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Reinhängen. Choreograf Kadir Memis, den hier alle nur Amigo rufen, geht mit den Jugendlichen die letzten Feinheiten durch.

© David Heerde

Theater mit Jugendlichen in Berlin-Mitte: Raus aus dem Keller

Im Haus der Festspiele treffen sich junge Tänzer aus ganz Deutschland. Die Berliner Gruppe „Evoke“ bringt sprachliche Gewalt auf die Bühne – und holt Jugendliche vom Sofa. Am Donnerstag- und Sonntagabend führen sie ihr Stück "Kellerkinder" auf.

„Halt die Fresse!“, schreit ein junger Mann im Trainingsanzug. Sein Gesicht ist rot, die Halsschlagader tritt deutlich hervor. Zusammen mit drei Jugendlichen redet er auf eine junge Frau ein. „Du bist so hässlich, Alter.“ Dann, plötzlich, brüllt auf der anderen Seite der Bühne ein Mädchen: „Haaalt!“. Sie beginnt zu tanzen, um auszudrücken, was Worte nicht mehr sagen können.

Was die fünf Tänzerinnen und Tänzer der Company „Evoke“ hier auf der Bühne des Podewil in der Klosterstraße in Mitte zeigen, rüttelt auf, verursacht Gänsehaut. In ihrem Stück „Kellerkinder“ zeigen sie verbale Gewalt unter Jugendlichen, direkt und unzensiert. Es ist ein Tanzstück über Worte, die verletzen. Mit dem Choreografen Kadir Memis, der sich in der Hip-Hop-Szene „Amigo“ nennt, arbeiten die jungen Tänzer seit fast einem Jahr an der Choreografie zu „Kellerkinder“, das sie am heutigen Donnerstag und noch einmal am Sonnabend beim „Tanztreffen der Jugend“ im Haus der Berliner Festspiele aufführen.

Unterstützt vom Bundesministerium für Bildung und Forschung veranstalten die Berliner Festspiele das Treffen der Nachwuchstalente in diesem Jahr zum ersten Mal. Das Format entspricht dem der Bundeswettbewerbe „Theatertreffen der Jugend“, „Treffen junger Autoren“ oder „Treffen junge Musik-Szene“. Sieben Theatergruppen aus ganz Deutschland treten noch bis zum 2. September an der Schaperstraße in Wilmersdorf auf.

Tanz ist eine besondere Sprache

Kadir Memis wollte mit dem Stück „ein Abbild der Berliner Jugend und ihrer Sprache“ schaffen. Deswegen vermischen sich darin die Grenzen zwischen den verschiedenen Kunstformen: Neben dem Tanz gibt es schauspielerische Elemente – und es wird gerappt. Ben, der mittlerweile seit vier Jahren in der Berliner Jugendcompany „Evoke“ tanzt, hat den Text für die längere Rap-Passage selbst verfasst. „Sprache wird gewalttätiger – das ist den meisten jungen Menschen aber gar nicht bewusst.“ Darum singt er davon, dass „Worte wie Waffen sein können aus dem Mund eines Menschen“. Für die fünf Tänzer ist verbale Gewalt überall präsent, im Internet, im Fernsehen, auf der Straße. „Je mehr man beleidigt, desto krasser ist man“, sagt die 17-jährige Hanna.

Die Leidenschaft und das Selbstbewusstsein des Ensembles hat auch die Jury des bundesweiten Wettbewerbs „Tanztreffen der Jugend“ beeindruckt. Aus knapp sechzig Tanzensembles wählte sie sieben Gruppen aus und lud sie nach Berlin ein.

Livia Patrizi hat die Jugendcompany „Evoke“ gegründet. Diese gehört zum Verein „TanzZeit“, der mit Profi-Tanzlehrern an Berliner Schulen zeitgenössischen Tanz unterrichtet
Livia Patrizi hat die Jugendcompany „Evoke“ gegründet. Diese gehört zum Verein „TanzZeit“, der mit Profi-Tanzlehrern an Berliner Schulen zeitgenössischen Tanz unterrichtet

© David Heerde

Wie viel Tanz und Sprache gemeinsam haben, weiß auch Livia Patrizi, die Gründerin der Jugendcompany „Evoke“. „Tanz ist eine besondere Sprache“, sagt sie. „Um sie zu lesen, muss man nicht alphabetisiert sein.“ Die gebürtige Italienerin hat vor fast zehn Jahren den Verein „TanzZeit“ gegründet, aus dem die Jugendcompany „Evoke“ hervorgegangen ist. Mit professionellen Tanzlehrern geht Patrizi an Berliner Schulen und unterrichtet zeitgenössischen Tanz. Aus dieser Arbeit weiß sie, dass Beleidigungen unter vielen Schülern normal geworden sind. Auch die Tanzlehrer begegnen an den Schulen zunächst oft Vorurteilen – etwa, dass Tanzen nichts für Jungs sei. Doch nach kurzer Zeit werden die Tanzlehrer häufig zu Vorbildern.

Das Stück provoziert

Der Titel „Kellerkinder“ beruht übrigens auf dem Ausdruck „kellern gehen“. „Die Kids gehen in den Keller, um dort Playstation zu zocken und zu chillen“, erklärt das Ensemble. Solche Ausdrücke verbreiten sich heute schnell, und noch schneller verbreiten sich Schimpfwörter. „Die Jugendlichen benutzen Schimpfwörter, um gesehen zu werden, um Aufmerksamkeit zu bekommen“, sagt Kadir Memis. Dass er die jungen Tänzer versteht, ist deutlich zu spüren. Sie und ihr Choreograf provozieren mit ihrem Stück, und können zugleich sehr sachlich formulieren, was es ausdrücken soll.

Wie rau das Thema ihres Tanzes auch ist, miteinander gestritten haben die jungen Tänzer von „Evoke“ noch nie. Im Gegenteil, bei den Proben lachen sie viel. „Es ist ein sehr enges, familiäres Zusammensein bei der Jugendcompany“, sagt Ben. Er ist mittlerweile selbst als Tanzlehrer für TanzZeit tätig und unterrichtet Schulklassen. Denn dem Verein geht es nicht nur darum, die Freude am Tanzen zu wecken. Die Jugendcompany „Evoke“ und der zugehörige Verein TanzZeit wollen den jungen Menschen auch die Möglichkeit geben, sich zu professionalisieren und den Tanz zum Beruf zu machen.

„Kellerkinder“ läuft am Donnerstag und am Sonnabend, jeweils 21 Uhr beim Tanztreffen der Jugend im Haus der Berliner Festspiele, Schaperstraße 24, Wilmersdorf. Die Karten kosten 6 Euro, ermäßigt 4 Euro.

Das komplette Programm finden Sie unter: www.berlinerfestspiele.de

Jana Scholz

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