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In dem Haus in Weißensee wurde das tote Kind entdeckt.

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Update

Totes Kind in Weißensee: Kleines Mädchen starb durch Gewalteinwirkung

Ein kleines Mädchen musste sterben, weil es nicht behandelt wurde. Wer ist schuld? Die Mutter? Ihr Lebensgefährte, gegen den jetzt auch ermittelt wird? Die Familienhelfer? Oder die Sparzwänge bei den Jugendämtern?

Von Sandra Dassler

Im Fall des am Dienstag in einer Wohnung in Weißensee verstorbenen Mädchens wird jetzt auch gegen den Lebensgefährten der Mutter ermittelt. „Nach der Obduktion steht fest, dass das Kind an einem Darmriss, der zu einer Bauchfellentzündung führte, starb", sagte die Sprecherin der Staatsanwaltschaft, Simone Herbeth. Der Darmriss wiederum sei durch äußere Gewalteinwirkung entstanden: „Das heißt aber nicht notwendigerweise, dass das Kind misshandelt worden sein muss. Die Verletzung kann es sich beispielsweise auch durch einen Sturz zugezogen haben.“ Das gelte ebenso für die Hämatome, die am Körper des Kindes gefunden wurden.

Die Staatsanwaltschaft geht aber davon aus, dass die 25-jährige Mutter oder der 24-jährige Lebensgefährte für die Verletzungen verantwortlich sind. Zunächst war nur gegen die Mutter wegen Körperverletzung mit Todesfolge ermittelt worden. „Wir haben das nach neueren Erkenntnissen aus den Vernehmungen nun auch auf den Lebensgefähren ausgeweitet“, sagte Herbeth.

Dass andere Kinder der Familie ebenfalls Verletzungen aufwiesen, wollte sie nicht bestätigen. Nach Tagesspiegel-Informationen wurden aber auch bei dem Zwillingsbruder des verstorbenen Mädchens Hämatome festgestellt. In der Familie lebten neben dem verstorbenen fast dreijährigen Mädchen und ihrem Zwillingsbruder noch ein Vierjähriger sowie ein zwei Monate altes Mädchen.

Pankows Jugendstadträtin Christine Keil (Linke) hat inzwischen Vorwürfe zurückgewiesen, wonach das Jugendamt, das die Familie seit Oktober 2011 betreute, versagt habe. „Die Familienhelfer hatten keine Hinweise darauf, dass die Kinder vernachlässigt oder gar geschlagen wurden“, sagte sie: „Die Mutter hat immer kooperiert und die Ratschläge angenommen.“ Gestern Nachmittag traf sich die Jugendstadträtin mit den Familienhelfern und dem Träger zu einer Beratung über das Geschehen, dass sie als „unendlich traurig“ bezeichnet.

Einer Familienhelferin war am Montag aufgefallen, dass das Mädchen krank wirkte. Sie hatte mit der Mutter darüber gesprochen – die wollte noch am selben Tag zum Arzt gehen. „Es gab keinen Grund anzunehmen, dass die Mutter dies nicht tun würde", sagt Christine Keil. Nach bislang unbestätigten Meldungen hatte die junge Frau das Wartezimmer wieder verlassen, weil es so voll war. Wenige Stunden später war das kleine Mädchen tot.

„Ein Arzt hätte die Symptome erkannt und das Mädchen wahrscheinlich retten können“, ist sich Ulrich Fegeler sicher. Der Sprecher des Bundesverbandes der Kinder- und Jugendärzte, der selbst als Kinderarzt in Berlin arbeitet, kann den Familienhelfern aber nach jetzigem Erkenntnisstand keinen Vorwurf machen. „Wie krank das Kind war, konnten sie nicht einschätzen“, sagt er. Hinzu käme, dass sich eine Entzündung durch einen Darmriss sehr schnell entwickle. Der Bundesverband der Kinderärzte fordert seit langem, nicht nur Hebammen sondern auch Krankenschwestern für die Betreuung von Familien auszubilden – zusätzlich zu den Sozialarbeitern.

Die hält Fegeler für unverzichtbar, denn in erster Linie geht es seiner Ansicht nach nicht um eine medizinische sondern um eine sozialpädagogische Betreuung der Kinder. Das sagt auch Beate Köhn vom Notdienst Kinderschutz. Sie beobachtet, dass die Zahl der hilfsbedürftigen Familien in Berlin, vor allem der jungen alleinerziehenden Mütter zunimmt – nicht aber der Umfang der gewährten Hilfen. Im Gegenteil: Gerade aktuell würde laut darüber nachgedacht, das Angebot individueller Hilfen einzudämmen und Gruppenangebote in Kitas und Schulen auszubauen.

Und natürlich sei der Sparzwang bei Jugendämtern und Trägern kontraproduktiv. „Wieviel Stunden Hilfen zur Erziehung einer Familie gewährt werden, darf nicht von den Kosten, sondern vom tatsächlichen Bedarf abhängen“, sagt Beate Köhn. In der Praxis erlebt sie aber immer wieder, dass Sozialarbeiter statt der bewilligten zweimal die Woche manchmal lieber noch ein drittes oder viertes Mal – unentgeltlich – in die Familien gehen. Weil sie Sorgen haben, dass die bewilligte Hilfe nicht ausreicht.

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