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Berlin: Tiergartenviertel: Einst verödet, jetzt im frischen Aufwind

Kurfürstendamm, Friedrichstraße, Potsdamer- und Pariser Platz - das sind Klassiker bei Stadttouren. Das Tiergartenviertel, in dem sich mittlerweile rund 30 Botschaften und Institutionen ansiedelten, hat alle Chancen, hier aufzuholen.

Kurfürstendamm, Friedrichstraße, Potsdamer- und Pariser Platz - das sind Klassiker bei Stadttouren. Das Tiergartenviertel, in dem sich mittlerweile rund 30 Botschaften und Institutionen ansiedelten, hat alle Chancen, hier aufzuholen. Einst als Geheimratsviertel tituliert, später von den Nazis zum Diplomatenviertel erkoren und nur ansatzweise verwirklicht, dann jahrzehntelang eine ruinöse Brache, gewinnt das Gebiet langsam wieder architektonische Konturen. Der kürzlich eröffnete Baukomplex Tiergarten-Dreieck mit mehreren Botschaften, Bundesverbänden und der CDU-Bundeszentrale steckt mittendrin im neuen Viertel, das amtlich zu Tiergarten-Süd gehört und an den Rändern noch ausgefranst wirkt.

Wer es im Spazierengehen erkunden will, sollte es von der Zoobrücke über dem Landwehrkanal an der Lichtensteinallee tun. Das ist besonders fußgängerfreundlich. Neben dem Zoo wird gerade die spanische Botschaft hochgezogen, hinter der zum großen Teil stehengelassenen alten Fassade. Nach dem Krieg war die Teilruine der alten Botschaft, 1938 bis 1943 im Rahmen der Speerschen Hauptstadtplanung errichtet, als Generalkonsulat genutzt worden. Die schwarze Hausfront mit zugemauerten Fenstern an der Thomas-Dehler-Straße wirkte jahrzehntelang zum Gruseln. Jetzt sind die Fenster offen und sie zeigen nur Himmel. Mitte bis Ende nächsten Jahres soll die neue Botschaft hinter der alten Fassade fertig sein.

Nebenan, in der einstigen dänischen Gesandtschaft, hat die Deutsche Telekom ihre Akademie für Führungskräfte untergebracht. Die Dänen hatten sich schon lange vor dem Fall der Mauer von dem Haus hart am Rand des Zoo-Erweiterungsgeländes getrennt.

Der Zoo wollte damals den Abriss der alten Botschaften und dort Gehege anlegen. Der Zoo lässt sich auch so schnuppern. Etwa an der Rauch- Ecke Drakestraße, wo sich in der einstigen norwegischen Botschaft etliche Planungsfirmen, unter anderem das Institut für Stadtplanung und Stadtforschung, angesiedelt haben. Der Umbau zu einem Wohn-und Bürohaus gehörte zum Programm der Internationalen Bauaustellung IBA 87. Oder im alten Gebäudekomplex gegenüber, der früheren jugoslawischen Gesandtschaft. Bis in die 90er Jahre arbeitete hier das Oberste Rückerstattungsgericht, inzwischen sind die Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik, die Unicef, das Zentrum für Türkeistudien und die Deutsch-Polnische Gesellschaft eingezogen.

Das Glanzstück der IBA im südlichen Tiergartenviertel waren aber die Stadtvillen an der Rauch-, Thomas-Dehler- und Drakestraße, insgesamt neun Häuser von renommierten Architekten wie beispielsweise Rob Krier, Giorgio Grassi, Aldo Rossi und Hans Hollein. Allein diese große Wohnanlage mit dem langen parkähnlichen Hof war eine kleine Bauausstellung für sich, und wer hier einzog, hatte anfangs das Gefühl, selbst ein Ausstellungsstück zu sein. Inzwischen sind die Häuser stellenweise so mit Wein oder Efeu zugewachsen, dass ihre unterschiedlichen Merkmale kaum auffallen. Ganz und gar unter hochgewachsenen Bäumen versteckt hat sich das so genannnte Öko-Haus zwischen Rauch- und Corneliustraße. So wirkt es dunkel verwunschen, und wer genau hinsieht, stellt fest, dass etliche Bewohner auch tagsüber Licht machen müssen.

Die vergleichsweise stocknüchtern gebaute Deutsche Stiftung für Internationale Entwicklung an der Stülerstraße ist eines der wenigen neuen Gebäude, die das Gebiet vor dem Bau der IBA-Projekte belebten. Hier, am Ende der Budapester Straße, war fast Totentanz - wenn nicht gerade gegenüber ein Volksfest einlud. Nun ist dort das Tiergarten-Dreieck herangewachsen, teilweise noch im Bau, mit Luxuswohnungen und Büros für Verbände und Botschaften wie die von Malaysia, Malta oder Mexiko - und natürlich mit der CDU-Bundeszentrale.

Bauherr Klaus Groth, der auch die IBA-Stadtvillen gegenüber errichtete, feierte schon symbolische Eröffnung. Das Corneliusufer, einst vielbefahren und zu Volksfest-Zeiten Parkplatz für Schaustellerfahrzeuge, ist schon fast zur Promenade mit Bäumen und Bänken umgebaut. Wer sie entlangläuft oder sich ausruht und auf die Schiffe blickt oder die frischen Fassaden, erlebt ein neues Stadtgefühl. Und wer dies im öffentlichen Pocket-Park im Inneren des Tiergarten-Dreiecks genießen möchte, muss nach Zugängen suchen. An der Stülerstaße sind es Zauntore, die sich tagsüber öffnen lassen. Es gibt Bewohner, die achten sehr darauf, dass die Tore geschlossen sind.

Hart an der Klingelhöferstraße stehen die nordischen Botschaften, Häuser, die ästhetisch kühl und anheimelnd zugleich wirken. Allein um diese Anlage scharen sich immer wieder Touristen, vor allem im Eingangsbereich Rauchstraße. Spaziergänger stehen nun vor der vielbefahrenen Klingelhöferstraße - einer Hemmschwelle. Dabei beginnt jenseits der breiten Fahrbahnen die andere Hälfte des Tiergartenviertels - mit dem Neubau der Konrad-Adenauer-Stiftung an der Tiergartenstraße, der sich vor das altgewohnte Canisius-Kolleg geschoben hat. Dann schon ist die Großbaustelle der japanischen Botschaft in Sicht, eines der ehrgeizigsten Bauprojekte im Gebiet.

Ursprünglich 1942 entstanden und teilweise kriegszerstört, stand das Bauwerk jahrzehntelang leer. Mitte der 80er Jahre wurde es abgerissen und originalgetreu als Deutsch-Japanisches Zentrum wieder aufgebaut. Nun wird das Bauwerk wieder zur Botschaft und diplomatischen Europa-Zentrale umgebaut, und an der angrenzenden Hiroshimastraße ist schon ein stiltreuer Erweiterungsbau entstanden. Ende des Jahres sollen die Arbeiten beendet sein.

Die Hiroshimastraße allein ist schon einen Besuch wert, trotz aller Baustellen. Wenn man bedenkt, dass hier vor zwei Jahrzehnten noch für Filmaufnahmen die Mauer nachgebaut wurde, weil die Gegend mit Brachflächen und Ruinenresten so scheußlich-schön aussah, sieht hier die baulichen Folgen des Hauptstadtbeschlusses deutlich. Auf der einen Seite die Baustelle der Japaner, gegenüber die der Italiener, die ihre riesige Teilruine bis 2002 wieder zur Botschaft aufbauen. Das Bauwerk stammt aus der Nazi-Zeit, beherbergte nach dem Krieg das Generalkonsulat. Dem pompösen Stil dieser künftigen Botschaften will so gar nicht der Neubau der Friedrich-Ebert-Stiftung entsprechen, der verklinkert nordisch und nüchtern wirkt. Mediterran mit rotem Putz fällt der Neubau der Bremischen Landesvertretung auf, der vorübergehend die Vertretung Nordrhein-Westfalens beherbergt, deren Neubau in der Baugrube des Nachbargrundstücks entstehen wird.

Und dann fällt an der Straße, zwischen den Italienern und der Ebertstiftung, noch ein verfallenes altes Villengebäude auf. Es gehört den Griechen. Der Botschaftsaufbau soll noch in diesem Jahr beginnen, aber noch deutet nichts darauf hin. Bei den Esten, deren altes Gemäuer ebenso wie das der Griechen und der Italiener in die Hildebrandstraße hineinreicht, verhält es sich ebenso. "Achtung, Verletzungsgefahr wegen Baufälligkeit" steht auf Schildern an der alten Villa.

Der Rohbau der indischen Botschaft an der Tiergartenstraße, die benachbarte neue Landesvertretung Baden-Württembergs und die Baustelle der österreichischen Botschaft Ecke Stauffenbergstraße, kurz vorm Kulturforum, sind die Endpunkte eines Spaziergangs, der noch an Reiz gewinnen wird.

Christian van Lessen

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