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In Richtung Mekka. Ins Leichentuch gewickelt wird der Körper von Yusuf Aribidesi F. in das Grab hinuntergereicht.

©  Kai-Uwe Heinrich

Toter von der Revaler Straße beerdigt: Ruhe und Unfrieden

Yusuf F. starb vor kurzem an der Revaler Straße durch Messerstiche. Am Montagabend wurde er zu Grabe getragen.

Die Beerdigung von Yusuf Aribidesi F., der am 26. Februar an einem Imbissstand in Friedrichshain erstochen worden war, findet an einem kalten Tag unter blauem Himmel und Wolken auf dem Landschaftsfriedhof Gatow statt. Rohheitsdelikte, Gewalt rund um den Partykiez an der Revaler Straße – die Tat war der jüngste Beleg für ein seit längerem diskutiertes Problem. Nun wartet im Vorraum der Trauerhalle eine Handvoll Verwandte und Freunde auf den Beginn der rituellen Waschung. Eine Schwester des Nigerianers ist aus Jamaika gekommen.

Der Bestatter sagt, er wisse noch nicht, wer die Kosten dieser Feier übernimmt. Ein Kastenwagen seiner Firma fährt vor, zwei Männer tragen ein grünes Tuch mit Goldlettern zum Seitentrakt. Der Gebetsaufrufer Muzaffer Toprak hat bereits die graue Gebetskappe aufgesetzt. Er erläutert, dass zur muslimischen Bestattung die Mitwirkung der Angehörigen und die Schlichtheit des Rituals gehören. Spannung entlädt sich bei den Trauergästen in Scherzen, auch bei dem Friedhofsarbeiter in brauner Lederhose, der mit dem Gebetsaufrufer über Kirchenaustritt und Paradieserwartung diskutiert.

Im Seitentrakt hat die Waschung des Toten, an der nur drei Personen teilnehmen können, begonnen. Danach umringen fünf Trauernde den Leichenwagen, auf dem ein heller Sarg steht, darüber das grüne Tuch mit Koranversen und ein zurückgeschlagenes Laken. Ein Mann im schwarzen Anzug filmt per Tablet.

50 Anwesende

Das Gesicht Yusufs, der an zwei Stichen in den Rücken gestorben war, ist zu sehen, man kann von ihm Abschied nehmen. Eine Gruppe Flüchtlinge und Aktivisten vom Oranienplatz kommen nun hinzu, drängen in den kleinen Raum. Viele nehmen Bilder auf, andere bewegen die Lippen. Stille. Derweil kann man sich im Warteraum vor einem Foto von Yusuf Aribidesi F. in das Kondolenzbuch eintragen.

Der Trauerzug zieht mit dem Leichenwagen zu einem Marmortisch am islamischen Teil des Friedhofs. Der Gebetsaufrufer heißt alle 50 Anwesenden, sich in gerader Linie aufzustellen: „Jedes Lebewesen wird einmal sterben und wieder zu uns zurückkehren. Von der Erde kommen wir, zu Erde werden wir.“ Allah möge Yusufs Fehler vergeben, ihn mit seinem Paradies belohnen. Ein Imam ruft vier mal Allahu akbar, hebt die Hände, legt sie zusammen. Das Totengebet, in dem es darum geht, dass wir als Gläubige sterben und dass der Allbarmherzige den Verstorbenen nicht bestrafe, wird leise gesprochen.

Stille Trauer. Im Alter von 46 Jahren starb F. in Friedrichshain.
Stille Trauer. Im Alter von 46 Jahren starb F. in Friedrichshain.

© Kai-Uwe Heinrich

Zuletzt geben der Imam und alle, die es ihm nachtun, links und rechts den Friedensgruß weiter. Acht Freunde und Verwandte heben den Toten in seinem Sarg auf. Tragen ihn, unter Allahu-akbar-Rufen der Anderen, die gepflasterte Birkenallee hinunter, vorbei an aufgegangenen Weidenkätzchen, zur Ecke des Geländes, wo sich auf matschigem Feld neue Gräber befinden.

"Dies ist die Heimat für jeden"

Im Vorfeld dieser Bestattung hatten Kreuzberger Flüchtlings-Aktivisten eine Mail verbreitet, in der es heißt: Die Behauptung des Sprechers der Staatsanwaltschaft, der Ermordete sei ein Dealer gewesen, empfinde man als „Faustschlag“ ins Gesicht. Es sei ein Skandal, „aus populistischen Gründen derartige Behauptungen aufzustellen“. Am Grab des Nigerianers, der 46 Jahre alt wurde, zeigt sich nun, dass die populistische Politisierung der würdigen Trauerfeier vor allem in dieser Mail bestanden hatte. Bei der Staatsanwaltschaft heißt es auch am Montag nicht, das Opfer sei Dealer gewesen. Ein Sprecher gibt aber die Auskunft, es gebe Hinweise darauf, dass die Tat in Zusammenhang mit einem Drogengeschäft stehe.

Drei Männer ziehen Plastikhandschuhe an, steigen in die ausgehobene Grube. Die Leiche wird im Leinentuch hinabgeholt, mit dem Gesicht gen Mekka positioniert, der Sargdeckel obenauf gelegt. Auf einer Leiter klettern die Drei heraus. Viele Schippen stecken in einem Haufen heller Lehmerde, viele Männer schaufeln die Grube zu.

Yusufs Schwester unter einem golden-schwarzen Kopftuch bricht in Tränen aus. Gebetsaufrufer und Imam wechseln sich im Singsang ab mit der Sure Ya-Sin: „Im Namen Allahs des Erbarmers, des Barmherzigen!“, heißt es darin: „Wir machen die Toten wieder lebendig. Und wir schreiben auf, was sie früher getan, und die Spuren, die sie hinterlassen haben.“

Der Bagger rollt heran, schaufelt große Erdportionen hinab. Ein Trauergast ruft immer wieder dazu auf, dem Toten zu vergeben, falls er jemandem etwas angetan habe. „Dies ist die Heimat für jeden. Lasst ihn in Frieden ruhen.“

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