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Weiße Rosen als Zeichen der Trauer.

© dpa

Terror in Paris: Berlin trauert mit seiner Partnerstadt Paris

Vor der französischen Botschaft liegen Blumen des Beileids, Kondolenzlisten am Kurfürstendamm. Berlin trauert mit seiner Partnerstadt. Historisch sind die Hauptstädte eng verbunden.

Zum Pariser Platz kommen sie alle. Ob Pauschaltourist oder Individualreisender, Backpacker oder Staatsgast, keiner lässt das gepflasterte Quadrat bei einer Berlin-Visite aus – schließlich steht dort das Brandenburger Tor. Der Ort, wo schon Partys gefeiert und Filme gezeigt wurden, hat ein positives Image, man verbindet ihn mit Lebenslust und Daseinsfreude, zeigt hier stolz dem Gast, wie sich die Stadt vom mauergeteilten Doppelwesen zur europäischen Metropole gewandelt hat, verweist auf die gelungene Neuanlage nach altem Vorbild. Zu dem auch die Französische Botschaft gehört, vor der sich nun schon zum zweiten Mal in diesem Jahr ein Blumenfeld der Trauer und des Mitgefühls ausgebreitet hat. Es ist der Ort, an dem sich die Menschen in Berlin versammeln, schockiert über die Vorgänge in der Partnerstadt an der Seine – um selbst des Entsetzens Herr zu werden über den Horror und vor allem, um die Verbundenheit mit den Franzosen und ihrer Hauptstadt zu zeigen.

Noch in der Nacht des Anschlags hatte die Polizei das Platzdrittel vor dem Gebäude mit Gittern abgesperrt. Bald kamen die ersten Menschen und legten Blumen ab, Zeugnisse des Mitgefühls, die im Laufe des Wochenendes immer zahlreicher wurden, das Feld aus Blumen und Kerzen sich langsam vergrößerte. Immer wieder traten Menschen heran, legten ihre Sträuße nieder, verharrten still, bevor sie sich abwandten.

Eine Frage der Zeit?

Manch einer ist aus solch einem traurigen Anlass nicht zum ersten Mal hier. Marion Gstettenbauer etwa, Mutter von zwei sie begleitenden Söhnen um die 15, 16 Jahre, kam schon nach dem Anschlag auf „Charlie Hebdo“ her. Ihr jüngerer Sohn war erst vor wenigen Wochen für ein Praktikum in Paris, die Familie hatte ihn dort besucht und bei Freunden gewohnt.

Denen gehe es gut, das konnte seine Mutter noch in der Nacht des Anschlags in Erfahrung bringen. Angst? Nein, die empfinde sie nicht in Berlin, sie könne sich das gar nicht leisten, müsse täglich mit U- und S-Bahn unterwegs sein. Nicht jeder sieht das so. Von einem „mulmigen Gefühl“ spricht etwa ein mittelaltes Paar aus dem Vogtland. Es sei ja doch nur eine Frage der Zeit, bis Ähnliches wie in Paris auch bei uns passiere. Und dann schimpfen die beiden auch schon auf Merkel, die „alle reinlasse“.

Am Samstag und am Sonntag wurde das Brandenburger Tor zum Zeichen des Mitgefühls für die Opfer in Paris in den Farben der französischen Trikolore angestrahlt.
Am Samstag und am Sonntag wurde das Brandenburger Tor zum Zeichen des Mitgefühls für die Opfer in Paris in den Farben der französischen Trikolore angestrahlt.

© epd

Auch zum Maison de France am Kurfürstendamm, in dessen Mediathek bereits ein Kondolenzbuch ausliegt, wurden viele Blumen gebracht – mit dem Pariser Platz und der Botschaft ist dies der Ort, den man in Berlin besonders stark mit Frankreich und seiner Hauptstadt verbindet. Und der für die Berliner unabdingbar zu ihrer Stadt gehört, dies zeigte deutlich der Protest, der sich regte, als vor gut zwei Jahren ein Aus für das 1950 eröffnete, 1983 bei einem Bombenanschlag schwer beschädigte Kulturzentrum drohte.

Die französische Regierung wollte sparen und erwog den Verkauf des Hauses sowie die Verlagerung des Institut Français in die Botschaft, was auch das Cinema Paris mit seinem vorwiegend französischen Programm bedroht hätte. Die Pläne der Pariser Regierung stießen hier auf heftigen Widerstand – und wurden daher aufgegeben. Die Zukunft des Kinos, im Dezember wieder einer der Orte der Französischen Filmwoche, ist damit gesichert.

Vergeben und  vergessen

So positiv besetzt Paris als Namensstifterin von Berlins zentralstem Platz und zweier Straßen, in Wilmersdorf und Mahlsdorf, auch ist – der Anlass der Umbenennung des alten „Quarrés“ war ein kriegerischer: Der ihm am 15. September 1814 verliehene Name sollte an den Sieg über den Quadriga-Räuber Napoleon und den Einzug der Alliierten in Paris ein halbes Jahr zuvor erinnern.

Vergeben und  vergessen. Paris und Frankreich – das verbindet der Berliner längst nicht mehr mit Krieg und Zerstörung. Ein Stück Paris in Berlin, das sind für ihn etwa die Galeries Lafayette, ein Ort des Genusses fürs Auge wie den Gaumen, des „Savoir-vivre“, von dem es im preußischen Berlin seit jeher einen erheblichen Mangel gab – vom Treiben in der Paris-Bar in der Kantstraße vielleicht mal abgesehen.

Seit 1996 gibt es das auf Mode, Kosmetik und Leckereien spezialisierte Warenhaus in der Friedrichstraße, Berliner Ableger des berühmten Jugendstil-Konsumtempels am Boulevard Haussmann in Paris. Aber dessen Verbindung zu Berlin ist viel älter, tauchte doch schon in Joe Mays berühmtem Berlin-Stummfilm „Asphalt“ von 1929 eine haushohe Werbung für die Galeries Lafayette auf, und damit war kaum das Stammhaus in Paris gemeint.

Mini-Ausgabe des Eiffelturms

Ohnehin reichen die Beziehungen zwischen Berlin und Paris viel weiter zurück, als es die modernen Fassaden des Kaufhauses, der Botschaft oder des aus den frühen Sechzigern stammenden Gebäudes des Kulturzentrums Centre Français de Berlin an der Weddinger Müllerstraße mit seiner Mini-Ausgabe des Eiffelturms vermuten lassen. Auch dafür steht der Pariser Platz, war dies doch schon die Adresse der alten Botschaft, die seit 1835 in dem 1943 kriegszerstörten Palais Beauvryé untergebracht war. Dessen französisch klingender Name verweist auf den Bauherren Bernhard von Beauvryé, einen Hugenotten und Bediensteten des Soldatenkönigs.

Der Einfluss der französischen Protestanten auf Preußens wirtschaftliche, soziale und kulturelle Entwicklung, ja sogar auf die Berliner Schnauze und das hiesige Stadtbild sind gar nicht hoch genug einzuschätzen. Zu verdanken ist das dem 1685 vom Großen Kurfürsten erlassene Edikt von Potsdam, mit dem die in Frankreich verfolgten Glaubensflüchtlinge zur Ansiedlung in Brandenburg eingeladen wurden – für Friedrich Wilhelm ein Versuch, seinem darnieder liegenden Staat neue Wirtschaftskraft zuzuführen. Um 1700 gehörte von den rund 12 500 Berlinern fast jeder fünfte zu der französischstämmigen Minderheit, deren Integration nicht ohne Probleme ablief, aber letztlich gelang.

Man kann dies an geläufigen Berliner Wörtern wie Bulette (eine kleine „Boule“, also Kugel) wie auch an markanten Berliner Gebäuden wie dem Französischen Dom mit der angeschlossenen Französischen Friedrichstadtkirche ablesen, in der Gottesdienste noch immer teilweise in französischer Sprache abgehalten werden. Auch das Französische Gymnasium in der Derfflingerstraße in Tiergarten steht in dieser Tradition, 1689 von Friedrich III. von Brandenburg, dem späteren Friedrich I. in Preußen, für die Kinder der hugenottischen Neubürger gegründet.

Ein architektonisches Kleinod

Die Tradition des Deutsch-Französischen Volksfests ist dagegen den französischen Alliierten zu verdanken, deren ehemaliger, 1981 in Paris gestorbener Stadtkommandant Jean Ganeval während der Luftbrücke die Sendemasten des kommunistischen Berliner Rundfunks in Tegel sprengen ließ, um die Sicherheit auf dem neuen, auch mit Hilfe der Franzosen gebauten Flughafen zu gewährleisten.

So wirksam all diese Kreuz- und Querverbindungen zwischen Paris und Berlin auch sein mögen – ein Objekt gibt es, bei dem diese Beziehung sehr viel konkreter, quasi steingeworden ist. Ein architektonisches Kleinod, das sich einst an der Seine befand und nun an der Havel steht, auf Schwanenwerder: ein Ruinenrest des Palais des Tuileries, des alten Pariser Königspalasts. Während des Aufstands der Pariser Commune 1871 wurde der jahrhundertealte Prachtbau niedergebrannt, später abgerissen und die Trümmer teilweise verkauft – auch nach Berlin.

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