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Berlin: Therapie für Tote: Ärztebetrug aufgedeckt Erste Ermittlungserfolge in Berlin, weil Mediziner Behandlungen von verstorbenen Patienten abrechneten

Bislang gab es nur Hinweise in anderen Bundesländern: Um sich zu bereichern, rechnen kriminelle Ärzte die Behandlung von Verstorbenen ab. Jetzt liegen erstmals konkrete Zahlen für Berlin vor.

Bislang gab es nur Hinweise in anderen Bundesländern: Um sich zu bereichern, rechnen kriminelle Ärzte die Behandlung von Verstorbenen ab. Jetzt liegen erstmals konkrete Zahlen für Berlin vor. Der Angestellten-Krankenkasse (DAK) zufolge besteht in der Stadt in 22 Fällen ein solcher konkreter Verdacht. Doch das Ausmaß der Trickserei ist viel größer: Im vergangenen Jahr ermittelte die Berliner Polizei in 700 Fällen von ärztlichem Abrechnungsbetrug, davon siebzig mit einem Schadensfall von jeweils mindestens 50 000 Euro. Die Zahl der Verdachtsfälle steige in letzter Zeit kontinuierlich an, heißt es bei den Ermittlern. Jahr für Jahr registrieren sie Steigerungsraten um bis zu zehn Prozent.

Die DAK hat bundesweit ärztliche Abrechnungsdaten von zwei Quartalen 2001 untersucht und diese erstmals mit der Liste ihrer im selben Zeitraum verstorbenen Versicherten verglichen. Insgesamt stieß die Kasse dabei auf 439 mögliche Tricksereien, davon in Berlin 22. Sollte sich dieser Verdacht erhärten, werde die Staatsanwaltschaft eingeschaltet, sagt DAK-Sprecher Rüdiger Scharf.

Die Dunkelziffer von betrügerischen Abrechnungen in Berlin ist jedoch offenbar höher. Denn dass Tote abgerechnet werden, hält Jörg Engelhard, Chef der Ermittlungsgruppe „Medicus“ des Landeskriminalamtes, eher für einen „Betriebsunfall“. „Natürlich wollen die Täter plausibel bleiben. Und der Betrug mit Patientendaten von Lebenden ist wesentlich unauffälliger, als die Abrechnung von Toten.“

Die Ärzte, die die Polizei als „wenige schwarze Schafe“ bezeichnet, arbeiten dabei mit diversen Tricks. So überweise ein Mediziner einen seiner Patienten an einen Facharzt, ohne dass der Patient davon etwas erfährt. Trotzdem rechnet der Kollege ihn ab. Ein neuer Trick sei, für nicht existente Patienten so genannte Ersatzscheine auszustellen und darüber Leistungen abzurechnen. Denn der Gesetzgeber sieht für den Fall, dass ein Kranker seine Chipkarte vergisst, die Möglichkeit vor, einen solchen Ersatzschein auszustellen. Normalerweise müssen die Patienten im selben Quartal ihre Karte nachreichen. Ein Arzt, der betrügen will, rechnet die Ersatzscheine von nicht erschienenen Patienten ab, wenn er deren Daten von früheren Besuchen noch gespeichert hat.

„Die Ärzte schädigen in diesem Falle vor allem ihre Kollegen“, sagt Dusan Tesic, Geschäftsführer der Berliner Kassenärztlichen Vereinigung (KV). Denn da der Topf für die Arzthonorare pauschal zwischen KV und Krankenkassen ausgehandelt wird, verdient ein betrügerischer Arzt zu Lasten seiner ehrlichen Kollegen. Die Möglichkeiten der KV, den Betrügern auf die Schliche zu kommen, sind gering. Zwar prüft die Vereinigung bei jeder Abrechnung, ob sie plausibel ist. Allerdings nur nach einem einzigen Kriterium, dem Zeitfaktor. Hat ein Arzt so viel behandelt, dass dies täglich 24 Arbeitsstunden entspräche, dann fällt das auf. Jedes Quartal prüft die Berliner KV sechs Millionen Behandlungsfälle aller 6200 niedergelassenen Ärzte in Berlin. Zehn Mediziner fallen im Schnitt jedes Quartal auf und müssen sich in einem Disziplinarverfahren verantworten. Die Strafen reichen von einer Geldbuße bis hin zum Entzug der Zulassung. Letzteres ist seit 1996 nur sechs Mal geschehen. Und die Zahl der „unplausiblen Abrechnungen“ sinke, sagt KV-Geschäftsführer Tesic. Das könne aber auch daran liegen, dass Ärzte vorsichtiger würden und ihre Computer mögliche Ungereimtheiten schon vorher eliminierten.

Ist es der zunehmende wirtschaftliche Druck, der manchen Arzt zum Betrüger werden lässt? Nein, sagt Tesic. „Es sind gerade die, die sowieso schon genug verdienen.“

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