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Toby Rodes: Der Mann, der die Berlinale erfand

Berlin verdankt seine Internationalen Filmfestspiele einem Mann: Toby Rodes, einst Informationschef der Amerikaner. Heute erzählt er, warum die Stadt das nach dem Krieg dringend nötig hatte.

Als Toby Rodes die Berlinale erfand, waren die Franzosen stocksauer. Die Erinnerung an das Naziregime war so wenige Jahre nach Kriegsende noch sehr präsent, die Stadt lag in Trümmern. Von Glamour keine Spur. Und hier sollte ein Filmfestival etabliert werden und auch noch eines, das von Anfang an international sein sollte? Wo es doch Cannes gab, die mondäne Stadt am Mittelmeer!

Heute lächelt Toby Rodes, wenn er davon erzählt. Der Ehrengast der Berlinale sitzt in der Lobby des Adlon Hotels und erinnert sich an seine Zeiten als Presse- und Film-Offizier und Marshall-Plan-Informationschef der Amerikaner in Berlin. Als er mit der US-Armee im Juni 1944 in der Normandie landete, war er im Führungsstab der Abteilung Psychologische Kriegsführung tätig. Sein Alter gibt er mit „dreiundneunzigeinhalb“ an. Zu seinen Füßen liegt ein Gehstock, aber das Gedächtnis funktioniert dem sprudelnden Erzählfluss nach zu urteilen offenbar einwandfrei. Zwar zeigten die französischen Alliierten ihre Empörung nicht offen, Rodes war immerhin mit einem französischen Orden dekoriert. Aber zwischen den Zeilen hätten sie ihn deutlich spüren lassen, was sie von der Idee hielten: gar nichts.

„Wir brauchten die Berlinale ausschließlich aus politischen Gründen“, sagt Rodes und erzählt, wie es den Amerikanern Sorgen bereitete, dass nach dem Krieg immer mehr Unternehmer abwanderten, um weit weg von den Russen in Westdeutschland einen Neustart zu wagen. Mit Geldern aus dem Marshall-Plan, die sie im Falle der Abwanderung nicht bekommen hätten, habe man versucht die Unternehmen zu halten, erzählt er. Und mit Geldern aus dem Marshall-Plan zum Wiederaufbau Europas konnte er auch die Berlinale finanzieren. An der operativen Umsetzung war er nicht beteiligt. In Tempelhof habe es Leute gegeben mit internationalen Kontakten, die Leute einladen konnten. „Die Arbeit hat dann Alfred Bauer gemacht“, sagt er. Der war von 1950 an Direktor der Filmfestspiele. Vom 6. bis 17. Juni 1951 fand der erste „Wettstreit der Filmnationen“ statt. Dabei waren 34 Spielfilme und 105 Kurz- oder Dokumentarfilme im Rennen, 21 Länder waren vertreten. In der Waldbühne gab es Vorführungen mit 25 000 Zuschauern.

„Uns ging es darum, Berlin an den Westen zu ketten“, sagt Rodes heute. „Wir wollten die Stadt auf keinen Fall den Russen überlassen.“ Den Ausdrücken, die er in dem Zusammenhang für die Russen findet, merkt man an, dass sie in der feindseligen Atmosphäre des Kalten Kriegs entstanden sind. Da ist von Räubern und Gaunern die Rede. „Die Russen versuchten alles, um uns zu verjagen, und die Westdeutschen wollten Berlin aufgeben.“

In jener Zeit lernte er, Wodka nicht zu trinken, sondern ihn diskret über die Schulter zu kippen. Das mimt er rasch noch mal nach. „Eigentlich mag ich Wodka. Aber die Russen wollten uns nur besoffen machen, damit wir alles unterschrieben, was sie wollten. Ich habe aber nichts unterschrieben.“ Er erinnert das Nachkriegs-Berlin als „ein dorfartiges Gebilde“, in dem man die vier Sektoren deutlich merkte. Was ihm besonders gefiel, damals wie heute: „Das Lied von der ’Berliner Luft’ stimmt wirklich.“ Das sei einfach eine absolute geografische Tatsache. „Durch den Wind stinkt Berlin viel weniger als andere deutsche Städte.“ Das Filmfestival brachte 1951 nicht nur den nach dem Krieg höchst ersehnten Glamour zurück in die zertrümmerte Stadt. Es reisten auch Teilnehmer aus aller Welt an. „Dadurch gab es auch Arbeit“, sagt Rodes. Außerdem seien die Berliner so lange abgeschirmt gewesen von der Welt, dass ein wahnsinniges Interesse daran geherrscht habe, wie es sich denn lebt in der Nicht-Nazi-Welt.

Als die Berlinale einmal lief, brachte das auch angenehme Pflichten mit sich. An solche erinnert er sich auch in seinem Buch „Einmal Amerika und zurück“. Mit jeder der schönen Schauspielerinnen tanzte der Informationsoffizier jeweils einmal. „Das reichte.“ Er erinnert sich aber lebhaft an ein offenbar höchst philosophisches Gespräch, das er mit der blutjungen Gina Lollobrigida und ihrem Mann, „einem sehr klugen Arzt“, geführt habe.

Nachdem er den USA neuneinhalb Jahre aktiv und etwas mehr als zwanzig Jahre in der Reserve gedient hat, lebt der vielseitige PR-Stratege nun in der Schweiz. Alle paar Jahre mal hat er sich angeschaut, wie es mit Berlin weiterging. „Irgendwann erfuhr Dieter Kosslick, dass es mich gibt, dass ich noch lebe und lud mich ein.“ Das war zum 60. Geburtstag der Berlinale vor drei Jahren. Auch mit US-Botschafter Philip Murphy kam er wiederholt zusammen.

Bei der Gründung hätte er sich nicht vorstellen können, noch im neuen Jahrtausend dabei zu sein. „Darüber habe ich damals gar nicht nachgedacht, ich hatte nur die nächsten zehn Jahre im Blick.“

Wie ihm die Idee mit dem Filmfestival ursprünglich gekommen ist? Seine britische Mutter, Olivia Veit, hat in Berlin bis 1917 unter der Regie von Max Reinhardt als Schauspielerin gewirkt. Außerdem kannte er Babelsberg. Ach ja, in Cannes war er auch schon mal zu Zeiten des Festivals: „Das hat mich inspiriert.“

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