zum Hauptinhalt
Einen Monat lang sollen im Helmholtzkiez nur Elektro-Autos fahren.

© dpa

Update

Test mit E-Mobilen in Berlin: Prenzlauer Berg sperrt Autos aus

Einen Monat lang dürfen 2015 im Helmholtzkiez nur Elektro-Autos fahren. Dazu werden die konventionellen Autos der etwa 20 000 Bewohner ausquartiert - diese sind skeptisch.

Der Helmholtzkiez ist noch gar nicht richtig wach an diesem Samstagmorgen, da gibt es schon den ersten Krach. In der Ahlbecker Straße beginnt ein adipöser Mercedes-Geländewagen wie von Geisterhand wild in seiner Parklücke zu hupen. Derartige Fehlalarme werden den Leuten hier nächstes Jahr zumindest einen Monat lang wohl erspart bleiben: Fürs „Eco-Mobility Festival“ sollen einen Monat lang die konventionellen Autos aus dem Viertel verschwinden. So wie der Mercedes, dessen Besitzer, ein Paar um die 40, drei Minuten nach dem Gelärme auftauchen und ihre Tennissachen in den Kofferraum werfen. Die Info übers Öko-Festival löst bei beiden eine Schrecksekunde und dann Protest aus: „Ich bin gegen den Aufwand, wenn ich mein Auto erst irgendwo herholen müsste“, sagt der Mann. Und der Lärm? „Wenn man was dagegen tun will, müsste man eher die S-Bahn abschaffen“, sagt die Frau. Türen zu, Diesel an. Mit fauchendem Doppelauspuff brummen sie davon.

3500 konventionelle Autos werden ersetzt

Vor dem ruhigen Monat mit der sauberen Luft sind also Krach und Stunk im Helmholtzkiez nicht ausgeschlossen. Wahrscheinlich im Mai 2015 soll das Viertel mitten in Prenzlauer Berg zum weltgrößten „Schaufenster für emissionsfreie Mobilität“ werden. Und dieses Schaufenster soll gründlich dekoriert werden, indem beispielsweise die rund 3500 konventionellen Autos im Viertel durch 600 Carsharing-Fahrzeuge ersetzt werden. Der Bezirk Pankow als Veranstalter will nach Auskunft von Stadtentwicklungsstadtrat Jens-Holger Kirchner (Grüne) große bewachte Abstellflächen schaffen. "Wir wollen niemanden behindern, sondern was ausprobieren - und das auch nur für einen Monat", betont der Stadtrat.

Ausgenommen sind Rettungsfahrzeuge

Die Autos der etwa 20 000 Bewohner müssen in der Garage bleiben oder werden ausquartiert, so dass vor jeder Autofahrt ein Fußmarsch oder die Anfahrt mit einem elektrischen Shuttlebus stehen wird. Ausgenommen sind nur Rettungsfahrzeuge und die Autos von Schwerbehinderten. Der Platz auf den Straßen wird als Testparcours für Elektrofahrzeuge genutzt und als Lebensraum im engeren Sinne – mit mehr Platz für Cafés und Kneipen, mit Straßentheaterbühne und Sandspielplätzen. Mittendrin liegt eine Ausstellungsfläche, auf der umweltfreundliche Mobilität gezeigt und diskutiert werden soll. So sollen deutlich mehr Menschen und wesentlich weniger Autos auf den Straßen unterwegs sein.

An diesem Samstag gibt es von beidem reichlich. In der Dunckerstraße, wo die Morgensonne auf Kinderwagen und Kaffeespezialitäten scheint, erzählt eine Frau mit müden Augen, sie habe kein Auto, „aber mich stört hier wat janz anderet“. Nämlich Kneipenstühle, die in lauen Nächten nach 22 Uhr von Gruppen zum großen Palaver auf dem Gehweg zusammengeschoben und nach Mitternacht mit rasselnden Ketten angeschlossen würden. Das bringe sie um den Schlaf, sagt die Frau, die Zeitungen zustellt und morgens um drei aufstehen muss.

Bisher wissen nur wenige von dem Projekt

Falls die Zeit bis Mai zu knapp wird, komme das Festival vielleicht erst im Herbst 2015 zustande, sagt Jens-Holger Kirchner (Grüne), Pankows Stadtrat für Stadtentwicklung. Der geht die Sache gewohnt offensiv an: „Der Bezirks Pankow ist Veranstalter“, sagt er und fügt ohne Ironie hinzu: „Ich freue mich auf die Diskussion.“ Die beginnt formal am Dienstag, wenn das Vorhaben morgens im Bezirksamt und abends im Verkehrsausschuss der Bezirksverordnetenversammlung präsentiert wird. Damit ist das Projekt dann offiziell in der Welt, von dem bisher nur wenige wissen.

Es wird Diskussionen geben

Der Inhaber des Möbelgeschäfts „Machmalicht“ in der Stargarder Straße gehört nicht dazu. Ihm wird mulmig beim Gedanken an ein so langes Festival: Bis zu zehn Lieferungen bekomme er pro Monat, und Kapazitäten fürs Umladen von Sofas in elektrische Kleintransporter für die letzten 300 Meter hat er nicht. Straßenfeste seien für einen Laden, der Möbel verkauft und kein Eis, erfahrungsgemäß ohnehin eine Umsatzbremse. Auch an den Fähigkeiten des Bezirksamts zweifelt er: Von seinen zehn Jahren hier habe er fünf hinter Baugruben gehockt – das letzte halbe Jahr deshalb, „weil vergessen wurde, den Bürgersteig wieder zuzumachen“. Das sei erst auf Intervention der Gewerbetreibenden passiert. „Die werden von der Politik ja gern vergessen. Da ist immer nur vom Bürger die Rede.“

Vorgehen nach dem "Zwiebelprinzip"

Der durch Kontroversen wie die um den Umbau der Kastanienallee gestählte Stadtrat Kirchner wird also viele Diskussionen führen müssen in den nächsten Monaten. Als mögliche Variante wird nach seiner Auskunft ein „Zwiebelprinzip“ diskutiert, bei dem das Projekt direkt am Helmholtzplatz startet und stückweise wächst. „Die dreieinhalbtausend Fahrzeuge der Anwohner müssen ja auch irgendwo hin.“ Kirchner äußert sich erfreut über die bisherige Resonanz: Ein Gespräch mit Verkehrsstaatssekretär Christian Gaebler (SPD) und dessen oberstem Verkehrsplaner Burkhard Horn sei erfreulich verlaufen – was die Senatsverwaltung insofern bestätigt, als sie auf Nachfrage ihre beratende Unterstützung in Aussicht stellt und die Veranstaltung als „interessant und begrüßenswert“ bezeichnet. Allerdings halte man den Termin im nächsten Mai angesichts der aufwendigen Vorbereitung für „durchaus ehrgeizig“. Im Übrigen gehe man davon aus, dass der Bezirk und seine Partner die Sache im Wesentlichen allein stemmen.

"Die Zeit ist reif dafür"

Kirchner darf also nicht damit rechnen, dass sich in der Landespolitik jemand demonstrativ an seine Seite stellen wird. Insofern trifft David Mesche, Mitinhaber der Buchhandlung am Helmholtzplatz, die Gemütslage vieler Autoloser wohl ziemlich gut, wenn er sagt: „Ich find’s klasse, aber ich würde es nicht organisieren wollen.“ Er glaube, dass eine Mehrheit laut dagegen protestieren werde, wenn ihnen jemand mal die Autos wegnimmt. Aber der Gedanke an abgasfreie Straßen voller Flaneure lässt seine Augen leuchten: „Die Zeit ist reif dafür.“ Dann folgt ein Satz, den auch Kirchner gesagt hat: „Wo, wenn nicht hier?“

Das Festivalgebiet ist weniger als einen Quadratkilometer groß, hoch verdichtet und hervorragend ans öffentliche Verkehrsnetz angebunden. Die BVG soll laut Kirchner den Takt der mitten durch den Kiez verlaufenden Straßenbahnlinie 12 verkürzen. Mit der Taxiinnung werde über den Einsatz von Hybridautos verhandelt, die im Festivalgebiet rein elektrisch fahren sollen, und den Müll wolle die BSR mit einem aus Potsdam geliehenen Elektro-Lkw abholen.

Das „Eco-Mobility Festival“ in Berlin wäre das zweite seiner Art weltweit; die Premiere fand im September 2013 in Suwon in Südkorea statt; die Koreaner waren im April zu Besuch bei Kirchner. Die Initiative ging von Iclei, einem weltweiten Städtenetzwerk, aus. Zur lokalen Umsetzung wurde eine gemeinnützige GmbH gegründet, die zurzeit Sponsoren sucht. Laut deren Geschäftsführer René Waßmer „ist zu 98 Prozent klar, dass es kommen wird“. In den nächsten Tagen solle im Kiez ein Info-Büro eröffnet werden. Und am Dienstag steht die offizielle Präsentation des Vorhabens an: morgens im Bezirksamt, abends im Verkehrsausschuss der Bezirksverordnetenversammlung. Die bisher gehörten Sorgen bezogen sich laut Waßmer eher auf den Besucheransturm als auf die eingeschränkte Mobilität. Im Seouler Vorort Suwon - flächen- und einwohnermäßig etwas kleiner als der Helmholtzkiez - kamen laut Veranstalter mehr als eine Million Besucher.

Es soll nicht um Verzicht gehen

Wie wichtig gute Vorbereitung ist, lässt schon der Wochenmarkt ahnen, der mit seinen Lieferwagen wie jeden Samstag am Westrand des Helmholtzplatzes brummt. Zur lokalen Wirtschaft gehören auch zwei Edeka-Märkte, die täglich beliefert werden – bisher per Diesel-Lkw.

Die Organisatoren wollen vor allem vermitteln, dass es nicht um Verzicht geht – auch wenn es für manche etwas umständlicher wird, an ihre Autos zu kommen. Für die Zeit sind bewachte Sammelparkplätze am Jahn-Sportpark, um die Max-Schmeling-Halle und in der Fröbelstraße geplant. Zurzeit werden laut Waßmer Sponsoren und Unterstützer geworben – von Start-ups über Automobilclubs bis zu Fahrzeugherstellern. Für die Paketzustellung habe die Post bereits einen elektrisch angetriebenen Lieferwagen zugesagt. Auch das Umweltbundesamt ist involviert. Das überwacht auch die Luftqualität in Deutschland – und weist regelmäßig auf den Straßenverkehr als größten Luftverschmutzer hin. Jedenfalls auf den Verkehr in seiner heutigen Form.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false