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Mitfahr-Aktion

© Heinrich

Trampen: Per Anhalter durch Berlin

Eigentlich war doch Trampen längst aus der Mode. Aber der BVG-Streik und die Mitfahr-Aktion "Gemeinsam unterwegs" machen es wieder salonfähig. Tagesspiegel-Reporter Thomas Loy hat es ausprobiert.

Das Schild löst Staunen aus. Zwei Pfeile, gegeneinander gerichtet, darunter die Losung: „Gemeinsam unterwegs“. Noch etwas tiefer habe ich deutlich sichtbar mein Fahrziel vermerkt: „Tiergarten“. Das ist mein offizieller Tramperausweis, ausgestellt vom Verkehrsverbund (VBB) als Ersatz für den gereckten Daumen. Das Schild soll dem misstrauischen Autofahrer signalisieren: Dieser Mensch fährt normalerweise Bus.

Nach quälend langen zehn Minuten an einer Ausfallstraße von Johannisthal im südlichen Treptow hält ein Ford-Fahrer. Geologe Ulrich Lippick fährt zum Bundesplatz. Das liegt zwar reichlich abseits vom Zielort, aber besser ein paar Umwege fahren als gar nicht.

Lippick hat beim Frühstück den Tagesspiegel gelesen, kennt also die VBB-Aktion. Früher, als Student, hat er selbst Autos angehalten, später Tramper mitgenommen, von Dreilinden nach Westdeutschland, dann kam das Mitnehmen aus der Mode, auch bei Lippick. Wegen des Streiks macht er eine Ausnahme.

Im Britzer Tunnel ist Stau, aber das sei an normalen Tagen nicht anders, sagt Lippick. Auch hinter der Röhre geht es schleppend voran. Normalerweise braucht er zwölf Minuten von Johannisthal nach Wilmersdorf, diesmal sind es rund 20 Minuten, in Streikzeiten immer noch passabel.

An der Bundesallee fühle ich mich mit meinem Schild wie eine Spezies kurz vor dem Aussterben. Ein Tramperdino. Radfahrer schauen belustigt, Autofahrer semmeln mit Tunnelblick und Bleifuß vorbei. Aber auch hier gibt es Menschen, die andere Verkehrsteilnehmer nicht primär als Gegner auffassen. Ein Volvo-Fahrer aus Eichwalde stoppt, beeilt sich, diversen Krempel aus dem Beifahrerfußraum zu entfernen, und stellt sich als TU-Informatiker vor.

Die TU liegt auch abseits vom Planziel, aber der Informatiker ist nett. Den Streik findet er „zweifelhaft“, aber ohne Streik würde er niemanden mitnehmen.

Am Einsteinufer steige ich aus, laufe zurück zur Straße des 17. Juni und bemerke, dass mein Tramperausweis wertlos geworden ist. „Tiergarten“ ist am Charlottenburger Tor eine recht grobe Zielangabe. Weil ich keinen Ersatz habe, hilft nur noch der Daumen. Und der wirkt prompt, wie eine magische Bremse.

Ein Architekt hat seinen Berlingo an die Seite manövriert und bittet einzusteigen. Er ist unterwegs zum Hedwig-Krankenhaus in Mitte, würde für mich sogar einen Exkurs über den Potsdamer Platz machen, aber ich gebe mich mit dem Holocaust-Mahnmal zufrieden. Nach kurzem Fußweg stehe ich auf der Busspur vor dem Sony-Center, Daumen raus, und werde fast von einem Taxi überrollt.

Ein weißer Lieferwagen hält, am Lenker ein Typ wie aus einem Italo-Western, unterwegs zum Ku’damm, um ein neues Restaurant einzurichten: „Pasta Deli“. „Ist Jahre her, dass ich jemanden in der Stadt mitgenommen habe.“

Resumee: Der Streik öffnet viele Autotüren. Die Aktion „Gemeinsam unterwegs“ funktioniert, aber im Notfall reicht auch der Daumen. 

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