkspolitiker Harald Wolf. Eine gemeinsame Landesplanung aufzukündigen sei ein „desaströser Vorschlag“, sagte Wolf an die Adresse von Kluckert.

„Das, was die FDP betreibt, ist eine grobe Irreführung der Öffentlichkeit“

Die Frage der Wirtschaftlichkeit sei zu kurz gekommen. „Die Genehmigung der EU-Beihilfe hat auf bestimmten Grundlagen stattgefunden“, sagte Ex-Wirtschaftssenator Wolf. Die Wirtschaftlichkeitsberechnungen der Gesellschafter basierten auf der Annahme der Schließung von Tegel. Die Gefahr bestehe, das gesamte Flughafensystem der Hauptstadtregion bei einer Öffnung von Tegel dauerhaft subventionieren zu müssen. „Das, was die FDP betreibt, ist eine grobe Irreführung der Öffentlichkeit“, sagte Wolf. Sollte der Volksentscheid erfolgreich sein, werde es im Anschluss eine große Enttäuschung bei manchen Bürgern geben. „Sie suggerieren, was nicht geht“, wandte sich Wolf an die FDP. „Unüberwindbare Hindernisse“ würden einer Offenhaltung entgegenstehen.

„Es gibt keinen gangbaren Weg, um zum Weiterbetrieb zu kommen. Der wäre auch politisch unverantwortlich“, sagte Grünen-Politiker Harald Moritz. Er schätzte die Bereitschaft der beiden Mitgesellschafter Brandenburg und Bund ebenfalls als äußerst gering ein, einer Offenhaltung von Tegel zuzustimmen. Diese Aussage ist zumindest das kleinste gemeinsame Vielfache der Tegel-Gegner und Tegel-Befürworter.

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