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Berlin: Tollkühne Kinder in flitzenden Kisten

Auf der Badstraße sausten Junioren und Senioren mit über 30 km/h den Berg hinunter

Die Überholspur kannst du vergessen. Die kostet dich Zeit, eine Zehntel Sekunde bestimmt. Rechts bist du gut. Wenn das Material stimmt natürlich. Wenn du das Lenkrad gerade hältst. Wenn du mit den Rädern, die sie dir verpassen, nicht Pech hast.

Klar, die von der Rennleitung wissen das mit den Spuren. Deshalb fährt jeder einmal rechts und einmal links. Muss ja fair zugehen bei so einem Rennen. Sonst heulen die Kids, die nur Überholspur fahren dürfen, und ihre Eltern oder die vom Verein werden ausfällig. Haben ja lang genug herumgeschraubt am Material, haben genug Geld da reingesteckt – über tausend Euro für eine Kiste sind keine Seltenheit.

Am Sonntag war die Badstraße am Gesundbrunnen auf 300 Meter gesperrt. Seifenkistenrennen, zum 15. Mal hier, Offene Berliner Meisterschaft. Die besten neun Junioren und die besten zehn Senioren werden zur Deutschen Meisterschaft geschickt, genauso wie am Mehringdamm in der vorigen Woche. Junior ist man ab acht, Senior ab zehn. Junioren müssen in ihren Kisten sitzen, leicht nach vorn gebeugt, Senioren sieht man kaum, denn sie dürfen liegen.

Eileen Gerhold ist Seniorin, 16 Jahre alt. Sie fährt eine SuperKiste, eine für die „Master Division“. Das sind die coolsten, die mit dem Deckel vorne drauf, die, die nur hier starten, in der Badstraße, am Mehringdamm nicht. Da sieht der Fahrer die Strecke durch einen ein Zentimeter schmalen Schlitz zwischen Deckel und Helmkante, der Helm klemmt fest, der Fahrer kann den Schlitz nicht vergrößern. Will er auch gar nicht, denn das würde bestimmt ein paar Hundertstel kosten. Eileen Gerhold ist mit ihrem Vater hier, die beiden kommen aus der Nähe von Kassel, und sie kennen sich aus. Sind schon seit acht Jahren im Geschäft. Vater Gerhold sagt: „Das ist schon so ähnlich wie bei den Modelleisenbahnern: Der Vater bastelt und das Kind darf dann mal ausnahmsweise spielen.“ Hier, bei den Seifenkisten, ist der Vater allerdings von seiner Tochter abhängig. Er darf ja nicht fahren, ist ja ein Kindersport, wie es heißt. Auch wenn kein Kind auf der Welt eine Kiste bauen kann, die hier eine Chance auf einen vorderen Platz hätte (selbst Vater Gerhold lässt seine Geräte von einem Profi bauen und schraubt nur an Kleinigkeiten herum).

Dass Eileen immer noch mitmacht, wundert ihn selbst ein wenig. Andererseits: Es geht ja um was in der „Masters Division“. Wer in der Liga gewinnt, fährt im Juli nach Ohio, USA, zur Weltmeisterschaft. Dafür setzt sich auch eine 16-Jährige nochmal in die schmale Kiste mit der Tropfenform und lässt ihren Freund vom Rand aus zugucken. Sie muss auch nicht viel machen. Sitzt nur drin, rollt den flachen Berg hinab, nicht mal eine Kurve hier in Berlin, bringt’s auf etwa 36 Stundenkilometer (die Polizei misst) und ist nach 32 Sekunden im Ziel. Gut, hinterher muss sie die Kiste wieder hochschieben, um auf der anderen Spur noch mal hinunterzufahren. Aber das war’s dann auch. Das Training ist nicht allzu hart, und so kann der kritische Reporter partout keine traurigen Züge um die Augen der Renntochter finden, kein Steffi-Graf-Syndrom. Sie dürfte sogar zehn Kilo schwerer sein, als sie’s ist, muss also nicht mal eine Seifenkistendiät einhalten. Lockerer Sport.

Da Eileen Gerhold es bis ins Finale schafft, muss sie noch ein paar mal ihre Kiste hochschieben, aber sie tut es gern, jedes Mal Ohio ein Stück näher. Schließlich der Endlauf Eileen auf der Überholspur, der lahmen – und sie siegt, drei Hundertstel schneller. Wie das? Vater Gerhold ist auch ratlos. „Sie fährt vielleicht wohl einfach besser“. Immer geradeaus. Keine fährt so toll geradeaus wie Eileen Gerhold. Demnächst in Ohio. dae/pvo

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