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Berlin: Terror zum Feierabend

Lothar E. gehörte zu den Revolutionären Zellen. Deshalb steht der 50-Jährige jetzt vor Gericht

Es sind die letzten Prozesse ihrer Art, und sie erinnern an scheinbar längst vergangene Zeiten: an die 70er Jahre, die Hochzeit der Terroristenverfolgung. Während im Berliner Landgericht am Mittwoch über den Top-Terroristen Johannes Weinrich verhandelt wird, befasst sich das Kammergericht gewissermaßen mit der lokalen Spielart des radikalen Widerstandes: den Revolutionären Zellen (RZ). Zumindest im Publikum ist der Widerstand von einst offenbar mildem Spott gewichen. Als der Vorsitzende Richter den Saal des Kammergerichts betritt, bleiben viele Zuschauer lässig sitzen. Tuschelnd, in Jeans und T-Shirts, die Haare von fast allen graumeliert. „Bitte aufstehen!“, ruft der Wachtmeister da durch den Saal. „Wenn’s dann schneller geht“, schallt es zurück.

Den ebenfalls bereits ergrauten Angeklagten hätte man früher wohl als Mann in den besten Jahren bezeichnet: Lothar E. ist 50, betreibt in Kanada eine kleine Pension, verdient sein Geld mit Reparaturarbeiten in der Gemeinde. Doch damals, in den 80er Jahren, arbeitete Lothar E. als Hausmeister im Mehringhof – und wurde nach eigener Aussage konspirativ von Mitgliedern der RZ angeworben. „Ich fühlte mich geschmeichelt“, sagt Lothar E. Die Mitglieder der RZ, früher vom Verfassungsschutz als „Feierabendterroristen“ eingestuft, sollen seit 1973 mindestens 186 Brand-, Sprengstoff- und andere Anschläge verübt haben. Auch Johannes Weinrich gehörte, bevor er sich Carlos’ Gruppe anschloss, zu den RZ.

Lothar E. wird jetzt vorgeworfen, sich in den 80er Jahren an gewalttätigen Aktionen gegen die bundespolitische Asylpolitik beteiligt zu haben. Ferner soll der Angeklagte bei den Attentaten auf Harald Hollenberg – damals Leiter der Berliner Ausländerbehörde – und Günter Korbmacher – Vorsitzender Richter am Bundesverwaltungsgericht – geholfen haben. Beiden Männern wurde Mitte der 80er Jahre in die Beine geschossen.

Bereits im März hatte das Kammergericht nach dreijährigem Prozess fünf RZ-Mitglieder – heute fast alle zwischen 50 und 60 Jahre alt – zu Haftstrafen bis über vier Jahren verurteilt. Das Verfahren gegen Lothar E. könnte hingegen bereits in der nächsten Woche abgeschlossen sein: Für eine umfassende Aussage hat man dem 50-Jährigen eine Bewährungsstrafe in Aussicht gestellt. Lothar E. will dann so schnell wie möglich zurück nach Kanada. Die Kämpfer von einst haben sich ohnehin Anfang der 90er Jahre heillos zerstritten, sagt Lothar E. Nur deshalb hätten die Berliner RZ bis heute nicht ihre Auflösung erklärt. „Wir waren nicht mal mehr imstande, eine gemeinsame Erklärung abzugeben.“

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