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Berlin: Temperaturen im freien Fall

Der kälteste Ort Berlins mit 26 Grad minus heißt „Eiskeller“ – doch Beeskow übertrifft noch den Rekord

Volkmar Näcke schaute in der Nacht zum Dienstag aufs Thermometer: Minus 22 Grad. Am Vormittag erwärmte es sich dann geradezu dramatisch für Eiskeller: auf minus 20 Grad. Die Landwirtsfamilie Näcke ist frosterprobt. Sie harrt seit vier Jahrzehnten hier aus. Die Wetterstation auf dem Grundstück meldet fast regelmäßig, dass hier, am nordwestlichsten Zipfel Spandaus, der kälteste Punkt der Stadt ist – der Kühlschrank Berlins.

Sein Spitzenwert war bislang 26 Grad, irgendwann in den letztenJahren. Hartnäckig hält sich das Gerücht, es habe hier schon 35 Minusgrade gegeben. „Alles Quatsch“, sagt Volkmar Näcke. Aber die Kälte gehöre nun mal zum Leben im hohen Berliner Nordwesten. „Zum Glück sind die Rohre nicht zugefroren.“ Eine verrückte Ecke ist das schon: Im Sommer prallt die Sonne auf die waldlose Fläche, und wenn die Messergebnis se der Wetterstation nicht trügen, ist Eiskeller manchmal auch der wärmste Ort Berlins. Zu Mauerzeiten war Eiskeller nicht nur für seine Temperaturschocks, auch für seine Lage bekannt: Eine West-Berliner Exklave, bis auf einen Zugang zur Schönwalder Allee von DDR-Gebiet umgeben.

Immer wieder hatte Eiskeller die größte Kälte. Doch dieser Ruf wird ihm oft von Kaniswall streitig gemacht, im südöstlichen Teil der Stadt: Zwischen Köpenick und Erkner, hart an der Berliner Stadtgrenze gelegen, werden aus der kleinen Laubenkolonie mit Freiland-Labor, umgeben von Feuchtwiesen, ähnlich bitterkalte Temperaturen gemeldet, und mit 20 Minusgraden konnte Kaniswall auch jetzt gut mithalten. Der Name Kaniswall stammt von einem kleinen, waldigen Sandhügel, der sich zur Eiszeit im Berliner Urstromtal bildete – die Geschichte verpflichtet zur Kälte.

Jenseits der Stadtgrenzen wurden in der Nacht zu Dienstag sogar noch tiefere Temperaturen gemessen. Der Computer des Hobby-Meteorologen Erwin Kallies aus Beeskow zum Beispiel zeigte genau minus 25,2 Grad Celsius an. Die wurden in seinem Vorgarten am Rande der Kleinstadt zwischen Berlin und Frankfurt (Oder) um 8.57 Uhr gemessen. „Das war der in zwei Meter Höhe gemessene Wert“, sagte der Rentner gestern. „Auf dem zweiten Thermometer, das fünf Zentimeter über dem vom leichten Schnee bedeckten Erdboden steht, waren es zur gleichen Zeit minus 24,6 Grad Celsius.“ Damit gehörte Beeskow gestern der Brandenburger Kälterekord – nirgendwo wurden niedrigere Temperaturen gemessen.

„Wir wohnen in einer leichten Senke, wo sich die kalte Luft sammelt“, erklärte Erwin Kallies den strengen Frost. „Die blieb hier über viele Stunden liegen, bei völliger Windstille kam es zu keinem Luftaustausch.“ Nur Mitte der siebziger Jahre ist es nach seinen Aufzeichnungen schon einmal so kalt wie jetzt gewesen.

Das 2006 eröffnete Wettermuseum in Lindenberg, nur etwa zehn Kilometer von Beeskow entfernt, registrierte am Morgen minus 20 Grad. „Solche Wetterextreme stellen wir im Schnitt alle zehn bis 15 Jahre fest“, sagte der Vorsitzende des Museumsvereins, Bernd Stiller. Der Brandenburger Kälterekord liegt bei minus 31 Grad Celsius und wurde am 11. Februar 1929 in Frankfurt (Oder) gemessen. Vor allem in Flusstälern würde sich die kalte Luft sammeln. Daher gehöre auch Beeskow mit der hier sehr breiten Spree oft zu den Kältepolen.

In der Kleinstadt hielten sich gestern nur wenige Menschen im Freien auf. „Normalerweise herrscht dienstags großes Markttreiben auf dem Platz vor dem Rathaus“, sagte die Mitarbeiterin der Touristeninformation. „Aber heute ist fast gar nichts los.“ Nur ein Fischhändler, ein fahrender Bäckerladen und ein Brathähnchenverkäufer trotzten der Kälte.

Etwas traurige Gesichter gab es bei den Kindern, die sich auf eine Schlittschuhpartie gefreut hatten. Denn trotz der tiefen Temperaturen war selbst in Beeskow das Eis auf der Spree noch zu dünn für einen Winterspaß. Am Wochenende soll es eine leichte Milderung geben. Doch schon für Mitte nächster Woche sagen Meteorologen erneut Minusgrade voraus. C.v.L/Ste.

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