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Berlin: Tödlicher Leichtsinn

Den Arbeitgeber des verunglückten Dachdeckers trifft keine Schuld. Eine Absturzsicherung ist zwar vorgeschrieben – doch das wird oft missachtet.

Berlin / Potsdam - Im Fall des am Dienstag tödlich verunglückten Dachdeckers trifft den Arbeitgeber keine Schuld. Dies betonten am Mittwoch das Landesamt für Arbeitsschutz (Lagetsi) und die Dachdeckerinnung. „Das war eine tragische Eigeninitiative“, sagte der Geschäftsführer der Innung, Rüdiger Thaler. Wie berichtet, war der 42-Jährige aus etwa 20 Metern in den Tod gestürzt.

Der Todessturz ist für das Lagetsi in doppelter Hinsicht typisch. „Die meisten Unfälle geschehen auf dem Bau, die meisten durch Sturz“, sagt Behördensprecher Harald Henzel. Thaler betonte, dass Dachdecker sehr selten betroffen seien. In den vergangenen Jahren lag die Zahl der vom Lagetsi erfassten tödlichen Arbeitsunfälle bei etwa zehn pro Jahr, 2013 waren es acht. Bis Ende der Neunzigerjahre waren es noch jährlich über 20. Die 1998 erlassenen schärferen Sicherheitsbestimmungen haben eine deutliche Besserung gebracht, heißt es beim Lagetsi.

Leichtsinn gibt es aber immer noch. Harald Henzel nennt den tödlichen Sturz eines Gerüstbauers im Januar letzten Jahres. Der Mann war morgens noch von Kontrolleuren der Berufsgenossenschaft ohne Sicherung erwischt und ermahnt worden. „Mittags lag er dann tot auf dem Pflaster“, sagte Henzel. Auch bei Dachdeckern ist eine Absturzsicherung zwingend vorgeschrieben, selbst wenn es nur ein geringes Risiko gibt, sagte Rüdiger Thaler von der Innung.  Tatsächlich eingesetzt wird die Sicherung aber nicht immer, dies lässt sich auf Baustellen beobachten. Bei anderen tödlichen Unfällen wurden Arbeiter von einem Radlader überfahren oder beim Verladen von einem tonnenschweren Tresor erschlagen.

In gut 200 Fällen pro Jahr geht das Lagetsi bei Verstößen mit Anordnungen gegen Firmen vor, theoretisch könnte eine Firma sogar geschlossen werden, wenn sie Gefahren nicht beseitigt. „Aber wir überzeugen lieber“, sagte Henzel – das sei besser als zu bestrafen.

In Brandenburg liegt die Zahl der tödlichen Arbeitsunfälle mit etwa zehn pro Jahr auf Berliner Niveau. 2012 waren es sechs, 2011 zwölf. Zahlen für das gerade abgelaufene Jahr liegen noch nicht vor. Wie berichtet hat es allein auf der BER-Baustelle bereits vier tödliche Unfälle gegeben: Zwei Arbeiter stürzten ab, einer wurde erschlagen und einer überfahren.

Der gelernte Dachdecker, der am Dienstag zu Tode kam, wollte über das Dach von einem Haus zum nächsten gelangen, um abzukürzen. Die Firma ist derzeit mit der Dämmung des Dachgeschosses in zwei nebeneinanderliegenden Häusern an der Sonnenallee beauftragt. Seine beiden Kollegen waren mit dem Zusammenräumen von Werkzeug und Material beschäftigt. Sie fanden ihren Kollegen tot auf dem Boden und erlitten einen Schock. Direkte Zeugen des Absturzes gibt es nicht. Die Firma gehört mit etwa 15 Angestellten zu den größeren in Berlin. Der Mann habe „wider jedes bessere Wissen“ gehandelt, als er durch die Luke auf das völlig vereiste Schrägdach kletterte, sagte der Geschäftsführer der Innung. Doch wieso? „Darauf wird es wohl keine Antwort geben.“ Beim Lagetsi hieß es, dass der Chef das Betreten des Daches ausdrücklich verboten habe. Die Behörde hat 150 Mitarbeiter, darunter 110 Kontrolleure. Den Neuköllner Todessturz untersuchen die Mitarbeiter im Auftrag der Staatsanwaltschaft.

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