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Berlin: Todesflug in den Kalten Krieg

Vor 45 Jahren stürzte eine PanAm-Maschine bei Döberitz ab. Die Ursache des Unglücks ist bis heute rätselhaft

Dallgow-Döberitz - Der Brief erreichte den Tagesspiegel in zerfetztem Umschlag – zerknittert, rußgeschwärzt, im unteren Drittel verkohlt. Nicht dass er besonders wichtig gewesen wäre: Höfliche Floskeln des für Public Relations zuständigen Mitarbeiters der Chemischen Werke Hüls in Marl, mit denen er Fotos der Werksanlagen sowie ein Porträt des Vorstandsvorsitzenden der Redaktion zur Auswahl empfahl. Dennoch war das Schreiben vom 14. November 1966, adressiert an „Der Tagesspiegel, z. Hd. Herrn Sawahn“, der damaligen Redaktionssekretärin Anke Sawahn so wichtig, dass sie es nicht entsorgte, sondern bis heute aufbewahrte. Wann hält man schon mal einen Brief in Händen, der einen Flugzeugabsturz hinter sich hat.

Jetzt hat die ehemalige Mitarbeiterin, inzwischen Historikerin in Hannover, den Brief und andere Unterlagen dem Archiv der Zeitung überlassen. „Sehr geehrter Postkunde! Unter den wenigen Sendungen, die beim Absturz der Pan American World Airways am 15. November 1966 bei Dallgow vernichtet wurden, befand sich auch die beiliegende Sendung“, hatte die Post auf einem beiliegenden Zettel mitgeteilt und um Verständnis für Zustand und verzögerte Zustellung gebeten. Aber das waren die geringsten Folgen des Absturzes vor 45 Jahren: Die Besatzung hatte ihn nicht überlebt. Doch besaß das Unglück auch eine politische Dimension: Die dreistrahlige Boeing 727 war auf dem sowjetischen Truppenübungsplatz um den alten Flugplatz Döberitz zerschellt.

Nur westalliierte Maschinen durften damals in den drei Luftkorridoren zwischen West-Berlin und dem Bundesgebiet pendeln. PanAm flog tagsüber zwischen Frankfurt am Main und Tempelhof Passagiere hin und her, nachts wurde Post transportiert. An sich ein Routineeinsatz, doch hatte die Fluggesellschaft am 13. November wegen Erneuerung der Tempelhofer Startbahn vorübergehend nach Tegel umziehen müssen. Der Transport der Post nach Frankfurt am folgenden Abend war problemlos verlaufen, um 2.04 Uhr startete PA 708 zurück nach Tegel. Erwartete Ankunft: 2.55 Uhr.

Die Besatzung, Flugkapitän Walter T. Reavis, 51, Copilot Raymond B. Foppe, 52, und Bordingenieur John W. Charlton, 34, galt als erfahren, dem miserablen Wetter gewachsen: Sichtweite 2,6 Kilometer, leichter Schneefall, Wolkenuntergrenze bei 160 Metern. Der Flug verlief anfangs normal, nichts deutete auf eine Katastrophe hin. Um 2.41 Uhr gab es den letzten Funkkontakt, unmittelbar danach verschwand die Maschine vom Radarschirm der Flugsicherung: Etwa 15 Kilometer vom Flughafen Tegel entfernt, mit einer Geschwindigkeit zwischen 250 und 300 km/h, das Fahrwerk bereits ausgefahren, war die Maschine auf dem Boden aufgeschlagen.

Wegen der restriktiven Informationspolitik der Sowjets konnte anfangs in West-Berlin über das Schicksal von PA 708 nur spekuliert werden. Am Kontrollpunkt Heerstraße hatte man eine Explosion „östlich von Staaken“ gehört, zudem berichteten Transitreisende von Absperrungen an der Fernverkehrsstraße 5 in der Gegend um Döberitz. Erst zehn Stunden später informierten die Sowjets die Amerikaner offiziell über den Absturz, der Tod der Besatzung wurde erst am Abend bestätigt. Zutritt zur weiträumig abgesperrten Absturzstelle – sie gehört heute zum unzugänglichen Teil von Sielmanns Naturlandschaft Döberitzer Heide – gewährten die Sowjets niemandem aus dem Westen. Sie räumten lieber selbst auf, bargen die Toten, die Trümmer, die übrig gebliebenen Postsäcke, übergaben alles am 17. November am Kontrollpunkt Staaken. Auch die DDR-Seite war bei diesem Akt mit zwei Offizieren vertreten, die Oberst Paul Skowronek, Chef der US-Militärmission in Potsdam, demonstrativ ignorierte. Schon ein verweigerter Handschlag war damals Politik, verhandeln wollten die Amerikaner nur auf Augenhöhe.

Doch hatten die Sowjets nur 50 Prozent der Trümmer übergeben, wie in dem 1968 veröffentlichten Untersuchungsbericht des National Transportation Safety Board in Washington D.C. beklagt wurde. Damals eine übliche Praxis: Als Monate zuvor ein sowjetischer Abfangjäger in den Spandauer Stößensee gestürzt war, hatten es die Briten ähnlich gehalten. Diesmal fehlten der angeblich nicht gefundene Flugschreiber, der Stimmenrekorder aus dem Cockpit und andere Komponenten der Maschine. Die völlige Aufklärung des Absturzes war damit unmöglich. Zwar fanden sich keine Hinweise auf eine Explosion oder ein technisches Versagen. Die Maschine hatte den Sinkflug nicht in der angewiesenen Höhe beendet und war an dem 63 Meter hohen Alten Mühlenberg, etwa drei Kilometer südöstlich des Flugplatzes Döberitz, hängen geblieben. Aber warum, wusste niemand zu sagen.

Spekulationen gab es dafür um so mehr. Der Tagesspiegel wusste von Gerüchten um einen Flugplatz der Sowjets mit unterirdischen Hangars nahe der Absturzstelle zu berichten. Allerdings wurde Döberitz seit Ende der 50er Jahre nicht mehr als Flugplatz genutzt. Auch wurde über einen möglichen Abschuss fantasiert, den die Wrackreste aber ausschlossen. Und noch in dem Buch „Flugplatz Döberitz“ von Kai Biermann und Erhard Cielewicz (Ch. Links Verlag, Berlin 2005) wurde die Vermutung geäußert, Radareinrichtungen der sowjetischen Flugabwehr im nahen Elstal könnten den Funkleitstrahl aus Tempelhof gestört und so den Absturz verursacht haben.

Konkreter sind die von den Autoren gesammelten Berichte von Anwohnern, wonach noch Jahre nach dem Absturz Wrackteile zu finden waren. Auch sollen Sowjetsoldaten nach dem Unglück in größerem Umfang versucht haben, Westgeld in DDR-Mark umzutauschen, offenbar stammte es aus zerstörten Postsäcken. Sogar das Gerücht von einer millionenschweren Ladung Geldscheine im Auftrag der Bundesbank ging damals um. Aber dafür gab es nun wirklich keinen Beweis.

 Andreas Conrad

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