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© Oliver Wolff

Trainingslager für Arbeitslose: Das Camp für harte Fälle

Das Jobcenter Neukölln schickt junge Arbeitslose zum Training nach Brandenburg. Dort sollen sich Hartz-IV-Empfänger an ein geregeltes Berufsleben gewöhnen. Ein "Drill-Camp" nach amerikanischen Vorbildern soll das Lager aber nicht sein.

Direkt nach dem Aufstehen steht für die jungen Männer erst einmal Joggen auf dem Programm. Noch vor dem Frühstück. Später jäten sie Unkraut und räumen einen Schuppen auf. Die jungen Männer kommen aus Neukölln, sind arbeitslos und gelten als schwierige Fälle. Deswegen kommen sie im Auftrag des Jobcenters zum Trainigslager ins brandenburgische Uckley. „Meine Kunden sind von einem Job so weit weg wie unsereiner vom Mars“, sagt Michael Kafert, Niederlassungsleiter der Gesellschaft für berufliche Bildung (GBB), die dieses Projekt betreut. Auf einem alten Sportgelände am Ufer eines Sees sollen sich die jungen Hartz-IV-Empfänger an ein geregeltes Arbeitsleben gewöhnen.

An diesem Vormittag schneiden die Männer im Wald Bäume. Irgendwann, wenn das Stück gerodet ist, werden spätere Teilnehmer einen Irrgarten anlegen. „Das ist keine schwere Arbeit, da habe ich bei der Bundeswehr anderes erlebt“, sagt der 23-jährige Dennis. Doch der Schweiß tropft von seiner Stirn. Nach dem Essen das Geschirr abzuräumen und morgens um halb sieben Uhr aufzustehen, sei kein Problem. Das mache er zu Hause auch. Sagt er zumindest.

Die Jobvermittler in Neukölln beurteilen Leistungsempfänger wie ihn anders. Für schwer vermittelbare Arbeitslose, die oft in einem Sumpf aus Alkohol, Drogen und Kriminalität stecken und Tugenden wie Pünktlichkeit oder Arbeitswillen vermissen lassen, hat das Jobcenter das „Päd-Camp“ eingerichtet. Die GBB als Träger betreut die jungen Arbeitslosen kontinuierlich. Jeden Morgen erwarten die Betreuer sie in dem Schulungsgebäude an der Lahnstraße. Dort sollen sie handwerkliche Arbeiten erledigen, Bewerbungen schreiben oder einen Staplerführerschein machen. Dafür erhalten sie 1,50 Euro die Stunde. Abgerechnet wird minütlich, damit das Schwänzen ins Geld geht. Wenn das nicht fruchtet, geht es für eine Woche raus aus dem heimischen Umfeld nach Uckley.

Hier hört alles auf Glenn Rühmkorb, der sich selbst so beschreibt: „Ich bin 2,01 Meter groß, 125 Kilo schwer und nett.“ Er spricht ruhig und grinst, als er „nett“ sagt. Der Ausbilder weiß, dass seine Statur Respekt einflößt. Und dass er auch weniger nett sein kann, wenn sich jemand nicht an die Regeln hält. Regeln und Respekt lauten die zentralen Begriffe hier. Respekt verlangten seine Schützlinge ständig, ohne ihn aber anderen entgegenzubringen, sagt Rühmkorb. Er fordert ihn ein. Benimmt sich einer daneben, bittet ihn der Campleiter schon mal mit hinter dem Rücken verschränkten Armen in die Hocke. Eine Übung für Skispringer, die arg in den Muskeln zerrt. Rühmkorb macht selbst mit und redet seinem Gegenüber in aller Ruhe ins Gewissen.

Das „Päd-Camp“ erhielt kurz nach seinem Start im vergangenen Jahr den von den Arbeitsministerien ausgelobten Landespreis „Jugend in Arbeit“. Von 317 Teilnehmern seien um die 30 der Arbeitslosigkeit entflohen, sagt Dietmar Jarkow, Geschäftsführer des Jobcenters. Rund 2500 junge Arbeitslose betreut sein Jobcenter, in Berlin gibt es insgesamt 28.000 Erwerbslose unter 25 Jahren. Jarkow erzählt von einem Waffennarren, den er beinahe aufgegeben hatte. Inzwischen arbeitet der junge Mann seit Monaten als Zimmerjunge in einem Hotel. Gleichwohl kündigte die GBB trotz aller Mühen 200 Teilnehmern, weil sie andauernd unentschuldigt fehlten.

Das Camp in Uckley erregt von allen Aktivitäten die größte Aufmerksamkeit. Ein „Drill-Camp“ nach amerikanischen Vorbildern soll es bewusst nicht sein. „Wir wollen unsere Kunden nicht zu Marionetten erziehen“, sagt Jarkow. Wenn Regeln und Zeitplan durchgesetzt sind und es mit dem Frühsport und den Arbeitsschichten klappt, stehen zum Beispiel Begegnungen mit geistig behinderten Kindern auf dem Programm. Selbst gewalttätige Machos verwandelten sich dabei rasch in liebevolle Menschen und kümmerten sich um Schwächere, sagt Jarkow. Das Ziel ist es, die Maskerade aus Imponiergehabe und Stärkeposen wegzuwischen. Obwohl kaum einer gerne hierherkommt, gefällt es den meisten am Ende ganz gut. „So schlimm ist es gar nicht, wie ich vorher dachte“, meint Dennis. Die meisten geben sich nach ein paar Tagen brav und fleißig und denken über ihr Leben nach. Wie sich dieser Kick aber dauerhaft in den Neuköllner Alltag hinüberretten lässt, sei bisher ein ungelöstes Problem, gibt Jarkow zu. Eine Woche ist eben reichlich kurz.

Der 24 Jahre alte Anis wirft morsches Holz ins Feuer und erzählt von verlorenen Träumen. Vor einigen Jahren habe er fast einen Vertrag als Profifußballer in der Tasche gehabt, bis er wegen einer Zigarette aus der Mannschaft flog. Jetzt spricht er über eine mögliche Zukunft in einem Sicherheitsdienst. Anis ist auf eigenen Wunsch bereits zum dritten Mal hier. Michael Kafert sagt hinterher, dass der Junge seinen schlimmen Problemen daheim entfliehen wolle. „Manche hier dürfte man überhaupt nicht mehr nach Neukölln zurück lassen.“ Werner Kurzlechner

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