zum Hauptinhalt
Das Versprechen: Du kommst mit 20 Euro in der Faust hin und fällst abends betrunken, satt und todglücklich ins Bett.

© Mike Wolff

Thaifood-Markt in Berlin: Ein Wochenende auf der Anarcho-Wiese

Selbst das Ordnungsamt weiß nicht, ob er eigentlich erlaubt ist, der wilde Thaifood-Markt im Wilmersdorfer Preußenpark. Aber er läuft besser denn je.

Im richtigen Leben ist Kilian Fahrlehrer, aber das ein bisschen ungern. Ab und zu, an der Ampel, schließt er die Augen und stellt sich vor, wie das eigentlich ist: Thailand im Winter. Weihnachten bis März, sagt er, seit Jahren schon, bei der Familie seiner Frau. Das ist so was von schöner als sein richtiges Leben, aber dafür braucht er eben Geld – und deswegen ist er jetzt hier. Wilmersdorf, Fehrbelliner Platz. Wie alle in dieser Geschichte will er seinen Nachnamen nicht nennen, weil das mit dem Geldverdienen und der Rechtslage hier nicht ganz einfach ist. „Nicht ganz einfach“, sagt er selber, dabei ist das, was er macht, einfach verboten. Kilian schließt lieber wieder die Augen.

Es ist ein Freitag im Sommer. In der Luft der leichte Geruch von Bratöl, von frisch geschnittenen Limetten. Nichts los im Preußenpark, der sich in den nächsten Stunden in die sogenannte Thaiwiese verwandeln wird. Noch ist er fast leer. Nur ein paar Stände, die nach und nach von thailändischen Familien aufgebaut werden. Eimer, winzige Klapptische, Campingstühle, über diesem ganzen Verhau dann ein primärfarbener Schirm, fertig. Ein Typ in Sandalen und Shorts zieht auf einer Sackkarre riesige Packungen Eis über die Wiese, das er dann noch einmal hackt und auf die Kühlboxen an den Ständen verteilt. Langsam, alles langsam. Noch. Kilian sagt: „Wart’ mal ab, bis der Nachmittag kommt. Erkennst du nicht wieder, das hier.“

Er selbst ist erst seit fünf oder sechs Sommern mit seiner Frau und dem Stand hier, kennt aber welche, die schon fast von Anfang an mit dabei sind, vor 20 Jahren oder so war das. Vielleicht noch ein wenig länger. Die das damals begründet haben, sind schon zurück in Thailand, heißt es. Und so sitzt Kilian nun, so oft er kann, freitags hier, wie heute, am Stand neben zwei Eimern mit der Aufschrift „Obi“ und weicht Nudeln ein. Seine Haut sieht blass aus wie ein geschälter Apfel.

Streetfood statt Preußentum

Am südlichen Zugang zum Park steht die Borussia-Statue. Daher ja der eigentliche Name: Preußenpark. Auch wenn alle nur Thaiwiese sagen, weil von Preußen nicht viel übrig ist, dafür die Wiese seit Jahren randvoll mit Thailändern, die hier ihren Streetfood-Markt haben, ein bisschen unter der Woche, vor allem aber am Wochenende. Die Statue blickt, auf ihr Schwert gestützt, über den Park mit seinen bunten Schirmchen. Das Preußentum, seine Welt, seine Werte sind hier so vollkommen over wie überall, nur dass es eben besonders augenfällig ist. Unter der Statue sitzen ein paar Jungs und kiffen. Ein Rentner wartet geduldig, bis sie weg sind, um dann mit seinem Tablet ein Selfie von sich vor dem Schwertschwinger machen zu können, im Gesicht ein stolzes Lächeln.

Die einzelnen Stände sind jetzt noch so weit auseinander, dass sich die Frauen dahinter im Gespräch anschreien müssen, was in der Luft schön klingt, diese hohen Stimmen, flirrend. Wenn man die Augen schließt, kann man sich gut vorstellen, wie das hier gar nicht Wilmersdorf ist.

Gaskocher gehen an, Pfannen werden berieben, betupft und geölt, Kilian hat seine vier Packungen Nudeln eingeweicht, was er seiner Frau mitteilt. Sie nickt und sagt, dass er dann ja jetzt Karotten raspeln könne.

Wenn Kilian hier dem nachgeht, was er als ehrliche Arbeit empfindet, kommt er an den Schildern am Eingang des Preußenparks vorbei. Der Mensch, der sie sich ausgedacht hat, muss einer der traurigsten der Welt sein. Auf Deutsch, Englisch und Thailändisch sind dort die Regeln erklärt. Eins: kein Grillen, Kochen, Garen und Anzünden von Feuer. Dann: kein Aufstellen von Gartenmobiliar, keine Kühlboxen, kein Verkauf von Waren. Erst später kommen die Klassiker: Hunde an die Leine und: kein übermäßiger Lärm. Anzunehmen, dass diese Schilder nie auch nur ein einziger Mensch beachtet hat.

Dem Ordnungsamt fehlen die Worte

Zeit, mal beim Ordnungsamt nachzufragen. In seinem Büro am Hohenzollerndamm tackert sich der Mann vom Ordnungsamt Wilmersdorf erst mal den Mund zu. Nicht richtig natürlich, aber er nimmt tatsächlich den Tacker vom Schreibtisch und hält ihn sich vor den Mund, eine Nanosekunde, nachdem das Wort Thaiwiese gefallen ist. Dazu kann er nichts sagen, will er auch nicht. Er ist nett. Ihm fällt zu dem Thema nur ein, dass er es sich selber nicht erklären könne, wie das einfach so erlaubt sei.

Der Mann vom Ordnungsamt geht mal mit seiner Vorgesetzten reden. Zehn Minuten ist er weg. Dann kommt er kopfschüttelnd wieder. Dazu könne man leider nichts sagen, Schönes Wochenende! Wirklich herzlich, der Mann.

Merkwürdig aber, dass das Ordnungsamt auch auf mehrfache schriftliche Nachfrage nicht reagiert. Anrufe landen in der Warteschleife: Betreten der Thaiwiese auf eigene Verantwortung.

Deswegen verständlich, dass die Frauen aus der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung immer nur zögerlich im Preußenpark Pause machen. Die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung ist in einem Gebäude direkt am Park untergebracht, funktionsarchitekturgewordener Kopfschmerz. Die Frauen sitzen auf einer Bank am äußeren Rand der Wiese und machen die mitgebrachten Tupperdosen auf. „Ich sage mal so“, sagt eine Blumenbluse mal so, „das riecht ja schon immer sehr lecker. Bis hoch ins Büro.“ Aber? „Aber man macht sich dann ja strafbar, wenn man da was kauft.“ Als Beamtinnen können sie das nicht gebrauchen.

Die Vorstellung, dass so ein Ein-Euro-Satéspieß eine dieser treuen Soldatinnen aus der Unkündbarkeit bugsieren könnte, macht seltsam gute Laune. Ein grauhaariger Mann in kurzen Hosen schlappt vorbei und arbeitet sich im Gehen an irgendwas in dicker Erdnusssoße ab. Die Frauen von der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung blicken dem Steuer-Django lange hinterher.

Satt trotz Sprachbarriere

Auf der Bank nebenan sitzen ein paar ältere deutsche Männer, die dann und wann aufstehen, um die Flaschen der Parkbesucher einzusammeln. Nur einer trägt ein Shirt, tatsächlich mit Thailandflagge bedruckt, alle anderen genießen mit freiem Oberkörper die Sonne. Lachen. Schulterklopfen. Glück, das ist ein billig schepperndes Radio und ein paar Bier.

Aber endlich: auf der Wiese jetzt am Mittag mehr Stände. Erste Kunden, die über die Fläche tappen und unter einem Schirmchen haltmachen, um die Speisen zu beäugen. Immer zu zweit. Immer vorsichtig, bloß nicht zu nah am Stand, dafür mit verschränkten Armen und weit nach vorne gereckten Hälsen. Und dann die Verkäuferinnen: wie sie da kompakt in ihren mit Karton und Pappe verkleideten Ständen im Schneidersitz in einer Reihe hocken, sehen sie aus wie Rennfahrer an der Startlinie. So beginnt es also.

Wat, berlinert ein Mann, gibt es denn hier Leckeres?

Som-Tam-Salat mit Papaya.

Ach nee, lass mal. Wat ist das lange Frittierte da?

Garnele.

Fisch? Nee.

Kann auch vegetarisch?

Ach Gott, ach, ach, sagt der Mann und holt sich am Nachbarstand einen Teller Pad Thai, das Schnitzel Wiener Art unter den Asia-Gerichten.

Das Verkaufsgespräch findet in der Regel im effizienten Ein-Wort-Deutsch statt, das die älteren Thai-Frauen sich aus dem Mund schütteln: Essen? Trinken? Gabel? Stäbchen?

Ja, ja und ja, bitte, unbedingt die Gabel.

Kokosnüsse als Drink sind gerade der Renner. Strohhalm rein. Zwei Euro, bitte schön. Dann Mungbohnen-Sesam-Bällchen. Süßkartoffel-Bällchen, frittierte Banane.

Pad Thai , Khao Pad, Pad Si-iu. Reisbandnudeln mit Ei, gebratener Reis, Reisnudeln mit Sojasauce. Frühlingsrolle, aber sicher. Curries, Klebereis, trotzdem noch genug Geld in der Tasche für irrsinnig starke Cocktails, Mai Tai, Mojito, Caipi. Die Winkekatzen neben den handbemalten Schildern verlangen einen High-Five.

Konkurrenz und Regelwerk

Früher gab es hier oft Streit, sagt Peter, der wie Kilian einen Stand mit seiner thailändischen Frau hat. Streit erst unter den Thais, die sich gegenseitig Konkurrenz gemacht haben. Das hat er nicht selber mitbekommen, nur davon gehört. Da ging es dann um Vorrechte. Wer war zuerst da? Welche Familie darf sich jetzt an zentraler Position aufbauen? Aber das ist vorbei. Redet man auch nicht mehr drüber. Es gelten die ungeschriebenen Regeln im rechtsfreien Raum.

Da halten sich auch die dran, die erst in den vergangenen drei oder vier Jahren hinzugekommen sind. Erst Vietnamesen, dann auch ein paar Deutsche mit Cocktailständen. Neulich erst waren ein paar Koreaner da, die Mandu verkauft haben, gefüllte Teigtaschen. Lief anfangs gut, aber seit ein paar Wochen nicht mehr gesehen. Niemand weiß, was aus denen geworden ist. Man redet nicht so viel mit den Neuen, sagt Peter.

Peter trifft andere Männer, Ehemänner von thailändischen Frauen, allesamt mit Stand vertreten. Sie stehen im Kreis und beobachten das Treiben. Alle tragen karierte Hemden, die über den Bäuchen spannen, alle strahlen maximale deutsche Urlaubsstimmung aus. Einer hat ein Bluetooth-Headset am Kopf. Man vermutet bei jedem von ihnen einen Wohnmobilschlüssel in der Hosentasche. Joachim, der gerade von seiner Frau am Stand abgelöst wurde, saugt am Zahn und überlegt, ob er nicht doch langsam mal die Preise ein bisschen anheben sollte. Um sich von den vielen Neuen abzuheben, ein Premium-Stand sozusagen. Kommt nicht gut an, Joachims Idee, bei den anderen. Ist doch Quatsch, sagt Peter.

Erst mal jeder eine Zigarette aus der Brusttasche am Hemd gefingert. Business-Talk. Preise erhöhen, das ist ein heikles Thema. Die Thaiwiese war immer billig. Das Versprechen geht so, dass man als Besucher mit einem Zwanziger in der Faust vorbeikommen und am frühen Abend satt und todglücklich betrunken ins Bett fallen kann. Entweder alle machen mit oder es gibt Zank. Thaiwiesenpolitik.

War schon immer so, wird auch immer so bleiben, auch wenn jetzt jeder kommt. Weil es plötzlich ein „Event“ ist, jedes Wochenende eine Facebook-Veranstaltung mit tausenden Zusagen. Das bringt mehr neugierige Besucher mit mehr Geld. Kein Wunder in Berlin, wo sogar irgendwo ein Sucuk-Festival geplant wird. Neulich wurde „authentische neapolitanische Küche“ gefeiert oder der „Japan & Breakfast Market“. Streetfood ist ein hart umkämpftes Geschäft. Und die Thaiwiese kann mit etwas punkten, was nicht zu kaufen ist: Authentizität. Nicht von einem Marketing-Hansel im Büro erdacht, sondern über Jahre gediehen. Organisch ins Berliner Stadtgeflecht gewachsen. Speisen wie bei Mama. Also, wenn die Thailänderin ist. Alles für ein paar Euro.

Peter findet, dass man das nicht einfach so über den Haufen werfen soll, nur weil jetzt mehr Gäste kommen. Auch weil die Wiese ja eigentlich ein großes Treffen sein soll, Freunde, Familie, Essen.

Joachim legt den Kopf schief und geht zu seinem Stand zurück. „Wird nicht das letzte Mal sein, dass wir darüber reden“, sagt Peter, ihm nachsehend. „Er weiß es, ich weiß es.“ Peter nickt und zieht an seiner Zigarette.

Mit dem Wetter steigt die Stimmung

Billiges Essen, Sonne, günstiger Suff - auch das ist Glück.
Billiges Essen, Sonne, günstiger Suff - auch das ist Glück.

© Mike Wolff

Samstagmittag. Die Frau lugt misstrauisch unter dem Sonnenschirm hervor und betrachtet den Himmel. Regen wurde angekündigt. Kommt da was?

Die Frau heißt Lan und erzählt, dass Regen natürlich schlecht ist, dann kommt ja fast keiner auf so eine freie Fläche. Regen ist fast so schlecht wie Sonne. Denn wenn die Sonne zu stark brennt, wird das Südostasien-Gefühl für den Unerfahrenen zu real. Zu intensiver Geruch, zu viel offenes Feuer und Rauch und Geschrei. Diese klebrige, stickige Atmosphäre lässt dann viele an der Qualität und Frische der Speisen zweifeln. Dann ist die frittierte Luft auf der Wiese wie ein Kissen, das einem ins Gesicht gedrückt wird. Wenn es richtig fies stickig ist, sehen die Besucher sogar die selbst gepressten und in Pfandflaschen abgefüllten Säfte kritisch an, die etikettenlos präsentiert werden und auf einmal viel Vertrauen erfordern.

Gut sind deshalb Wolken, so wie heute, 24 Grad. Von irgendwo schallt Lambada aus einem Lautsprecher. Regen ist angesagt, aber noch nicht zu sehen. Lan setzt sich den Mundschutz auf und fängt an zu braten, bis ihre Mutter kommt.

Lan erzählt die Geschichte ihrer Mutter, die Fischerstochter in einem kleinen Dorf in Thailand war. Lan hat sie vor ein paar Jahren nach Berlin geholt, als sie ein Kind mit ihrem deutschen Mann bekam. Seitdem sitzt ihre Mutter Wochenende für Wochenende am Stand und brät Fische. Wie damals in Thailand. Dieselbe Tätigkeit am anderen Ende der Welt. Die Mutter mag es, auch wenn es ihr an diesem Ende der Welt viel zu kalt ist.

Früher wurde noch gezockt

Am Nachmittag kippt irgendwie die Stimmung. Es ist schwül, die Schlange vor dem Toilettenhaus wird lang und länger. Das Fußballspiel der Jugendlichen wird ruppiger, das Lachen bei den Flaschensammlern dreckiger. Sogar die Studenten mit ihrem schwedischen Holzklotzspiel sind plötzlich laut. Regen wäre jetzt nicht verkehrt.

Und tatsächlich, da fällt er. Einige holen sich stoisch Caipis und lassen sich dabei nassregnen. Aber man hört das Lachen zurückkehren, die gute Laune, das Sommergefühl. Kein Stand wird geschlossen. Wer jetzt auf der Wiese bleibt, merkt man, meint es ernst

Patricia wischt den Regen von den Biergartenbänken und erinnert sich: „Also“, sagt sie und zeigt mit der einen Hand über den im Abenddunkel liegenden Park. „Von ganz dahinten sind sie gerannt.“ Mit der anderen Hand wischt sie weiter die Bänke des Biergartens am Rand der Wiese, den sie gerade für den Abend zusperren will. „Über die ganze Fläche hat die Polizei die verfolgt. Zu Fuß. Du hast keine Ahnung, wie lustig das aussah.“

Sie erinnert sich an die Zeit, als auf der Thaiwiese noch kein Essen verkauft, dafür aber gezockt wurde. „Das ging schon los, als ich ein Mädchen war. Vor 20 Jahren. Da kamen die Ersten auf die Wiese und haben Karten gespielt. Die Thailänder haben hier einfach gezockt. Um richtig viel Geld. Dann ist die Polizei gekommen und hat die hochgenommen. Jeden Tag. Konntest du die Uhr nach stellen.“ Die Stände mit Essen waren anfangs ein Vorwand, um dahinter privat gemütlich weiter Karten zu spielen. Nur einmal, sagt sie, haben sie es geschafft, einen Thailänder zu fangen. Der hat dann gelacht, als die Polizisten ihn gefangen haben. Laut. „Ich habe bis heute nicht verstanden“, sagt Patricia, „warum der gelacht hat.“

Bunte Schirme, buntes Publikum

Sonntagvormittag. Hendrik erwacht. Ein Auge auf, so halb. Mit seinem einen offenen Auge und der schützend gegen die Sonne gehaltenen Handfläche sieht er so aus, als wäre er Maler und wollte Maß nehmen. Dabei haben bloß die Ibus noch nicht gewirkt. Hendrik liegt schon seit heute Morgen auf der Thaiwiese, als er nach einer Nacht in Neukölln hier am Fehrbelliner Platz aus der U7 gefallen ist. „Das ist der perfekte Ort zum Auskatern“, sagt er. „Berlin weg von Berlin.“ Ab mittags kann man sich fit essen, „und um 16 Uhr fange ich mit den Caipis an. Dann bin ich um elf zu Hause und morgen früh fit fürs Büro. Bam.“ Auge wieder zu. Hendrik braucht noch Zeit.

Andere sind da aktiver: Klock, macht es. Klock. Jemand hat das Beachball-Spiel aus der Tasche geholt. Klock. Wie ein Tag am Strand im Winter in Thailand. Hendrik ist vom Geräusch ein bisschen genervt, aber was will man machen.

Entlang des Fußwegs aus dem Park sitzt eine Gruppe Araber, die Männer auf der linken Seite des Wegs bei der Shisha, Frauen und Kinder auf der rechten Seite. Man defiliert beim Verlassen und Betreten des Parks so an denen vorbei. „Entspannt“ finden sie die Stimmung im Park. Aber sie haben ihr eigenes Essen mitgebracht, bleiben lieber am Rand. Einer lacht und sagt: „Kannst dir ja vorstellen, wie lange das Amt es dulden würde, wenn einer von uns so einen Stand aufmachen würde.“

Um 14 Uhr kommen die Slackliner und spannen ihr Seil zwischen den Bäumen vor dem Kinderspielplatz, Kilian mustert sie mit Verachtung, in der Hand eine halb geschälte Karotte. Immerhin machen sie kein Salsa. Um Himmels willen kein Salsa. Kilian erzählt, dass vor ein paar Sommern mal so ein Berliner Tanzklub eine Tanzfläche aus Holz angeschleppt hatte, aber da waren dann alle dagegen – und die Salsa-Spinner haben sich wieder verzogen. Kilian sieht noch immer besorgt aus und dreht sich nach links und nach rechts, als könnte hinter jedem Gebüsch ein Typ mit Trompete am Mund lauern.

Oma macht die besten Cocktails

Dabei sind die Regeln doch so einfach. Gutes Essen und Cocktails. Kein Quatsch. Keine Kunstlederjacken, Sonnenbrillen oder Fidget Spinner, keine Tänzer. Sogar der Typ, der statt Speisen nur die Ostasien-Postille „Farang“ und Bücher aus der Reihe „Vom Sinn unseres Daseins“ auf seinem Tisch auslegt, wird immer beäugt, obwohl er stets neben seinem Stand die Thailandflagge hisst. Kilian sagt: „Es soll ja jeder hier Spaß haben und machen, was er will.“ Der Satz schreit nach einem Aber, das allerdings nicht kommt. Klar ist trotzdem: Sobald Deutsche irgendwo was mit Salsa machen, ist der Ort für immer verloren.

Es ist auf einmal unfassbar voll. Familien mit Kindern, Neukölln-hip-aussehende 20-Jährige. Man drückt sich so aneinander durch den Park, von Stand zu Stand. Kilian sagt, dass die alle wegen Facebook hier sind. Er erkennt es daran, dass sie Fotos von ihrem Essen machen. Das hätte es früher nicht gegeben.

Hendrik kommt einem entgegen. In seinem Dreitagebart ein Grashalm von der Wiese. Er zieht am Strohhalm seines Caipis. „Für die besten Cocktails musst du zu dieser einen Oma.“ Welche? Die Wiese ist randvoll mit Omas. „Die dahinten“, sagt er und zeigt wahllos drauflos, macht sich durch den Staub zurück zu seinem Platz, wo jetzt seine Freunde lümmeln und in der Gruppe auskatern.

Es wird spät, bei den Sitzgruppen auf den Decken werden bei den thailändischen Frauen die Spielkarten ausgepackt. Die Frauen legen leise lachend ihre Karten. Das Ganze wird beleuchtet, überall auf der Wiese glimmen die Sperrbildschirme der Handys auf den Decken. Dazu sehr leise Gespräche, während die Männer die Stände zusammenräumen. Ein Kind gießt eine Kühlbox aus an einen Baumstamm, auf dem Kopf ein schreiend gelb leuchtender Pikachu-Hut.

Am Abend wird gefegt

Und tatsächlich, sie haben alles leergekauft. Kurz vor Dunkelheit sitzt noch eine letzte Frau an der Pfanne, der Schirm ist schon verstaut, ihr Kind wartet im Hintergrund. Es trägt ein ärmelloses T-Shirt mit dem Aufdruck Singha Beer. Ja, sie haben alles leergekauft, sagt sie und zeigt auf die traurigen Reste in den Dosen und Eimern, wischt sich die Stirn. Ein Tag wie heute reicht fürs ganze Jahr. Danke, Facebook.

Wollt ihr essen?, fragt sie ein paar Jungs, die vor ihren Stand wanken. Klar. Sie fängt an, aus den Resten etwas in der Pfanne zuzubereiten, ohne Erklärung, was sie da tut, schmeckt es mit dem Probierlöffel ab. Scharf?, fragt sie, aber ihre Stimme geht im Brutzelgezisch unter. Außerdem sind die Jungs im Gespräch: wohin von hier aus? Sonntagabend, verlorener Moment in Wilmersdorf. Was soll man noch machen? Also erst mal scharf.

Um jeden Abfallkorb liegt ein zwei Meter dicker Müllgürtel. Teller, Dosen, Flaschen, Decken, Säcke, kaputtes Spielzeug.

In diesem stillen, späten Moment versteht man aber auch, warum vielleicht das Ordnungsamt hier beide Augen zudrückt. Denn in der Mitte der Wiese steht als letzter Mensch die Frau mit dem Rechen. Srrrr. Srrrr. Srrrr. Das Geräusch von Metall auf sommertrockenem Rasen geht über die ganze Wiese. Stoisch kehrt sie den Abfall zusammen, ihre kleine Gestalt wirft einen langen Schatten.

Alexander Langer

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false