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Transgenialer CSD: Der große Unterschied

Am Sonntag zieht der transgeniale Christopher Street Day durch Berlin. Die Demonstration richtet sich gegen Gentrifizierung und Rassismus.

Wenn am Sonnabend der transgeniale Christopher Street Day, auch „Kreuzberger CSD“ genannt, am Rathaus Neukölln startet, wird sich wohl mancher wundern: „Das ist doch gar nicht Kreuzberg?“ Doch die Route über Hermannplatz und Kottbusser Damm zum Heinrichplatz verbindet die beiden Bezirke, die am meisten von dem betroffen sind, was mit der Demo gerade kritisiert werden soll: Gentrifizierung, die Verdrängung alteingesessener einkommensschwacher Bewohner durch zahlungskräftige Neumieter.

Das ist eines der wichtigen Themen, ein anderes ist Rassismus, vor allem gegen Muslime, und da sind die Kreuzberger Organisatoren gerade in Hochstimmung. Denn Judith Butler, die amerikanische Philosophin, Geschlechtertheoretikerin und Dekonstruktivistin von Kategorien wie „männlich“ und „weiblich“, hat auf dem großen CSD am vorigen Sonnabend den Zivilcouragepreis abgelehnt. „Ganz großes Theater! Danke, Judith!“, schreiben die Organisatoren auf ihrer Webseite.

„Mit der Einladung einer großen kritischen Philosophin wollte sich der CSD indirekt seine Politik bestätigen lassen“, sagt Mohammed auf der Terrasse des Café Kotti am Kottbusser Tor. Seinen Nachnamen will er, wie auch Jai, Heinzi und Gundula, nicht nennen. Zwei von ihnen gehören zum Organisationsteam, das den transgenialen CSD vorbereitet. Gundula bezeichnet sich als „seit 20 Jahren langzeitarbeitslos“ und als „postautonom“, Jai als „Transperson of colour“ und „transnationaler Aktivist“.

Homo, lesbisch, bi, hetero, queer, transsexuell, intersexuell, migrantisch – die Begriffe schwirren durcheinander wie in einem Bienenkorb, das Gespräch gleicht einem Gang über heiße Kohlen. Man muss gehörig aufpassen, dass man nicht das Falsche sagt. Und dann rutscht sie doch raus, die eine Frage, die nicht gestellt werden darf: „Und wo kommst du ursprünglich her?“ Die verbotene Frage, die jene Identitäten wieder schafft, die gerade eingerissen werden sollen. Mohammed stutzt: „Aus Kreuzberg“, sagt er kalt, gibt aber dem Interviewer noch eine Chance. Das Gespräch kann weitergehen.

„Wir haben uns geärgert, das die Ablehnung des Preises von allen Seiten nur damit begründet wurde, der offizielle CSD sei zu kommerziell. Das trifft nicht den Kern“, sagt Jai. Butler habe abgelehnt, weil der CSD mit Organisationen zusammenarbeite, die aus Sicht der Kreuzberger Aktivisten rassistisch – sprich: islamfeindlich – sind, nämlich dem Lesben- und Schwulenverband in Deutschland (LSVD) oder dem schwulen Überfalltelefon Maneo, das latent den Hass auf Migranten schüren würde.

Die Vorwürfe sind alt, die Gräben offen aufgerissen seit 1998. Damals formierte sich erstmals ein eigener Kreuzberger CSD, der seither dem offiziellen vorwirft, sich nur für weiße Schwule zu interessieren, unreflektiert bürgerliche Rechte einzufordern und einen eindimensionalen Blick auf die Lebenssituation von Schwulen und Lesben zu haben, während die Kreuzberger gerade deren Komplexität und Widersprüchen nachspüren würden.

Robert Kastl, Geschäftsführer des CSD e.V., der den offiziellen CSD veranstaltet, sieht das völlig anders. Eine „Plattform für alle“ sei der CSD, und eindimensional sei vielmehr das, was aus Kreuzberg käme. Zum Fall Butler sagt er: „Wir hatten erwartet, dass sie gar nicht erst zusagt. Aber sie hatte enthusiastisch zugestimmt und dann auf der Bühne die Show abgezogen. Gegenüber Co-Preisträger Martin Dannecker und ihrer eigenen Laudatorin Renate Künast war das eine große Respektlosigkeit.“ Auf dem transgenialen CSD dürfte Butler trotzdem als Heldin gefeiert werden.

Beginn: Sonnabend 14 Uhr am Rathaus Neukölln, Party ab 22 Uhr im SO36

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