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Berlin: Töne aus dem Tannenwald

Dietrich Fischer-Dieskau gibt öffentliche Gesangsstunden und nimmt sein Publikum mit auf einen Ausflug in die Musikgeschichte

„Nicht so hopsa, hopsa“, rügt der Meister den Pianisten und hopst zweimal auf der Bühne, zur negativen Veranschaulichung. Nochmal von vorn. „Wie herrlich leuchtet mir die Natur“, frohlockt der Sänger, aber der Meister steht weiter im Dunkeln. „Dein Gesang leuchtet nicht. Riskier was!“ Der Sänger, ach, er gibt sein Bestes. Vielleicht ist seine schmale Brust der Grund, dass die Töne nicht recht funkeln wollen. „Ich merke noch nicht, wie du die Lerche liebst!“ Dann kann der Meister nicht mehr an sich halten. Es bricht aus ihm hervor, Goethes „Mailied“, zart und kraftvoll zugleich. So könnte es sich anfühlen, als Verliebter im Mai. Nur jetzt ist Januar, die Bühne ist schwarz und kahl, das Publikum schweigt und leidet. Christian Schossig, der Gesangsstudent, steht etwas verloren am Flügel, den der Meister, Dietrich Fischer-Dieskau, nur abschätzig „Kasten“ nennt.

Öffentliche Probestunde im Theatersaal der Universität der Künste. Die lebende Legende Dieskau, der als einer der besten Liedinterpreten des 20. Jahrhunderts gilt, hat sieben Gesangsstudenten zu einem vierwöchigen Kurs eingeladen. Vor einem fast ausverkauften Theatersaal müssen sich die Studenten maßregeln lassen. Sie schaffen kaum eine Liedzeile, ohne dass der 78-jährige Dieskau, leger mit Pullover und Lesebrille auf einem Aktentisch hockend, einen falschen Konsonanten gehört hat. Oder eine fehlende Note („Wir wollen alle Noten hören – sind schließlich von Beethoven.“). Auch theatralische Gesten mag er nicht („Wir sind hier nicht im Bolschoi-Theater.“). Wenn der Meister nicht alle Wörter verstanden hat, hat der Sänger schuld. („Wo ist das P geblieben? Es heißt Pflug.“) Dieskau ist streng, aber auch milde. Er überspielt seine Ungeduld, unterhält nebenbei das Publikum mit kleinen Ausflügen in die Musikgeschichte. Die Schüler finden es „wunderbar“, mit ihm zu arbeiten. Das Publikum hofft auf Gesangseinlagen des Meisters, der selbst nicht mehr auftritt.

Mailied-Interpret Christian wird nach einer halben Stunde von seinen Qualen erlöst. Dörte Haring bietet nun das Kontrastprogramm: „Dem Schmerz sein Recht“ von Hebbel, vertont von Alban Berg. Am „Schl“ von „Schlafen“ lässt der Meister noch etwas feilen, dann auch hinten am „fen“ (hauchdünn, wie „fin“, auf keinen Fall „fenn“), aber insgesamt ist er recht zufrieden mit der Melancholie der Darbietung. „Nimm dir mehr Zeit für die Konsonanten.“ Während Haring singt, fährt Dieskau mit einer Hand in die Luft, fängt ihre Klangwellen auf und horcht in sich hinein, ob sie mit seinen Gedanken korrespondieren. „Max Reinhardt verlangte von seinen Schauspielern, dass sie in jeder Sekunde denken – das müssen wir auch. Der Gedanke trifft dann selbst den Ton.“ So unerreichbar einfach ist das mit dem Gesang.

Und dann wird’s doch schwer, kündigt der Meister an. Die Koreanerin Hye-Jae Hwang singt „Auf der Donau“ von Mayrhofer/Schubert. Sie macht es gut, singt sich bedrohlich tief in die „geistergleich rauschenden Tannenwälder“ hinein, doch Dieskau stört sich an ihrem „Halsvibrato“ und am „Bu-hu-sen“ in der nächsten Zeile. „Das muss auch ohne H gehen.“ Bei den Vokalen hört Dieskau ein wenig „Chinesisch“ heraus und fordert ersatzweise mehr „Österreichisch“. Auch Koreanerinnen müssen das können. Dieskau ist schon beim Pianisten und wettert gegen seinen tänzerischen Anschlag. „Das muss lastenschwer bleiben.“ Es handelt sich schließlich um einen Flusskahn, Anfang des 19. Jahrhunderts. Dieskau horcht, schaut ins Publikum und sucht das Burgenland, die Donau, die Tannenwälder. Klingt irgendwie anders.

Öffentliche Probe am Donnerstag und Freitag, 16 Uhr im Theatersaal der UdK, Fasanenstr. 1, Eintritt: 4 Euro. Am Samstag, 31. Januar, um 20 Uhr das Abschlusskonzert.

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