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Berlin: The Voice

Ingo Ruff ist die Stimme, die den Fahrgästen in den S-Bahnzügen sagt, welche Station nun folgt

Von Ole Meiners

„Nächster Halt: Friedrichstraße…“ Den Rest der Ansage in den S-Bahn-Zügen können die meisten Fahrgäste schon nachbeten, denn die Nord-Süd-Verbindung der Linien S1 und S2 sind unterbrochen, und die Stimme aus dem Lautsprecher in den Wagen rät: „Bitte benutzen Sie die U-Bahn-Linie 6.“ Wenn Ingo Ruff am Bahnhof Friedrichstraße umsteigen will, muss er unweigerlich schmunzeln, denn er befolgt seine eigene Anweisung – er hört sich selbst.

Seit vier Jahren ist Ingo Ruff die Stimme der Berliner S-Bahn, besser ihres Fahrgast-Informationssystems (FIS). In klarem Hochdeutsch informiert sein Tenor die Fahrgäste über den nächsten Haltebahnhof. Ob Stresow oder Strausberg, Grunewald oder Plänterwald – je moderner die S-Bahn-Flotte wird, desto häufiger ist Ingo Ruff auf der Strecke zu hören. Nur in den rumpelnden Zügen der Baureihe 477 sagen noch die Triebwagenführer die Stationen selbst an. Allerdings sind sie häufig kaum zu verstehen – oder gar nicht, weil sie den Mund halten.

„Das FIS entlastet den Fahrer, der kann sich voll und ganz dem Verkehr widmen, und das System ist fehlerfrei“, schwärmt Ingo, „die Stimme“ Ruff, über die Technik: Gestützt auf moderne Telematik kommt der Impuls zum Ausrufen der nächsten Station vollautomatisch, aber der Fahrer kann die Ansage auch manuell auslösen.

Berlin allein ist dem 37-Jährigen aus Biesdorf jedoch viel zu klein: Ingo Ruffs Stimme ist deutschlandweit zu hören, in vielen Nahverkehrszügen und auch in den Hamburger S-Bahnen zwischen Neugraben und Poppenbüttel. „Damit die Aussprache wirklich stimmt, rufen meine Kollegen und ich bei Zweifelsfällen auch bei dem Personal vor Ort an und lassen uns die Bahnhofsn vorsprechen.“ Produziert und digital bearbeitet werden die Ansagen im Tonstudio der Bahn. Im Interview klingt Ingo Ruff übrigens ein wenig sonorer als in der S-Bahn: „In der Produktion wird auch der Klang meiner Stimme verändert, wie übrigens auch bei vielen Radio-Moderatoren.“ Doch bei Ruff hat es einen praktischen Nutzen und dient nicht nur der akustischen Ästhetik: Messungen im Fahrgastraum haben ergeben, dass tiefe Frequenzen bei den Fahrgeräuschen schwieriger zu verstehen sind, darum werden die mittleren und höheren Stimm-Anteile künstlich verstärkt. „Dieses Stimmprofil ist im Tonstudio abgespeichert, und so ist sicher gestellt, dass der Klang immer identisch ist.“

Immer? Auch an den Stimmbändern des gebürtigen Ost-Berliners geht das Alter nicht spurlos vorbei, und so erkennt das geübte Ohr zwischen der Ansage „Friedrichstraße“ von 1998 und dem aktuellen Bau- und Umsteigehinweis ganz dezente Unterschiede. Sein siebenjähriger Sohn hat ihn trotzdem sicher an der Stimme erkannt: „Neulich in der Bahn hat er mich geoutet. Meiner Frau war das ein wenig peinlich, weil die Mitfahrer natürlich dachten, dass der Kleine spinnt.“ Der Papa selbst war nicht dabei: „Gott sei Dank!“

Ingo Ruff ist nicht bloß ein Sprecher sondern inzwischen die „Stimme der Deutschen Bahn“: Zunächst begleitete er akustisch Reisegruppen in Sonderzügen, zu diesen „Sprachreisen“ gesellte sich mit der Einführung von automatischen Ansagesystemen ab 1992 Zug um Zug der Auftrag als FIS-Stimme. Heute moderiert der gelernte Kommunikationselektroniker im Bahn eigenen TV-Kanal ein Technik-Magazin, wird zu Messe-Auftritten der Bahn gebucht und übernimmt häufig die technische Realisierung bei Pressekonferenzen. Das hat er sich vor fast zwanzig Jahren gar nicht vorstellen können, als er an den Plattentellern im Kino „International“ als Discjockey die ersten Schritte in die Medienwelt gemacht hat. „Mittlerweile halte ich mich aber für einen waschechten Bahner, auch wenn ich freiberuflich arbeite.“

Wer so ungebunden ist, kann auch mal fremdgehen und eine andere Seite von sich zeigen: Während Ingo Ruff in der S-Bahn höflich über den weiteren Zuglauf informiert, ist er im Untergrund bei der BVG strenger: „Zug nach Wittenau – einsteigen, bitte! Zurückbleiben, bitte!“ ruf(f)t es irgendwie vertraut aus den Außenlautsprechern der neuesten U-Bahn-Züge.

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